Quito/Bad Laasphe. Die Bad Laaspherin Lisa Achatzi ist eine emotionale Frau. Geschehnisse, positive wie negative, gehen nie einfach so an ihr vorüber.
Als Lisa Achatzi vor zwei Wochen von ihrer Tour berichtete, lagen Höhen, aber vor allem auch Tiefen hinter ihr. Es war das erste Mal der Punkt erreicht, dass ihr soziale Kontakte schmerzhaft fehlten, tagelang hatte sie mit niemandem gesprochen. Auch die Wege über die mit Lkws übersäten Panamericana-Route waren beschwerlich. Inzwischen hat Achatzi Kolumbien verlassen und ist in Ecuador angekommen, wo rund 17 Millionen Menschen leben. Schon beim Überqueren der Grenze wird klar, dass nichts wie zuvor ist.
Die zweite Welle
Lisa Achatzi ist eine emotionale Frau. Geschehnisse, positive wie negative, gehen nie einfach so an ihr vorüber. Schon der Tonfall im ersten Satz ihrer Sprachnachricht macht klar, dass beim Überqueren der Grenze nach Ecuador nicht alles reibungslos lief.
An den Kontrollen ist es wegen den Unruhen in Venezuela und den Scharen an Geflüchteten ziemlich chaotisch. Erst weiß Achatzi nicht, welches Gebäude das richtige ist, dann betritt sie das falsche: „Auf dem Boden saßen oder schliefen zig Venezolaner, die auf ihre Einreise warteten. Die Leute sahen einfach nur erschöpft aus.“ Später erklärt ihr eine Frau, dass dies gerade die „zweite Welle“ Geflüchteter sei. Zuerst würden die Männer ausreißen, um in einem anderen Land eine sichere Unterkunft vorzubereiten, dann kämen die Familien nach.
Bilder für das ganze Leben
Größtenteils sind es Kleingruppen, darunter viele Familien, die Ihr Hab und Gut auf kaputten Trolleys transportieren und es an der Straße entlang per Anhalter versuchen. Viele fallen durch Rucksäcke von UNICEF auf. Es sind Bilder, die Achatzi ihr ganzes Leben nicht vergessen wird: „Man muss sich das einfach vorstellen. Diese Leute haben alles hinter sich gelassen. Sie haben bereits Kolumbien komplett durchquert und versuchen jetzt irgendwie weiterzukommen.“
Sie denkt dabei auch an ihre eigene Reise – zwar für den guten Zweck, doch letzten Endes auch zum Spaß. Das alles mit einem modernen Fahrrad, technischen Geräten, Werkzeug und Medizin. Gegensätzlicher geht es nicht. Achatzi weiß spätestens jetzt, dass ihre Entscheidung, Venezuela auf ihrer Route zu meiden, die richtige war.
Als dem dortigen Staatspräsidenten Nicolás Maduro Wahlbetrug und Korruption vorgeworfen wurde, kam es zu Aufständen. Laut Uno-Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) sind rund 2,3 Millionen Venezolaner auf der Flucht. Im Juli 2019 wurde den Vereinten Nationen ein Bericht mit Belegen über Folter und Exekutionen vorgelegt. Es sind diese Dimensionen, die Achatzi an der Grenze zu Ecuador mit voller Wucht erfassen.
Erst Couch, dann Uni
Knapp 150 Kilometer treibt es Achatzi ins Landesinnere, bis sie in Ibarra ankommt. Über die Internetplattform „Couchsurfing“ organisierte sie sich einen kostenlosen Schlafplatz. Ihr Gastgeber heißt Mauricio Matabay und gibt Kurse an der Universität. Da zufällig auch das Thema Reisen auf seinem Lehrplan steht, bittet er Achatzi um einen Vortrag. Einen Sonnenaufgang später steht sie vor Studierenden und informiert über alternative Reisearten. Sprachlich gibt es keine Probleme, in kaum einem anderen Land wird die spanische Sprache deutlicher ausgesprochen. Die Strapazen der Grenze kann sie ablegen, alle sind freundlich und hilfsbereit. Ihr Gastgeber kontaktiert seine Familie in Quito, Ecuadors Hauptstadt und Achatzis nächstes Ziel, und organisiert ihr die nächste Couch. Auf den Straßen dorthin ist es wieder die Natur, die den Weg zum Ziel macht: „Ich bin überrascht, dass ich noch keinen Unfall gebaut habe, weil ich die ganze Zeit mit offenem Mund in der Gegend rumschaue.“ Ihre Sprachnachrichten öffnen kurzzeitig Fenster in eine andere Kultur. 19. September: „Ich habe Tofu gefunden!“, ruft Achatzi lachend, als sie eine Supermarkt-Kette findet, die veganes und vegetarisches Essen anbietet. In Kolumbien war das noch undenkbar. 21. September: „Bin gerade über den Äquator gerollt.“
Bier aus Babyfläschchen
In der zwei-Millionen-Metropole Quito angekommen, „haut die Gastfreundschaft von Familie Matabay einfach um“. Achatzi fühlt sich auf Anhieb pudelwohl, man redet viel und isst gemeinsam. Dann der erste gemeinsame Termin: eine Babyparty. Als vier Frauen Bier aus Babyfläschchen exen, wird Achatzi noch verschont. Schließlich darf sie danach vor versammelter Runde eine Geburt vorspielen. Und weil sich Achatzi dabei so gut anstellt, darf sie noch eine zweiminütige Rede für die Mutter halten. Der ganz normale Wahnsinn. Am Tag danach ist ihre Stimme so tief wie die von Barry White. Die Babyparty muss gut gewesen sein. Doch Achatzi steigt wieder auf den Sattel – mit einem Lunchpaket und viel Herzlichkeit von Familie Matabay.