Bad Berleburg. Der Wald steckt in seiner größten Krise. Forstdirektor Johannes Röhl hat Ideen zur Aufforstung und einer Flächenpauschale für Waldbesitzer.

Eines ist gut an der aktuell schwersten Krise der deutschen Forst- und Holzwirtschaft. „Der Wald ist präsenter als nach Kyrill und das Gute ist auch, dass wir in der Diskussion sind“, sagt Forstdirektor Johannes Röhl. „Kyrill, das waren 12 Stunden. Die Trockenheit und die Borkenkäferkalamität dauern jetzt schon zwei Jahre“. Im Gespräch erläutert der Leiter der Wittgenstein-Berleburg’schen Rentkammer – eines der größten privaten Forstbetriebe Deutschlands – wie eine Wiederaufforstung aussehen kann, warum sich Naturschutzziele dem Klimawandel anpassen sollten und wie Waldbesitzer dauerhaft für CO2-Bindung, Wasserfilterung und Erholungswert des Waldes entschädigt werden könnten.

Die Stadt Bad Berleburg hat gerade den Klimanotstand ausgerufen. Ist das Aktionismus oder ein wichtiges Signal?


Johannes Röhl: Es kommt sehr darauf an, was man daraus macht. Ich mag den Begriff Klimanotstand nicht, weil er gleich ein Katastrophenszenario auslöst. Wenn allerdings damit gemeint ist, dass sich eine Gemeinde intensiv mit dem Thema als Querschnittsaufgabe durch alle politischen Bereiche beschäftigt, kann daraus etwas Gutes werden. Aber dann müssen auch Aktionen folgen.

Sie leiten die Wittgenstein-Berleburg’sche Rentkammer, und damit einen der größte privaten Forstbetriebe Deutschlands. Der Klimawandel und die aktuelle Trockenheit samt Borkenkäferproblematik nagt an der Existenzgrundlage der Forstwirtschaft. Wie können große und auch kleine Forstwirte diese Katastrophe überleben?

Es gibt mittlere und kleine Betriebe, die alles an Substanz verloren haben. Da wird der Wald in den kommenden Jahren nichts zum Familieneinkommen beitragen können. Die größeren Betriebe sind sehr unterschiedlich betroffen. Für uns ist es wichtig, dass wir 2018 und 2019 nicht wesentlich mehr als einen Jahreinschlag an Käfer- und Trockenholz haben. Von der Liquidität her ist das eine schlimme Situation, weil die Preise durch die Krise von über 90 auf unter 50 Euro für das Spitzensortiment abgesackt sind. Wir können aber sagen, dass wir nicht mehr Verlust haben, als bei uns nachwächst. Es kommt jetzt darauf an, wie das nächste Jahr wird. Wenn wir in den Normalbetrieb kommen, werden wir auch wieder nachhaltig produzieren können.

Das ist aber der Blick in die Kristallkugel. Sie müssen jetzt auch auf besseres Wetter hoffen...

Das müssen wir. Der Idealfall wäre für uns ein nasser feucht warmer Winter und ein ebenensolches Frühjahr ohne Sturm und ein nasser Sommer. Dann kann es sein, dass die Borkenkäfergradation im nächsten Jahr zusammenbricht. Wenn wir einen kalten Winter, ein heißes Frühjahr, einen sonnigen April und trockenen Sommer haben, wird der Käfer weiter fressen und sich vermehren und keiner weiß, wie dieses Spiel ausgeht. Aber es nützt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Es ist hart und schwer, aber wir werden weiter Forstwirtschaft betreiben. Dabei muss uns die Gesellschaft helfen.

Wie sieht diese Hilfe aus?

Wenn wir es jetzt durch zielgerichtete gute Förderung schaffen, unsere Wälder wieder aufzubauen, dann sind die die Forstbetriebe auch bald wieder in der Lage, allein aus der Vermarktung ihrer Produkte zu existieren. Das wollen wir. Wir wollen keine Subsistenzwirtschaft.

