Erndtebrück/Siegen. Vor der Erndtebrücker Hachenbergkaserne hat Theisen Soldaten zum Verrat von Geheimnissen aufgefordert, sagt die Anklage.

Im Juli 2019 stand der Friedensaktivist Hermann Theisen vor der Hachenberg-Kaserne in Erndtebrück und wollte Flugblätter verteilen. Eins wurde er los, dann stoppten ihn Beamte und beschlagnahmten die restlichen Exemplare, die er gerade bei sich trug. „53 Rote und 59 Gelbe“, wie am Freitag mehrfach im Saal 183 des Siegener Landgerichts festgestellt wird.

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Dort wird der Fall erneut verhandelt, der Ende Dezember 2019 bereits im Berleburger Amtsgericht Thema war. Theisen wurde seinerzeit für die Aktion vor der Kaserne zu einer Geldstrafe von 750 Euro verurteilt. Dafür, dass er die Flugblätter am 11. Juli auch noch per E-Mail an diverse Verwaltungsmitarbeiter sowie zwei Adressen in der Kaserne schickte, gab es einen Freispruch. Der Aktivist aus Hirschberg wollte aber mehr und legte Rechtsmittel ein. Auch die Staatsanwaltschaft ging in Berufung, wollte eine komplette Verurteilung. Nach fünf Stunden Berufungsverhandlung kann Theisen strahlen.

Starke Meinungsverschiedenheiten

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Die Meinungen sind vorher ziemlich auseinander gegangen. Zumindest die rechtliche Beurteilung. Theisen hatte am 8. Juli 2019 von 14 bis 16 Uhr eine Versammlung vor der Kaserne angemeldet und seine beiden Pamphlete bei den Behörden zwecks Beurteilung eingereicht. Das knallrote Flugblatt richtete sich gegen die deutsche Teilhabe an den amerikanischen Atomwaffen, das gelbe forderte Aufklärung über die Hintergründe der amerikanischen Drohnenpolitik und die Einbindung der Bundeswehr in Rammstein in diese Aktionen. Beides hält Hermann Theisen für hochgradige Verstöße gegen deutsche Rechtsnormen und ist der Überzeugung, die Öffentlichkeit wisse viel zu wenig darüber.

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Wenn allerdings mit den Flugblättern eine vollständige und rückhaltlose Aufklärung über die Hintergründe gefordert werde, „dann ist das alles“, findet Oberstaatsanwalt Christian Kuhli und sieht darin eine dezidierte Aufforderung an Soldaten und Zivilangestellten, auch Geheimnisse auszuplaudern, die möglicherweise die Bündnisfähigkeit der Bundeswehr sowie die Nationale Sicherheit in Frage stellten. Entsprechend wurde die Versammlung genehmigt, die Verteilung der Flugblätter aber untersagt, auf denen Theisen vor möglichen strafrechtlichen Folgen gewarnt hatte. Allerdings seien „Whistleblower“ durch eine EU-Richtlinie geschützt.

Versammlungsrecht nicht gebrochen

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Der Oberstaatsanwalt verweist auf ein obergerichtliches Urteil und sieht im begonnenen Verteilen der Zettel einen Verstoß gegen die Auflage aus dem Versammlungsrecht und im Gegensatz zu Amtsrichter Torsten Hoffmann auch in der Email die Verbreitung eines Aufrufs zu strafbaren Handlungen. Theisen habe ausdrücklich darum gebeten, die Schreiben zu verbreiten und nicht wissen können, an wen diese weitergeschickt werden könnten. Sollte die Kammer zu einer anderen Position kommen, fordert er im Plädoyer hilfsweise die Ladung aller Adressaten.

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Dazu kommt es aber nicht, weil die Berufungskammer unter Vorsitz von Richterin Bärbel Hambloch-Lauterwasser dem Friedensaktivisten in allen Belangen Recht gibt. Der hatte am 7. Juli an die Behörden geschrieben, die Kundgebung werde nur noch als Verteilung von Flugblättern erfolgen, tauchte am Folgetag - nach vorheriger Ankündigung - verspätet auf und blieb die ganze Zeit allein. Was für Hermann Theisen und seinen Anwalt Martin Heiming zugleich bedeutet hat, dass es gar keine Kundgebung gab.

Keine Personen - keine Versammlung

Die Tatsache, dass Theisen sich vorher bei der Polizei gemeldet habe, und dass zu keinem Zeitpunkt weitere Personen vor der Kaserne waren, machte für das Gericht klar: es gab faktisch keine Versammlung. Entsprechend sei auch ein Verstoß gegen eine damit verbundene Auflage unmöglich gewesen. Vor allem aber bewertet es beide Flugblätter nicht als strafwürdig. Bereits vorher war der „gelbe“ Zettel aussortiert worden, weil das Verteidigungsministerium selbst den Inhalt als unproblematisch eingestuft hatte. Für ihn seien beide gleich zu bewerten, findet Theisen und bekommt auch hier recht.

Die Aufforderung, Hintergründe ans Licht zu bringen, ist für das Gericht viel zu allgemein formuliert, um tatsächlich jemanden zu nötigen, Dienstgeheimnisse preiszugeben. Zudem gehe es um offene Geheimnisse, die in den Medien durchaus diskutiert würden, wenn auch vielleicht für Hermann Theisen zu wenig, stellt die Vorsitzende fest. Es handele sich hier um politische Beiträge zu einer kontroversen Diskussion, da seien auch überspitzte Formulierungen gestattet.

Christian Kuhli hatte zwischenzeitlich eine Einstellung wegen Geringfügigkeit angeboten. Er sehe das anerkennenswerte und menschliche Ziel hinter Theisens Aktivitäten und wolle dies honorieren. Verteidiger Martin Heiming hätte das gern schon zu Beginn des Verfahrens gehört und blieb bei seiner Forderung nach einem Freispruch. Und erhielt diesen auch.