Bad Laasphe/ Berlin. . 19.000 Kilometer legt die Bad Laaspherin auf ihrem Fahrrad zurück. Sie fährt von Kolumbien über Feuerland nach Brasilien - für den guten Zweck.

Gereist ist Lisa Achatzi auch früher schon. Mal hier, mal dort zu sein, gehört für die 30-Jährige schon immer zu einem glücklichen Leben. Doch erst, als sie vor ein paar Jahren auf Kuba ankommt, verändert sich etwas Grundlegendes.

„Die Zeit dort hat meine Vorstellung und meine Herangehensweise, wie ich reisen möchte, stark beeinflusst. Mir wurde klar, dass ich anders reisen möchte, als es Touristen normalerweise tun“, erinnert sich Achatzi. Kuba wird für sie zu einem Aha-Erlebnis, das auch 2019 noch nachwirkt.

H&M statt Demut

Gründe für diese Wandlung summierten sich mit jedem Tag vor Ort, besonders ihre westlichen Lebensvorstellungen spielten dabei eine Rolle: „Ich kam mir oft schlecht vor, denn mein Motto bei Reisebeginn war ‚Ich reise, bis ich kein Geld mehr habe’, aber dann habe ich dort Menschen getroffen, die in ihrem ganzen nie Leben genügend Geld haben werden, um überhaupt zu verreisen. Das ändert den Blick auf die Dinge sehr.“

Die Weltkarte in ihrer Wohnung zeigt die Länder, die die Bad Laaspherin bereits bereist hat.
Die Weltkarte in ihrer Wohnung zeigt die Länder, die die Bad Laaspherin bereits bereist hat. © ACHATZI

Einmal lernte Achatzi Leute kennen, die eine Weltreise machten. Sie erzählten ihr, dass sie die jeweiligen Hauptstädte inklusive Sehenswürdigkeiten besuchen und dann weiterziehen. Ein solches Verständnis von Weltreise kann Achatzi nicht nachvollziehen: „Sorry, aber da kann man nicht sagen, in einem Land gewesen zu sein.“ Ein anderes Mal bekommt sie mit, wie sich Touristen darüber beklagen, dass es auf Kuba noch nicht einmal einen H&M gäbe: „Es sind die gleichen Leute, die dort für einen Euro ein komplettes Abendessen bekommen und dann beim Trinkgeld knausern.“

Von PETA nach Kolumbien

Durch solche Erlebnisse wurde Achatzi klar, dass gebuchte Reisebüro-Urlaube in vielen Fällen eine Selbstverständlichkeit beinhalten, die mit dem Leben der Einheimischen unvereinbar sind. Sie schildert diese Beispiele über Egoismus und Arroganz auch, um zu zeigen, wie sie nicht reisen und schon gar nicht sein möchte – um in einem fremden Land eben nicht zu sagen: Hier bin ich! Wo ist mein Burger?

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Doch gut denken und gut handeln sind manchmal zwei verschiedene Sachen, das wusste schon der große Schriftsteller Henry David Thoreau, der einmal sagte: Sei nicht einfach gut – sei gut für etwas! Lisa Achatzi hat dieses Motto in den letzten Jahren nicht nur privat, sondern auch beruflich verinnerlicht.

In Berlin wird sie bis zum Abflug nach Medellin, Kolumbien, bei der weltweit größten Tierrechtsorganisation PETA arbeiten. Und wenn sie in der Vergangenheit mal nicht für den Schutz von Tieren vom Schreibtisch aus gekämpft hat, trat sie in ihrer Freizeit für einen guten Zweck in die Pedalen.

Auf Familienspuren

Mitte 2017 fuhr sie auf dem Fahrrad durch Polen und Tschechien, um sich auf die Pfade ihrer familiären Wurzeln zu begeben. Die Familie mütterlicherseits aus Schlesien, die des Vaters zum Teil aus Iglau, wo der Großvater aufwuchs, fragte sich Achatzi, wann und wo sich ihre Familie zum Beispiel zu Kriegszeiten aufhielt.

Sicherheit geht für Lisa Achatzi vor

Es kann hilfreich sein, sich vorab über das Land zu informieren, das man mit dem Fahrrad durchquert. Denn bei aller Reiselust spielt für Lisa Achatzi der politische Status quo eines Staates bei ihren Planungen eine wichtige Rolle. Es ist daher naheliegend, dass sie Venezuela aufgrund der dortigen Unruhen nicht anfahren wird. Schon deshalb weiß Achatzi bis zu ihrem Abflug ständig über die Hinweise des Auswärtigen Amtes Bescheid.