Bund und Länder wollen 800 Millionen Euro für die Forst- und Holzwirtschaft locker machen. Sie sagen, dass es erhebliche Kritikpunkte am System der Fördermittel gibt. Beschreiben sie die Probleme für uns…

Ich fange mal mit dem Positiven an: Die Tatsache, dass die Mittel zur Verfügung gestellt werden, ist ein starkes und gutes Signal. Dieser große Topf mit Geld wird allerdings nur dann wirksam in die Flächen gebracht werden, wenn die Förderrichtlinien passen. Und da ist mein erster Kritikpunkt. Die Förderrichtlinien unterscheiden sich in den Ländern ganz erheblich. In NRW ist bei den Fördertatbeständen in der Richtlinien noch sehr deutlich Luft nach oben.

Forstdirektor Johannes Röhl, Leiter der Wittgenstein-Berleburg'schen Rentkammer, präsentiert die Rinde eines vom Borkenkäfer zerstörten Baumes. Röhl äußert sich zu den Chancen und Risiken, die aus dem aktuellen Waldsterben erwachsen.
Forstdirektor Johannes Röhl, Leiter der Wittgenstein-Berleburg'schen Rentkammer, präsentiert die Rinde eines vom Borkenkäfer zerstörten Baumes. Röhl äußert sich zu den Chancen und Risiken, die aus dem aktuellen Waldsterben erwachsen. © WP | Lars-Peter Dickel


Was meinen Sie konkret damit?

Die Förderung der Aufarbeitung von Schadholz ist unpraktikabel. Es darf nur die Aufarbeitung von frisch befallenem Käfer Holz gefördert werden. Das Holz darf nicht gesund, aber auch nicht tot sein. Nun kann es aber sein, dass ein Baum bei Beantragung frisch befallen ist. Dann müsste ich ihn sofort absägen. Das kann ich aber nicht, weil die Genehmigung zum Maßnahmenbeginn noch nicht da ist. Und wenn die kommt ist der Baum vielleicht tot und ich darf ihn gar nicht mehr gefördert schlagen. Das ist praxisfern. Ein zweiter wichtiger Punkt ist eine fachliche Sache.: Wir halten es für grundfalsch, dass der Einsatz von zugelassenen Pflanzenschutzmitteln von den öffentlichen Verwaltungen abgelehnt wurde und immer noch wird. Und ich gehe noch einen Schritt weiter: es ist falsch, dass der Einsatz von zugelassenen Pflanzenschutzmitteln nicht gefördert wird.

Es gibt aber ja Argumente, die sagen, dass man den Käfer unter der Rinde gar nicht erreicht und stattdessen die natürlichen Feinde des Käfers abtötet...

Das halte ich für eine falsche Einschätzung. Es ist natürlich so, dass ich die Zielorganismen erwischen will, dabei aber sicherlich auch andere Organismen betroffen werden. Bei den zugelassenen Borkenkäfermitteln gibt es einen ganz engen Bereich, in dem wir Pflanzenschutzmittel einsetzen dürfen, das ist die Behandlung von Holzpoltern, die vom Borkenkäfer befallen sind oder wo Befall droht .

Also ist es immer gefälltes Holz und kein Traktor der durch Beständen fährt und die spritzt?

Exakt und es ist auch kein Hubschrauber, der über den Wald fliegt und alles abtötet. Also: die Behandlung erfolgt extrem fokussiert auf den Borkenkäfer. Man sprüht in dem Moment, wenn der Käfer kurz vor dem Ausschlüpfen, also dem Ausbohren ist. Dann kommt er mit dem Gift in Kontakt und stirbt. Wenn der Landesbetrieb zum Beispiel sagt, wir wollen das nicht und packt stattdessen seine Holzpolter unter Vakuum in Folie ein, dann ersticken auch alle Tiere, die da drinnen sind. Wir wollen Chemie nur dort einsetzen, wo es unbedingt notwendig ist. Die Ultima Ratio brauche ich jetzt. Wir haben seit Kyrill keinen Tropfen eines Pflanzenschutzmittels im Wald ausgebracht. Wenn ich mir das Verhältnis beim Einsatz von Pflanzenschutzmittel zwischen Forstwirtschaft und Landwirtschaft anschaue, dann liegt das bei etwa 1000 zu 1. Wir haben in der Forstwirtschaft das Glück, dass wir im Normalfall auf den Einsatz verzichten können. Aber eben nicht im Katastrophenfall.


