Feudingen. Es muss nicht immer der Pfarrer sein: Christiane Enns aus Feudingen nimmt als freie Trauerrednerin die Verstorbenen in den Fokus ihrer Reden.

Das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen noch einmal Revue passieren lassen – das ist es was Christiane Enns in ihren Reden schafft. Seit sechs Jahren ist die 39-jährige Feudingerin freie Trauerrednerin – seit drei Jahren zurück in Wittgenstein. Im Interview spricht sie über ihre erste Trauerrede, den Beruf und darüber, was das Besondere an einer Trauerrede ist.

Für viele Menschen ist der Tod noch ein Tabuthema. Was hat Sie dazu bewogen, freie Trauerrednerin zu werden?

Christiane Enns: Durch meinen Beruf als Bestatterin kenne ich den klassischen Ablauf einer Beerdigung. Ich verbringe dort sehr viel Zeit. Während meiner Zeit in der Eifel habe ich dann bei einer Bestattung in einem Friedwald zum ersten Mal einen freien Trauerredner sprechen gehört und war total geflasht. Als es dann vorbei war, fand ich es fast schon schade. Er hat die Anwesenden in seiner Rede mitgenommen – durch die Höhen und Tiefen, die der Verstorbene in seinem Leben erlebt hat. Der Mensch stand dabei im Mittelpunkt. Und so sollte es doch auch bei einer Beerdigung sein.

Wie ging es danach für Sie weiter?

Für mich war in dem Moment klar, dass ich mich in diesem Bereich weiterbilden möchte. Das war eine sehr intensive, aber auch sehr spannende Zeit.

Wie kann man sich eine solch Weiterbildung vorstellen?

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Sie ging über drei Wochen. Zum Schluss ging es für uns alle dann auf den Friedhof – das war natürlich angemeldet. Dort mussten wir dann selbst eine Rede über ein eigenes Familienmitglied oder eine nahe stehende Person halten. Das war schon sehr emotional und aufreibend. Nicht jeder ist am Ende mit einem Zertifikat nach Hause gefahren.

Sie haben es geschafft und sind nun mit Herzblut dabei. Wie ist es für Sie, Trauerreden zu verfassen?

Es gehört schon viel dazu. Wenn ich zu den Angehörigen fahre, habe ich nur einen Block und einen Stift dabei. Ich bin niemand, der dort mit einem Laptop sitzt und so eine Wand aufbaut. Mir ist es wichtig, für die Menschen in dem Moment ein offenes Ohr zu haben. Ich komme selten unter drei Stunden aus den Gesprächen raus.

Worum geht es Ihnen bei den Gesprächen besonders?

Mir geht es darum, den Verstorbenen als Menschen kennen zu lernen – und zwar mit seinen Höhen und Tiefen. Viele haben das Gefühl, sie müssen nur die schönen Geschichten erzählen. Oftmals ist bei den Trauernden dann die Scham dabei. Aber es ist nicht immer alles Sonnenschein. Man muss dabei einen Zwischenweg finden. Das war am Anfang schon eine Herausforderung, denn man darf natürlich auch nicht parteiisch sein. Manchmal ist es ein schmaler Grad.

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Wie sind die Gespräche für Sie? Seit drei Jahren sind Sie zurück im Wittgensteiner Land – da kennen Sie viele der Angehörigen und die Verstorbenen.

Die meisten Gespräche enden mit einem Bier und es wird gemeinsam gelacht. Auch das gehört dazu – auch bei den Beerdigungen. Es wird geweint, geschmunzelt und auch gelacht. Ein Leben besteht aus Höhen und Tiefen. Ich bin niemand, der jetzt unbedingt in einem Anzug zu den Angehörigen fährt und ihnen mein Beileid ausspricht. Viele der Menschen kennen mich und wissen, wie ich bin. Natürlich gibt es Christiane, die Trauerrednerin und Christiane als Privatperson. Dennoch aber ist es mir wichtig, authentisch zu sein. Jeder Tod ist schrecklich – ob der Verstorbene jung oder alt war. Selbst wenn er für den Verstorbenen manchmal eine Erlösung darstellt – für die Hinterbliebenen ist es eine schmerzhafte Erfahrung. Oftmals schauen wir am Ende auch gemeinsam Bilder und Videos von damals an. Ich bin wirklich dankbar dafür, in den vergangenen Jahren auf diese Art und Weise die Menschen noch einmal kennenlernen zu dürfen.

Erinnern Sie sich noch an Ihre allererste Trauerrede?

