Wittgenstein/Südtirol. Vom Königssee bis Südtirol: Vier Männer aus Wittgenstein stürzen sich in das Abenteuer ihres Lebens. Und das alles 400 Kilometer zu Fuß.
Bei seiner Alpenüberquerung hatte das Quartett keine Elefanten mit wie Hannibal vor über 2000 Jahren – dafür aber unter anderem Funktionswäsche, Ladekabel, Elektrolyte, Powerbank und Trekkingschirme. Zur Vierergruppe, die Anfang August Richtung Süden gestartet ist, gehörten „Expeditionsleiter“ Frank Schuster aus Bad Berleburg, die Wunderthäuser Martin Schneider (55) und Tobias Riedesel (28) sowie Johannes Mause (26) aus Hallenberg, der sich auf halber Strecke zwischen Berchtesgaden und Kaltern in Südtirol einklinkte.
Die Idee
Wie kommt man auf die Idee, eine Strecke von rund 400 Kilometern zu Fuß durch das höchste Gebirge Europas zu laufen? „Ich hatte immer schon vor, eine Langtour zu gehen“, berichtet Frank Schuster (60), der seit 2001 Bergtouren, Klettern, Mountainbiking zu seinen Hobbys zählt und sich in den Alpen auskennt wie in seiner Westentasche. Da ihm andere Touren wie München – Venedig zum Beispiel nicht zugesagt haben, hat er eine eigene ausgearbeitet.
Die Vorbereitungen
„Ich wollte abseits der Touristenrouten laufen und wäre notfalls auch alleine gegangen“ – aber Martin Schneider war sofort dabei. „Wir kennen uns alle durch die Backgemeinschaft Wunderthausen.“ Schuster hat zwei Jahre geplant, dann stand die Route fest, Übernachtungsmöglichkeiten waren gebucht, Urlaub in der Firma angemeldet und etliche Trainingskilometer absolviert. Eine sehr gute Kondition ist Voraussetzung für die Königsdisziplin des Wanderns. Laufen, Radfahren, Joggen – teils mit gepacktem Rucksack. „Das ist schon etwas ganz anderes“, hat auch Schneider im Vorfeld gemerkt.
Thema Gepäck: Was muss rein? Was kann zu Hause bleiben? So wenig wie möglich, so viel wie nötig. Erfahrung vergangener Touren waren auch hier von Nutzen. „Technik braucht man“, wirft Riedesel ein und Kleidung für alle Wetterverhältnisse. Das erwies sich auch als richtig, denn „wir hatten von Minustemperaturen bis 30 Grad alles. Sonne, Regen, Graupel, Nebel ... als wir eines Morgens ‘rausguckten, sogar Schneefall.“ so Schuster rückblickend. Beim Start zum 23-tägigen Abenteuer am Königssee waren alle angespannt. Werden wir es schaffen?
Das Wetter
Nach den ersten vier Tagen musste wegen Schlechtwetter zwangsweise ein Ruhetag in einem Hotel im Tal eingelegt werden. Im Nachhinein nicht schlecht, das gab die nötige Kraft zum weiteren Durchstarten. „Muskelkater hatten wir übrigens nur in den ersten Tagen, danach nicht mehr. Nur bei schlechter Wetterprognose wurde zwischendurch mal eine Seilbahn genutzt oder ein (Taxi-)Bus, denn das Tagesziel musste – egal wie – erreicht werden. Die Schlafplätze auf den Hütten oder in Hotels waren nur für den jeweiligen Tag beziehungsweise diese Nacht reserviert.
Einziges negatives Erlebnis in der Richtung: Der Hüttenwirt vom Riemann Haus vergibt die Zimmer schon nachmittags um 16 Uhr weiter. Da bekamen wir spät abends ein Notlager. Das fängt ja schon gut an!“ haben alle gedacht. Doch das war das einzige Vorkommnis dieser Art. Ansonsten lief diesbezüglich alles glatt.
Die Herausforderungen
Morgens zeigte Frank oft mit dem Stock in die Ferne: „Da wollen wir heute hin!“ Zweifelnde Blicke waren abends vergessen. „Man erlebt sagenhafte Sonnenaufgänge, hört das Rauschen der Gebirgsbäche und vor allem die Aussicht war atemberaubend.“ Riedesel kann sich nicht entscheiden: Waren die Weiten zwischen den Hütten in Österreich am beeindruckendsten oder die Dolomiten?, aber Vorsicht: „Gucken und Laufen ist tödlich!“, warnt Schuster, „da passieren die meisten Unfälle. Man muss schon konzentriert sein. Wie setze ich die Schritte? Teilweise geht es neben dem Pfad hundert Meter bergab oder die Steine sind durch Feuchtigkeit extrem glatt.“
Wittgensteiner Wanderer überqueren die Alpen in drei Wochen
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Der Weg führte auch durch Schneefelder und vorbei am Gletscherschliff und insgesamt vier große Scharten. „Auf manchen Wegen haben wir keinen Menschen gesehen“, erinnert sich Schneider. Und einmal noch weniger. Nebel, schlechte Beschilderung – der Umweg kostete Zeit und Höhenmeter. Man muss abwägen und die Kräfte einteilen, darf die Beine nicht überlasten, beispielsweise beim Anstieg auf den 3148 Meter hohen Piz Boe. Auch nicht zu unterschätzen: bergab im schwierigen Gelände. Das drückt auf die Stöcke.“
Viele Hütten seien inzwischen mit Dusche ausgestattet und die Zimmer ganz akzeptabel, nur einige noch recht spartanisch eingerichtet. Das Essen war auch überall gut bis sehr gut, so gab es etwa Käse-Speck-Knödel oder Kaiserschmarrn. Meist Drei-Gänge-Menü mit landestypischen Gerichten. „Es gibt Hütten mit Frühstücksbuffet – erste Sahne!“ Dass das Ganze teurer ist, ist klar, es muss ja alles hinaufgebracht werden.