Es dürfe keine politischen Denkverbote geben, sagen Sie. Was halten Sie in diesem Zuge von der aktuellen und provokanten Forderung der Naturschutzverbände die Wiederaufforstung zu stoppen und den Wald sich selbst zu überlassen?

Das löst bei den Menschen, die wenig mit Wald zu tun haben die Assoziation aus: der Mensch zieht sich zurück und die Natur regelt alles wunderbar allein. Das ist reine Öko-Romantik. Die hat nichts damit zu tun, die Krise in der Wald und Forstwirtschaft zu bewältigen. Es gibt ja auch die anderen, die sagen, wir brauchen viel mehr laubholzreiche Mischbestände. Beides kann richtig sein. Was ich in der Diskussion vermisse, ist die Fachlichkeit. Es gibt in der Forstwirtschaft das eiserne Gesetz des Örtlichen.

Was bedeutet das genau?

Das heißt, der Standort definiert sich über das, was im Boden ist, über die Nährstoffe, die Durchwurzelbarkeit, das vorhandene Wasser und die Klimadaten. So unterschiedlich wie die Standorte sind, so unterschiedlich sind auch die Antworten auf diese Krise. Es gibt Flächen, die verjüngen sich von ganz allein und es gibt Bestände, da muss man aktiv einen Baumartenwechsel hervorrufen. Das wird zum Beispiel bei unseren Betriebsteilen im Bergischen Land und in Rheinland Pfalz der Fall sein. Dort können wir allein mit Nadelholz nicht weiter arbeiten.


Patentrezepte gibt es nicht?

Das wäre so als verabschiedete ich mich von differenzierter Medizin und behandle alle Krankheiten mit Heftpflaster und Aspirin. Mit Karo-Einfach-Lösungen können wir in der Öffentlichkeit vielleicht ein paar Punkte oder Wählerstimmen gewinnen, aber keine Krise in der Forstwirtschaft bewältigen - für eine Gesellschaft, die auch weiterhin einheimisches Holz haben will.

Bei der Wiederaufforstung gehen sie einen Schritt weiter als diejenigen, die bislang nur auf Mischwälder aus heimischen Baumarten gesetzt haben. Sie sagen, dass man neben der Douglasie auch andere amerikanische Nadelbaumarten in Betracht ziehen sollte. Warum?

Man glaubt, dieser dramatischen Klimaveränderung mit heimischen Baumarten Herr werden zu können. In Europa haben wir aber die geographische Situation, dass das Ost-West-Streichen der Gebirge dazu geführt hat, dass zahllose Nadel- und Laubbaumarten, die vor der Eiszeit bei uns waren einfach zerquetscht worden sind - Gletscher von Norden, Hochgebirgsbarriere im Süden. Dadurch sind viele Arten ausgestorben. Auf dem amerikanischen Kontinent streichen die Gebirge von Nord nach Süd. Das heißt die Bäume konnten den Gletschern quasi ausweichen und zurückkehren.


Welche heimischen Nadelhölzer sind den forstwirtschaftlich relevant?

Das sind nicht viele. Das sind die Fichte, die Tanne, das sind ein paar Kiefernarten, das ist die Lärche, die Eibe und der Wachholder... Das war’s. Und bei den forstlich relevanten Laubbaumarten ist es nicht viel anders. Gleichzeitig haben wir die Situation, dass die „hochstabile“ und für den Waldumbau sehr empfohlene Tanne in weiten Teilen des Schwarzwaldes abstirbt. Was der Fichte passiert, sehen wir hier. Die Buche stirbt auf tausenden Hektar ab in Deutschland. Die Esche stirbt durch das Eschentriebsterben. Die Ulme haben wir schon vor 100 Jahren verloren. Der Ahorn bekommt zunehmend die Ahorn-Ruß-Krankheit und stirbt ab. Das heißt, es wird eng mit heimischen Baumarten. Wir haben es mit Bedrohungen von außen zu tun, und meinen mit Hausmitteln dagegen anzugehen, das funktioniert nicht. Es geht nicht um den großflächigen Anbau fremder Baumarten, aber wir brauchen sie als ein Element in den neu aufzubauenden Wäldern.

