Bad Laasphe/Medellín. Lisa Achatzi aus Bad Laasphe fährt für SOS-Kinderdörfer mit dem Rad durch Südamerika. Schon auf der ersten Etappe kommt sie an ihre Grenzen.
Vor zehn Tagen landete Lisa Achatzis Flieger in Kolumbiens zweitgrößter Stadt Medellín. 35 Kilo Gepäck und ihr „Little Black Panther“, wie sie ihr Fahrrad nennt, sind im Frachtraum mit dabei. Seitdem sendet sie Sprachnachrichten in kleinen Häppchen, wenn es das Internet in kleinen Dörfern und tiefster Natur zulässt. Von Kolumbien zum Südzipfel nach Feuerland und landeinwärts nach Brasilien, führt ihre Tour durch insgesamt neun Länder, in denen 83 SOS-Kinderdörfer ein Zuhause bieten. Einige von ihnen wird sie besuchen, um vor Ort zu helfen und zu berichten. Über ein Jahr wir Achatzi dafür unterwegs sein. Auf ihrer ersten Route stehen aber zunächst viele Höhenmeter an, Kinderdörfer wird die 30-Jährige auf den weiteren Etappen erreichen.
„Meine Lunge brennt“, sind Achatzis erste Worte. Sie ist auf dem Weg zwischen Medellín und Guatapé. Es geht rauf und runter, Straßen sind nicht immer als welche auszumachen. Sie meldet sich aus 2100 Meter Höhe, 500 Höhenmeter liegen noch vor ihr. Von ihrem Hostel aus begann ein Weg mit extremer Steigung, wo sich die 35 Kilo Gepäck jetzt mehr denn je bemerkbar machen. Erschöpft muss sie absteigen: „Ich habe es einfach nicht gepackt und musste schieben. Dann wurde mir schwarz vor Augen und ich dachte kurz, dass ich zusammenklappe.“ Die körperlichen Grenzen gehen direkt in die emotionalen über, das erste Mal befallen sie Selbstzweifel. „Ich kriege das alles überhaupt nicht hin“, redet sie sich ein. Nach einer längeren Pause beschließt sie, die Route zu ändern. Doch nach ein paar Metern springt ihre Fahrradkette ab, alles wieder auf Null.
Fahrrad-Reparatur für 50 Cent und eine Tüte Bonbons
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Es sind genau diese Situationen, die Achatzis Charakter und Einstellung für eine solche Tour zeigen. Statt in Selbstmitleid zu baden, nimmt sie Situationen wie diese mit Humor. „In dem Moment schaute ich umher. Um mich herum kreisten plötzlich ein paar Geier“, lacht sie. Ein guter Moment, um nicht aufzugeben.
Immer wieder ist es die Hilfsbereitschaft der Menschen, die sie beeindruckt. Bei einem weiteren Anstieg macht ihre Gangschaltung Probleme, besonders am Berg ein ziemlicher Horror. In Guatapé angekommen, sucht sie eine Werkstatt auf. Ein winziges Teil des Vorderrads ist stark verbogen, zwei Stunden muss Achatzi warten. Den Preis für die Reparatur kann sie allerdings nicht akzeptieren: der Mann verlangt 50 Cent. Lisa gibt ihm das Doppelte und eine Tüte „nimm2“.
Flicken im Nirgendwo
Endlich kann es weitergehen, unter anderem auf der steilen Abfahrt eines Schotterweges. Sie stürzt, weil ein Zahnstocher ihren Reifen durchbohrt. Passiert ist nichts Schlimmes, doch statt Essen und Pause, muss sie ihr Flickzeug in die Hand nehmen. Das Tagesziel in weiter Ferne, steht sie bei Einbruch der Dunkelheit im Nirgendwo. Als sie beschließt, ihr Zelt aufzubauen, schießt ein Auto an ihr vorbei und fragt nach ihrem Befinden: „Es war ein Amerikaner, der eine Ranch in der Nähe besaß und da bin ich jetzt. Seine Bediensteten haben mir etwas zu Essen gemacht. Läuft bei mir!“, klingt Achatzi erfreut und erleichtert.
Verrückte Radsportnation
Kolumbien ist eine verrückte Radsportnation, viele sind auf dem Rennrad unterwegs. Am Berg feuern sie Achatzi mitsamt Gepäck beim Vorbeifahren an, Autofahrer hupen und ermutigen sie. Als sie hinter einem Tiertransporter fährt, fällt eine eingepferchte Kuh auf die Vorderbeine und versucht vergeblich wieder hochzukommen. Die Tiere sind darin regelrecht gestapelt, in Kolumbien völlig normal. Lisa muss am Straßenrand anhalten, Tränen laufen an ihren Wangen herunter. Die Berg- und Talfahrten sind nicht nur welche durch Avocado-Plantagen und beeindruckende Landschaften, sondern auch täglich sehr emotionale.
Ein anderer Mensch
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Schließlich darf sie ihr Zelt bei einer Familie im Hinterhof aufschlagen. Wieder wird sie bekocht, für 50 Cent kann sie den Pool benutzen. „Das Besondere ist hier, dass drei Generationen unter einem Dach leben. Im Haus gibt es nur das Nötigste. Ein Bett, eine Küche, ein Fernseher, das ist alles. Sie sind die ganze Zeit zusammen und machen alles gemeinsam. Dieses Familienbild beeindruckt und zeigt, was Familie eigentlich bedeutet.“ Es sind vor allem diese zwischenmenschlichen Eindrücke, die Achatzi schon nach den ersten Etappen klarmachen: „Ich bin schon jetzt ein anderer Mensch, als der, der in Düsseldorf in den Flieger stieg.“