Wittgenstein. Chefarzt Mohammed Shahin stellt fest: Die Wittgensteiner kommen oft spät zur Darmspiegelung – meist erst bei starken körperlichen Beschwerden.

Dauerthema „Darmkrebs“: Auch sehr viele Wittgensteiner machen nach Umfragen zweier Krankenkassen insgesamt nur wenig Gebrauch von den medizinischen Vorsorge-Angeboten gegen diese verbreitete Erkrankung. Dazu im Gespräch mit unserer Redaktion: Mohammed Shahin, an der Bad Berleburger Vamed-Klinik Chefarzt Innere Medizin, Schwerpunkt Gastroenterologie.

Warum halten sich Frauen und Männer in Sachen Darmkrebs-Vorsorge eigentlich so stark zurück?

Mohammed Shahin, Chefarzt für Gastroenterologie der Vamed-Klinik Bad Berleburg, zur Darmkrebs-Vorbeugung: „Ich empfehle Genuss mit Maß und den regelmäßigen Arztbesuch.“
Mohammed Shahin, Chefarzt für Gastroenterologie der Vamed-Klinik Bad Berleburg, zur Darmkrebs-Vorbeugung: „Ich empfehle Genuss mit Maß und den regelmäßigen Arztbesuch.“ © VAMED-Klinik Bad Berleburg

Mohammed Shahin: Ich denke, dass da mehrere Gründe eine Rolle spielen können: Einerseits ist es möglich, dass nicht allen Menschen bekannt ist, dass Männer und Frauen ab dem 50. Lebensjahr Anspruch auf ein regelmäßiges Darmkrebs-Screening haben. Dazu zählen der Test auf okkultes, also verstecktes Blut im Stuhl sowie eine Darmspiegelung. Sehr gut ist, dass die Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen seit 2019 von ihrer Versicherung schriftlich zu den Früherkennungsterminen eingeladen werden – und das alle fünf Jahre. Dennoch kommt es weiterhin vor, dass vor allem Darmspiegelungen aufgrund von Beschwerdefreiheit sowie Angst oder Scham nicht in Anspruch genommen werden.

Und dann kommen die Patienten oft erst, wenn es zu spät ist?

Tatsächlich habe ich in Wittgenstein zusätzlich festgestellt, dass die Menschen oft sehr spät zur Darmspiegelung kommen. Meist dann, wenn sie bereits starke körperliche Beschwerden wie zum Beispiel Blutungen, Verstopfungen oder Schmerzen haben. Die Menschen hier genießen ihr Leben: Sie essen und trinken gerne gut und wegen ein paar Bauchschmerzen gehen sie nicht gleich zum Arzt – so lange es eine Tablette Ibuprofen noch richtet. Das hat zur Folge, dass viele meiner Wittgensteiner Patienten erst dann zu uns in die Klinik kommen, wenn schlimmstenfalls bereits ein Tumorgeschehen vorliegt. Das habe ich an anderen Orten nicht in diesem Ausmaß erlebt.

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Ab welchem Alter ist so eine Darmspiegelung sinnvoll?

Nur 1,5 Prozent nutzen die Chance

Nach einer Auswertung der AOK Nordwest werden die ärztlichen Untersuchungen und Beratungen zur Darmkrebs-Früherkennung auch im Kreis Siegen-Wittgenstein viel zu wenig in Anspruch genommen. Demnach nutzten 2019 in ganz Westfalen-Lippe nur rund 12.000 AOK-Versicherte und damit nur 1,5 Prozent der anspruchsberechtigten AOK-Versicherten eine Koloskopie, also eine Darmspiegelung zur Vorsorge.

Dabei sei „die Darmspiegelung die sicherste Methode, um Darmkrebs frühzeitig zu erkennen oder vorzubeugen“, sagt AOK-Serviceregionsleiter Dirk Schneider. „Daher sollten sowohl Frauen als auch Männer die kostenfreien Früherkennungsuntersuchungen der gesetzlichen Krankenkassen besser nutzen“, so sein dringender Rat.