Zwischendurch Wäsche waschen gehört auch dazu oder man nutzt den Wäscheservice wenn man mal im Hotel übernachtet. Die Einheimischen – ob auf den Hütten oder anderswo – waren total nett und gastfreundlich, hilfsbereit. Es gab Tipps und Infos, z.B. der Rat, bei schlechtem Wetter nicht auf der geplanten Route weiterzugehen. Einmal wurde vom Hüttenwirt sogar eine kostenlose Talfahrt mit der Seilbahn organisiert.
Die Begegnungen
Die Alpen-Überquerer
Frank Schuster aus Bad Berleburg ist 60 Jahre alt, verheiratet, hat eine Tochter und zwei Enkel. 20 Jahre lang war er Bergmann, Sprengmeister unter Tage und im Steinbruch Böhl in Raumland, seit 20 Jahren ist er nun Anlagenführer bei Firma Steiner in Schameder.
Martin Schneider aus Wunderthausen ist 55 Jahre, verheiratet, hat zwei Kinder und zwei Enkel und ist Soldat a.D.
Tobias Riedesel aus Wunderthausen ist 28 Jahre alt, ledig und als Verwaltungsfachangestellter bei der Stadt Bad Berleburg, Abteilung Wohnen, Stadt- und Dorfentwicklung, tätig.
Johannes Mause aus Hallenberg 26 Jahre alt, ledig und von Beruf Elektriker.
Ein anderes Hüttenerlebnis: Der Paolina-Hüttenwirt im Rosengarten musste zum Einkaufen ins Tal, ernannte Frank kurzerhand zu seinem Stellvertreter und übertrug ihm den Thekendienst. „Dafür war dann ein Teil unserer Getränke umsonst.“ Schuster winkt ab. „Auf’m Berg sind wir alle eine große Familie!“ Um 22 Uhr ist dort übrigens Schluss. Und morgens um 6 Uhr war Aufstehen angesagt.
„Wir haben etliche Leute kennengelernt.“ Woher kommt ihr? Wohin wollt ihr? Von den meisten ernteten wir Respekt und Bewunderung. „Sie waren beeindruckt, was wir vorhaben.“ Eigentlich wurde prinzipiell tagsüber kein Alkohol getrunken, aber unterwegs bekam die Gruppe einmal von Murmeltierjägern eine Einladung zu Zirbenschnaps. Ansonsten gab es zwischendurch nur Elektrolyte in Form von Sportler-Gel, „weil viele Mineralien ausgeschwitzt werden.“ Tierische Begegnungen erlebten die Vier mit Alpensalamander, Murmeltier, Falke, Gemse, Auerwild und einer ‘aggressiven’ Kuh, die unbedingt Tobias’ Rucksack fressen wollte, weil darin Brot war. Steinböcke haben sie leider und den Problembär, der in einer Südtiroler Region unterwegs war, „Gottseidank“ nicht gesichtet, obwohl wir „sechs Kilometer von der letzten Sichtung entfernt hergelaufen sind.“ Dafür aber Hubschrauber, die ein arabisches Staatsoberhaupt und seine Gäste zu einem abgeschotteten Hotel auf der Seiser Alm geflogen haben.
Neben einzigartigen und wunderschönen Naturlandschaften bleiben aber auch die Sturmschäden am Karer See in Südtirol im Gedächtnis. „Ganze Berge liegen kahl.“ Über 100 Jahre alte Bäume, traditionell für den Geigenbau verwendet. Oder die Eindrücke an den „Drei Zinnen“, der Hauptkampflinie im Ersten Weltkrieg. Und wie ist es, wenn man sich drei Wochen nicht aus dem Weg gehen kann? „Die drei Wochen waren harmonisch“, bestätigen alle. Und wenn der Gesprächsstoff mal zu Ende ging, wurde abends Skat gespielt. Die Erinnerungen an das Erlebte werden den Tourteilnehmern aber wohl nie ausgehen. „Froh, dass man es gemacht hat und dass ich drei Mitstreiter hatte“, resümiert Schuster, „und dass keinem was passiert ist.“ Im Gegenzug „Lob an Frank mit seinem riesigen Fachwissen, das er auch unterwegs beigesteuert hat. Großen Respekt! Es war alles andere als langweilig! Für mich war es das Größte, was man erleben kann“, bestätigt auch Martin Schneider. „Diese Bilder, die die Natur präsentiert. Das wird einem ewig nachhängen.“
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