Das war bei einer Familie, die ich kannte. Ich hatte sie bereits als Bestatterin betreut. Ich wurde gefragt, ob ich die Trauerrede halten würde. Da habe ich ja gesagt. Der Vorteil war, dass ich die Familie bereits vorab kennenlernen durfte. Am Tag selbst war ich dann schon sehr aufgeregt. Während der Trauerrede selbst legte sich das dann allmählich. Danach kamen die Anfragen von allein. Heute bin ich vor allem im Wittgensteiner

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Raum unterwegs, vereinzelt aber auch im Siegerland. Mir ist es aber wichtig, dass die Menschen wissen, dass ich als freie Trauerrednerin selbstständig bin und nicht an ein Bestattungsinstitut gebunden bin.

Wann schreiben Sie die Trauerreden? Haben Sie dabei einen bestimmten Ablauf?

Ich schreibe sie immer am Folgetag – egal, ob das Gespräch morgens oder abends war. Dann mache ich das Radio an und die Kanne Kaffee steht bereit. (lacht) Die Rede wird dann in einem Stück runtergeschrieben.

Wie lange dauert eine Trauerrede?

Das kann unterschiedlich sein. Manche Angehörige wünschen sich eine kurze Rede, das ist dann schon manchmal ein wenig schwieriger, das Leben zu komprimieren. Ganz klassisch aber dauert eine Rede bei mir in etwa 25 Minuten. Ich biete immer auch das „Vater Unser“ an, mehr Bezug zur Kirche wird es bei mir aber nicht geben.

Was ist der Unterschied zur klassischen Beerdigung?

An sich ist der Unterschied, dass eben kein Pfarrer dort steht, sondern ich. Bei den klassischen Beerdigungen gibt es in der Regel vorab eine Messe, danach geht es dann auf den Friedhof. Dabei aber geht es meist nur in wenigen Minuten um den Verstorbenen. Das finde ich schade. Denn eigentlich sollte er im Mittelpunkt stehen. Ich persönlich empfinde eine klassische Beerdigung auch oftmals als eher drückend. Der Tod schwebt über allem. Dabei geht es auch darum, an das Leben zu denken. Bei einer freien Trauerfeier erfahren die Menschen vor Ort zum Teil Dinge vom Verstorbenen, die sich vielleicht noch gar nicht wussten. Natürlich ist es keine Spaßveranstaltung, aber es darf auch bei einer Beerdigung mal geschmunzelt oder gemeinsam gelacht werden.

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Gibt es einen Moment, an den Sie auch heute ab und an noch denken?

Ich vergesse keine der Familien. Auch heute noch stehe ich mit den meisten in Kontakt, was sehr schön ist. Da wird dann mal eine Karte verschickt oder per Smartphone ‘Liebe Grüße’ geschickt. Einige Witwen von verstorbenen Jägern haben mir auch Andenken geschenkt, damit ich sie nicht vergesse. Das hat mich schon sehr berührt. Auch gab es einmal eine Dame, die in einem Pflegeheim lebte und dort immer mit den Pflegern zum Feierabend hin einen Schnaps trank. Sie war ein großer Handballfan und bei der Beerdigung wurde alles mit Fanartikeln geschmückt. Wir haben dann am Schluss der Trauerfeier auch einen Schnaps getrunken. Es gibt keine Fälle, die ich abarbeite. Ich mache es aus Überzeugung, aus Leidenschaft.

Können auch Freunde und Kollegen Wünsche für die Trauerrede miteinbringen?

Natürlich. Jeder ist zu den Gesprächen willkommen – egal ob Chef, Nachbar, Freund oder Partner. Das große Ganze ist wichtig. Aktuell aber ist das kaum möglich. Aufgrund von Corona ist alles auf ein Minimum reduziert – auch bei der Trauerfeier. Gerade einmal 25 Menschen dürfen dabei anwesend sein – das bedeutet

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für große Familien, dass die Enkelkinder des Verstorbenen teilweise nicht mit in die Friedhofskapelle dürfen und somit nicht an der Trauerfeier teilnehmen können.

Eine sehr bedrückende Situation...

Man kann sich nicht mehr in den Arm nehmen und auch die gemeinsame Zeit nach der Bestattung – die eigentliche Trauerfeier – ist derzeit nicht möglich. Die Trauernden werden mit ihrer Trauer alleine gelassen. Dabei wäre eine Umarmung gerade in diesen Zeiten sehr wichtig für sie.

Wie gehen Sie mit den Emotionen um?

Ich versuche immer, professionell zu bleiben, aber ich habe auch kein Problem damit, auch mal mit zu weinen oder zu lachen. Ich bin ein Mensch mit Emotionen. Ohne, könnte ich den Job gar nicht machen. Es sind eben Geschichten voller Emotionen.

Mit Christiane Enns sprach Ramona Richter.