Bad Berleburg. Für seine groß angelegte Corona-Studie nimmt der Berleburger Hausarzt Dr. Holger Finkernagel die fünfköpfige Familie genauer unter die Lupe.
Starke Kopfschmerzen, 40 Grad Fieber, Geschmacksverlust – ausgerechnet kurz vor Weihnachten: Weil sich eine fünfköpfige Familie in Diedenshausen unwohl fühlt, macht sie vorsichtshalber Corona-Tests. Das erstaunliche Ergebnis: Der Vater (40) und die drei Kinder (12, 13, 17) sind tatsächlich positiv, die Mutter (43) dagegen nicht. Und das, obwohl sich die Familienmitglieder naturgemäß nicht gerade aus dem Wege gehen. Das hat den Bad Berleburger Hausarzt Dr. Holger Finkernagel neugierig gemacht, der gerade an einer groß angelegten wissenschaftlichen Corona-Studie mit rund 1000 bis 1500 Teilnehmern arbeitet.
Das Ziel der Studie
Initiator wirbt um „Großspenden“
Die Studie des Bad Berleburger Arztes Dr. Holger Finkernagel ist noch nicht offiziell angelaufen, da die zuständige Ethik-Kommission der Uni Münster bislang kein grünes Licht dafür gegeben hat. An der Studie beteiligen sich neben Finkernagel als Initiator auch dessen Berleburger Allgemeinmediziner-Kollegen Dr. Annan Gießmann, Dr. Helga Roessiger und Dr. Hans-Peter Becker. Um die Studie samt der Blut-Untersuchungen auf Antikörper im Speziallabor zu finanzieren, wirbt Finkernagel um Unterstützer. „Wir würden uns auch über Großspenden freuen“, sagt er. Wichtig zu wissen für Patienten, die bei der Studie noch mitmachen möchten: Ihre vollständige Impfung oder die überstandene Erkrankung sollten nicht länger als sechs Wochen zurückliegen. Außerdem wird ein halbes Jahr nach der zweiten Impfung noch einmal Blut für weitere Antikörper-Tests abgenommen.Letzte Untersuchungen sollen im Dezember laufen. Finkernagel rechnet mit ersten Ergebnissen im Februar oder März 2022.
Ob nun Astrazeneca, Biontech, Johnson Johnson oder Moderna: Kommt es durch die Impfungen mit verschiedenen Anti-Corona-Seren tatsächlich im gewünschten Maß zur Einschränkung der Infektionszahlen? Das möchte Finkernagel vorwiegend mit Bewohnern des Eder- und des Elsoff-Tales herausfinden. Seine Zielgruppe dabei: Patienten, die entweder gegen Covid-19 geimpft wurden oder aber innerhalb von sechs vergangenen Wochen daran erkrankt waren.
Der Antikörper-Test
Und was hat nun unsere Diedenshäuser Mutter davor bewahrt, sich mit dem Virus zu infizieren? Denn schließlich „habe ich mich auch irgendwie krank gefühlt, hatte trockene Schleimhäute“, erzählt Tanja Hedrich, beruflich als Industriekauffrau in einem Bad Berleburger Unternehmen tätig. Doch der Antikörper-Test, den Dr. Finkernagel mit allen Familienmitgliedern macht, zeigt: Die Mutter ist nicht infiziert – warum auch immer. Klar, dass die ganze Familie in Quarantäne ging – über Weihnachten bis in die erste Januar-Woche hinein. „Der Feind war bei uns im Haus“, lacht Hedrich. Vorsorglich habe die Familie „Anfang Dezember schon alle Kontakte reduziert“.
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„Sie hätten aber auch eine Erkrankte ohne Antikörper sein können“, sagt der Hausarzt seiner Diedenshäuser Patientin im Gespräch. Oder ein Fall, bei dem sich die Antikörper eben erst später bilden. Was Finkernagel überdies interessant findet: Während der Vater und die drei Kinder Blutgruppe A aufweisen, hat die Mutter Blutgruppe 0. Wirkt sich das auf Corona aus?