Und die Douglasie?

Da haben wir 120-, 130-jährige Bestände bei uns. Die haben alles überstanden, Kyrill und die jetzige Trockenheit. Wir haben sehr gesunde Douglasienbestände neben absterbenden Fichtenbeständen. Der Borkenkäfer ist wirtsspezifisch, der geht nicht an die Douglasie.


Der Klimawandel wird langfristige Veränderungen mit sich bringen. Das heißt die Natur mit ihren Pflanzen und Tieren verändert sich weiter. Vor diesem Hintergrund sehen sie auch Naturschutzziele auf dem Prüfstand. Was bedeutet das?

Ein kleines Beispiel. Wir haben über 4000 Hektar in unserem Betrieb als Natura-2000-Gebiet ausgewiesen. In nationales Recht umgesetzt, sind diese Flächen als Naturschutzgebiet ausgewiesen worden. Zielsetzung dort ist die Erhaltung der Buchenhochlagenwälder . Dieses Ziel ist in Stein gemeißelt und offenbar unveränderbar. Wir sehen jetzt aber nicht erst seit diesen beiden witterungsmäßigen extremen Jahren, dass diese käseglockenmäßigen Naturschutzziele nicht mit einem Wald kompatibel sind, der sich ständig verändert, gerade im Zuge der Klimaänderung.

Können sie das noch mehr erläutern?

Oftmals ist es so: Jemand ist mit Naturschutz betraut und sieht einen Zustand im Wald, den er besonders naturschutzwürdig findet und möchte den erhalten. So funktioniert Wald aber nicht. Ein alter Baum, den man schön findet stirbt irgendwann ab, fällt um und ist weg und es kommt ein neuer Wald, den man vielleicht nicht so schön findet. Da fehlt mir ganz deutlich die Einsicht, dass auch Naturschutzziele an die sich veränderten klimatischen Bedingungen angepasst werden müssten.


Forstwirtschaft ist immer ein langfristiges Projekt. Wenn die Kahlschläge aufgeforstet sind, oder die Naturverjüngung greift wird es doch viele Jahrzehnte dauern, bis der Wald wieder profitabel genutzt werden kann. Womit kann eine Rentkammer oder ein Waldbauer Geld verdienen?

Wir wollen von den Produkten des Waldes leben. Ein Produkt ist das Holz. Da bildet sich ein Preis und da ist ein Markt. Wir haben aber auch zahllose andere Produkte, die wir seit Jahrhunderten der Gesellschaft liefern: CO2-Bindung, Sauerstoffproduktion, Wasserspende, Erholungsraum, Raum für Arten- und Naturschutz. Das alles liefern wir frei Haus, ohne dass die Gesellschaft irgendeine Gegenleistung dafür liefert. Diese Zeit ist vorbei. Das können wir nicht mehr leisten. Wir müssen einen fairen Transfer für diese Leistungen bekommen.

Wie sollte eine solche Finanzierung aussehen?


Es gibt viele Berechnungen, wieviel CO2 im Wald gebunden wird. Daraus könnte man mit den anderen Erhebungen, die sagen, wie viel Aufwand der Waldbesitzer betrieben muss, um touristische Infrastruktur zu erhalten und Naturschutz anzubieten, berechnen. Da Wir brauchen eine Flächenpauschale, die für diese gesellschaftlichen Leistungen des Waldes gezahlt wird.

Wie viel Geld sollte das pro Hektar sein?

Wenn ich anschaue, wie hoch die Aufwendungen für Erholungsnutzung , das sind zwischen 50 und 60 Euro pro Hektar. Wenn ich dann sehe, dass eine Tonne CO2 mit etwa 40 Euro bepreist wird, und weiß dass etwa vier Tonnen pro Hektar Wald gebunden werden, dann wären 200 Euro pro Hektar und Jahr als Flächenpauschale für die Abgeltung der gesellschaftlichen Leistungen des Waldes absolut angemessen. Dann bräuchten wir uns nach der Bewältigung der derzeitigen Krise auch nicht über weitere Förderrichtlinien zu unterhalten.