Bad Laasphe. Die Spuren-Suche soll im Religionsunterricht am Schloss-Gymnasium Standard-Thema werden. Beim Freundeskreis rennt Lehrer Henkel offene Türen ein.
Es soll nur ein Anfang sein: 22 Schülerinnen und Schüler der Klasse 9b des Gymnasiums Schloss Wittgenstein haben sich kurz vor den Weihnachtsferien auf die Spuren jüdischen Lebens in der Laaspher Altstadt begeben. Was mit einer Stolperstein-Führung und einem Besuch der Alten Synagoge begann, soll im Religionsunterricht der Mittelstufenschüler zukünftig seinen festen Platz erhalten und um weitere Einblicke in die Geschichte der Laaspher Juden ergänzt werden.
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So stellt es sich Religionslehrer Wolfgang Henkel vor, der mit diesem Ziel beim Bad Laaspher Freundeskreis für christlich-jüdische Zusammenarbeit offene Türen einlief. Denn der Verein, der im Frühjahr die alte Laaspher Synagoge in der Mauerstraße erworben hat, will das ehemalige Gotteshaus im Zuge einer Sanierung zum Ort der Begegnung machen. „Es soll wieder Leben reinkommen“, sagt Freundeskreis-Vorsitzender Rainer Becker. Und Henkel unterstreicht das Anliegen, „die Schülerinnen und Schüler an diesem Leben teilnehmen zu lassen“.
Das Schicksal der Laaspher Juden
Kälte und Nässe begleiten die Exkursion durch die Laaspher Altstadt, die Schüler rücken dicht unter Regenschirmen zusammen. Becker zeigt den Jugendlichen zunächst mehrere Stolpersteine. Sie hat der Kölner Künstler Gunter Demnig seit 2006 zur Erinnerung an die Opfer der Nazi-Diktatur verlegt. Dann kommt Becker auf einige der Schicksale zu sprechen, die sich hinter den Namen auf den Stolpersteinen verbergen – ehe er den Schülern in der alten Synagoge weitere Einzelheiten aus der Geschichte der Laaspher Juden und ihres Gotteshauses vermittelt.
Anpassung oder Widerstand
Die Exkursion zu den Spuren jüdischen Lebens in Laasphe war Teil der Unterrichtsreihe „Anpassung oder Widerstand – Christen in den deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts“, in der auch das Verhältnis zwischen Christen und Juden in der Nazi-Diktatur behandelt wird.
Religionslehrer Wolfgang Henkel strebt eine dauerhafte Kooperation mit dem Bad Laaspher Freundeskreis für christlich-jüdische Zusammenarbeit an. Die geplante Sanierung der Synagoge sei der Impuls gewesen, die Geschichte jüdischen Lebens vor Ort näher zu thematisieren, sagte Henkel, der sich beispielsweise auch eine Mitwirkung von GSW-Schülern am Gedenken zur Reichspogromnacht am 9. November vorstellen kann.
Auch im Religionsunterricht der 10. Klassen setzt Henkel beim Thema „Juden in Deutschland“ auf außerschulische Lernorte: Gemeinsam mit seinem Kollegen Friedhelm Koch organisiert er Jahr für Jahr Exkursionen nach Berlin, wo Schüler Einblicke in das Leben der Jüdischen Gemeinde gewinnen. Die nächste Berlin-Exkursion findet im Februar statt.
Zwei Heizlüfter sorgen während des Schülerbesuchs für Wärme im kargen Innern des Gebäudes, dessen Erdgeschoss zuletzt als Schlosserei genutzt wurde. Rainer Becker geht – unter anderem mit Verweis auf ein altes Foto – auf Veränderungen im und am Gebäude ein: „Die Rundbogenfenster, von denen nichts mehr da ist, waren ein typisches Merkmal von Synagogen“, sagt er – und nennt den Grund, weshalb diese Fenster verschwunden sind: Sie wurden in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 eingeschlagen. Die Laaspher Synagoge wurde in dieser Nacht verwüstet, Mobiliar und Thora-Rollen wurden auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Die Schüler erfahren auch den Grund, weshalb die Nazis das Gebäude nicht in Brand setzten im Gegensatz zu vielen anderen Synagogen in Deutschland: Das lag allein daran, dass die Laaspher Synagoge so nah an den Nachbarhäusern stand, dass ein Übergreifen der Flammen zu befürchten gewesen wäre.
Bewegende Begegnungen
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53 jüdische Bürger aus Laasphe flüchteten bis 1941 ins Ausland, 73 Laaspher Juden wurden ab 1942 von den Nazis deportiert und ermordet. Es habe Patrioten unter ihnen gegeben, verdeutlicht Becker am Beispiel Max Prägers (1893 bis 1943), des letzten Laaspher Synagogenvorstehers: Wie so viele deutsche Juden hatte Präger im Ersten Weltkrieg gedient, er hatte Erfrierungen davongetragen und war mit dem Eisernen Kreuzes Erster Klasse ausgezeichnet worden. Das schützte ihn und seine Familie nicht vor der Deportation nach Auschwitz. Herbert Präger, der Sohn der Familie, war bereits im Februar 1943 dorthin deportiert worden. Max und Johanna Präger sowie ihre jüngste Tochter Ursula wurden in Auschwitz ermordet, Herbert und Hannelore Präger überlebten den Holocaust in Arbeitslagern.
Rainer Becker berichtet den Schülern von bewegenden Begegnungen mit Herbert Präger (1923 bis 2010), der nach dem Zweiten Weltkrieg nach Palästina ging und 1983 – 40 Jahre nach der Deportation seiner Familie – zum ersten Mal nach Laasphe zurückkehrte, wo es seit dem Holocaust keine jüdische Gemeinde mehr gibt. Tief beeindruckt, so Becker, habe ihn ein Besuch bei Herbert Präger 1993 in Israel. Mit drei weiteren Freundeskreis-Mitgliedern reiste Becker dorthin.
Nachdenkliche Zuhörerschaft
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Als er Herbert Präger von dem Vorhaben erzählt und sich nach einem Hotel erkundigt habe, so Becker weiter, habe dieser nur gefragt, wie viele sie denn seien. „Vier“, lautete die Antwort – und Herbert Präger habe daraufhin gesagt: „Dann kommt doch zu mir.“ Für Becker und seine Begleiter ein ganz bewegendes Zeichen des Willkommens.
Becker hinterlässt eine nachdenkliche Zuhörerschaft. „Es wurde erklärt, was passiert ist“, sagt die 15-jährige Laura im Gespräch mit unserer Zeitung. Besonders beeindruckt zeigt sich die Schülerin von der Detailliertheit, mit der Becker die Geschehnisse beleuchtete hatte – ein Punkt, den auch ihre 14-jährige Klassenkameradin Anna hervorhob.