Die Folgen
Sowohl bei den vier später Genesenen in der sportlichen Familie als auch bei ihr selbst als offenbar nicht Infizierte habe das Virus „keinerlei Folgen hinterlassen“, sagt Tanja Hedrich heute. Alle seien zum Beispiel zwei Wochen nach der Quarantäne noch beim Ski-Langlauf unterwegs gewesen – „und alle waren fit“. Doch die 43-Jährige trieb ein ungutes Gefühl um: „Ich habe das Grundvertrauen in das natürliche Immunsystem verloren, aufgrund der Dramatik in den Medien und dem Wirbel drumherum. Es gab nur noch todkrank oder gesund – nichts mehr dazwischen.“
Die Abwägung
Während der Vater, ein Bauingenieur, und die drei Kinder inzwischen ihre Genesenen-Bescheinigungen haben, stellt sich Tanja Hedrich die Frage: „Zu welcher Gruppe gehöre ich jetzt? Ich bin nicht geimpft und nicht genesen, habe jedoch auch keine Angst vor einer Erkrankung oder davor, ein Gefährder zu sein.“ Impfen sei ja „immer ein Risiko“, so Hedrich weiter, „eine Nutzen-Abwägung und auch eine ernstzunehmende Angelegenheit zwischen Arzt und Patient. Man sollte hier nicht pauschalisieren. Impfungen wie ein Jahrmarktsprodukt anzubieten, ist für mich absolut nicht nachvollziehbar.“
Der soziale Druck
Und was könnte Tanja Hedrich umstimmen? „Wenn der soziale Druck zu groß wäre“, meint sie. Wenn es also zum Beispiel in der Gastronomie Zutritt nur noch für Genesene oder Geimpfte geben würde – und zugleich Corona-Tests kostenpflichtig würden wie jetzt im Nachbarland Frankreich. „Ich bin kein Impfgegner“, betont Hedrich – sie sei aber „gegen jede Impfpflicht“.
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Die Zusammensetzung der Corona-Impfstoffe basiere allerdings auf soliden wissenschaftlichen Studien, gibt Dr. Annan Gießmann im Gespräch zu bedenken. Der 36-Jährige ist gerade in Finkernagels Praxis als Allgemeinmediziner gestartet – und wird sie in wenigen Jahren dann wohl auch übernehmen.
„Empfehlen Sie denn die Untersuchung des Blutes auf Antikörper?“, möchte Finkernagel von seiner kritischen Patientin wissen. „Ja, auf jeden Fall“, sagt Hedrich. Sie lobt ihren Hausarzt als jemanden, „der neugierig ist und auch Verständnis für meine Position hat“.
Neutralisierende Antikörper
Auf neutralisierende Antikörper prüft Finkernagel seit März alle Probanden seiner Studie mit ganz unterschiedlichem Alter und ganz unterschiedlichen Erkrankungen. Denn sie sind ein wichtiger Bestandteil der Immunität nach einer Infektion, die wiederum vor erneuter Infektion schützt. Auch Hedrichs 17-jährige Tochter gehört zur Gruppe der Probanden. Denn ihre Mutter möchte wissen: „Wie lange haben Genesene noch ihre Immunität?“ Und mit Finkernagels Studie schaue man da gut hinter die Kulissen, findet sie.
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Hypothese des Arztes: „Die Antikörper-Antworten gehen mit der Zeit zurück.“ Aber genau dazu „wissen wir halt zu wenig“. Unterdessen diskutieren die Experten in den Medien vor diesem Hintergrund bereits über „Auffrischungsimpfungen“ gegen Corona im Herbst, spätestens im nächsten Jahr.
Der Aufruf zum Impfen
Finkernagel ruft außerdem alle Wittgensteiner, die es wollen, dazu auf, sich jetzt gegen das Corona-Virus impfen zu lassen, etwa bei ihrem Hausarzt. „Denn wir haben Unmengen Impfstoff derzeit.“