Die Krankenkasse „DAK Gesundheit“ in Siegen registriert einen deutlichen Rückgang bei der Krebsvorsorge ganz allgemein – und hat dafür die Corona-Pandemie als wichtigen Grund dafür ausgemacht. Bei Darmkrebs-Untersuchungen habe es in den NRW-Arztpraxen von Januar bis September 2020 gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahrs einen Rückgang von immerhin neun Prozent gegeben. Im Frühjahrs-Lockdown des zweiten Quartals sei der Wert im Vergleich sogar um 18 Prozent gesunken.

„Der Rückgang der Krebsvorsorge ist besorgniserregend“, sagt Frank Filipzik von der DAK-Gesundheit in Siegen. „Viele Patientinnen und Patienten haben aus Angst vor einer Ansteckung mit Covid-19 einen Praxisbesuch vermieden.“ Aber: „Vorsorgeuntersuchungen sind wichtig, um ernsthafte Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und behandeln zu können“, betont Filipzik – „auch in Pandemie-Zeiten“.

Das kommt ein wenig darauf an: Wenn Sie ein gesunder Mensch sind, einen ausgewogenen Lebensstil pflegen, nicht rauchen oder trinken, Normalgewicht halten, Sport treiben und zudem beschwerdefrei sind, ist es die Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses, das erste Darmkrebs-Screening im 50. Lebensjahr durchzuführen.

Gibt es spezielle Risiko-Gruppen?

Sind in der Familie Fälle von Dickdarmkrebs bekannt, sollte man bereits in jungen Jahren einen Facharzt aufsuchen. Dickdarmkrebs weist eine genetische Komponente auf, kann jedoch bei frühzeitiger Diagnose sehr gut behandelt werden. Aus diesem Grund ist es auch entscheidend, die Vorsorgemöglichkeiten zu nutzen. Patienten, die unter einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung leiden, haben ebenfalls ein statistisch höheres Risiko, an Dickdarmkrebs zu erkranken. Sie sind jedoch meist in fachärztlicher Behandlung und werden je nach Ausprägung der Erkrankung intensiv betreut.

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Warum sollte man die Untersuchung nach einer gewissen Zeit wiederholen?

Dass die Untersuchung regelmäßig wiederholt werden sollte, hat einen einfachen Grund: Eine Untersuchung stellt nur eine Momentaufnahme dar. Ein Krankheitsgeschehen kann auch in den Folgejahren auftreten, da ein höheres Lebensalter zu den Risikofaktoren für die Entstehung von Darmkrebs zählt. Glücklicherweise entwickelt sich ein Kolonkarzinom in der Regel langsam und kann bei einer ausreichend frühen Erkennung sehr gut behandelt werden.

Wende ich mich als Wittgensteiner Patient in Sachen Früherkennung zunächst an den Hausarzt oder direkt an die Vamed-Akutklinik?

Es ist immer sinnvoll, sich zunächst an den Hausarzt zu wenden. Die Kollegen verfügen über ein breitgefächertes medizinisches Wissen und können – in Verbindung mit der individuellen Krankheitsgeschichte eines Patienten – am besten entscheiden, welche fachärztlichen Behandlungen oder Untersuchungen notwendig sind. In Notfällen ist es dagegen immer sinnvoll, das Krankenhaus über die Notaufnahme direkt aufzusuchen.

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Inwieweit werden Darmspiegelungen von der gesetzlichen/privaten Krankenkasse erstattet?

Das Darmkrebs-Screening wird für Männer und Frauen ab dem 50. Lebensjahr sowohl von der gesetzlichen als auch der privaten Krankenversicherung übernommen. Darüber hinaus werden die meisten medizinisch notwendigen und ärztlich verordneten Koloskopien von den Kassen übernommen.

Was kann ich selbst tun, um dem Darmkrebs vorzubeugen?

Dickdarmkrebs kann verschiedene Ursachen haben. Die erbliche oder genetische Prädisposition und Vorerkrankungen spielen eine ebensolche Rolle wie der Lebenswandel. Hier kann man aktiv ansetzen: Ein gesunder, bewusster Lebensstil möglichst ohne Rauchen, Alkohol, Übergewicht sowie fett- und zuckerreiche Lebensmittel, ist auch laut Studienlage ein wichtiger Faktor bei der Darmkrebsvorbeugung. Ich empfehle also Genuss mit Maß und den regelmäßigen Arztbesuch.