Auf der anderen Seite sind da die unzähligen Fragezeichen, die eine solche Tour eben ausmachen. Der deutsche Dokumentarfilm „Weit. Die Geschichte von einem Weg um die Welt“ (2017) inspirierte Achatzi diesbezüglich sehr: „Der Film macht deutlich, dass sich eigentlich nichts planen lässt.“ Im Endeffekt sei es so, erzählt Achatzi weiter, wie es Gwendolin Weisser, eine der beiden Hauptfiguren des Films sagt: „Wir hatten kein Glück, wir hatten einfach nur kein Pech.“

Das Zitat spricht eine Herangehensweise an, die Achatzi als „gesunden Menschenverstand“ umschreibt. Naivität und fehlender Respekt können auf einer solchen Reise zu Problemen führen, die größer sind, als ein kaputter Fahrradschlauch. Von ihrem Vater weiß sie, dass er sich wahnsinnig Sorgen macht, doch versucht sie zu beruhigen: „Ich bin seine einzige Tochter und manchmal habe ich das Gefühl, dass ich in seinem Kopf noch auf einem pinken Fahrrad und Stützrädern unterwegs bin.“ (lacht) Außerdem trüge auch der Fortschritt zur Sicherheit bei: „Reisen ist nicht mehr, wie vor zwanzig Jahren. Ich kann jederzeit über Handy und Internet ein Lebenszeichen von mir geben.“

Doch Radfahren nur um der eigenen Geschichte wegen, kam für sie nicht in Frage. Sie stellte ihre genealogische „Tour de Achatzi“ ins Internet und entschied sich, für eine sinnvolle Sache zu radeln. Ihre gefahrenen Kilometer sollten dem Verein SAIDA zu Gute kommen, ein Mädchenschutzprogramm, das sich gegen frauenfeindfeindliche Misshandlungen, u.a. Genitalverstümmelungen, einsetzt.

Am Ende kamen durch Spendengelder 1000 Euro für ein Projekt in Burkina Faso zusammen und Achatzi schoss ganz nebenbei ein paar Fotos für die Großmutter in Wittgenstein: „Sie hatte damals WhatsApp auf ihrem Handy, so habe ich meiner Oma quasi ihr Breslau nach Rückershausen gebracht.“

Eine Mammut-Strecke

Was damals in Nachbarländern begann, wird nun in einer ganz anderen Tragweite fortgesetzt. Ihren Wohnsitz in Berlin wird Achatzi aufgeben, ihr Job bei PETA ist bereits gekündigt. Ihr wurde klar, dass ein möglicher Zeitdruck den Zweck ihrer Reise zu sehr belasten und einschränken würde. „Mit dem Fahrrad reisen bedeutet langsam zu reisen“, sagt sie und weiß, dass es eben diese Entschleunigung benötigt, um neue Erfahrungen intensiver wahrzunehmen.

Von Kolumbien über Chile nach Feuerland und schließlich Brasilien, von den heiligen Tälern der Inka in Peru über Boliviens Salar de Uyuni, den weltweit größten Salzsee, bis zu den mächtigen Nationalparks Argentiniens: Achatzi rechnet mit circa 19.000 Kilometern. Da machte es Sinn, nur ein One-Way-Ticket zu buchen. Angst vor dieser Mammut-Strecke hat sie jedenfalls nicht, ganz im Gegenteil.

Unabhängig von der Tour selbst, fährt Achatzi täglich Fahrrad und weiß zudem, wie monströs der innere Schweinehund in Erscheinung treten kann. Manchmal, so erzählt sie, sei sie auf ihren Fahrradtouren an einem Punkt angelangt, wo es für sie nur zwei Möglichkeiten gab: „Entweder du heulst jetzt, oder du heulst jetzt, um gleich weiterzufahren.“ Das einzig Neue für Körper und Geist würden jedoch die Höhenmeter, mit denen sie sich „noch beschäftigen muss.“

Schicksal und Glück

Radfahren für SOS-Kinderdörfer

Seit 1949 sind weltweit über 560 SOS-Kinderdörfer entstanden. In 135 Ländern hilft der Verein Kindern und Jugendlichen u.a. in den Bereichen Bildung, Verpflegung und medizinische Versorgung.

In den neun Ländern, die Lisa Achatzi anfahren wird, gibt es insgesamt 83 SOS-Kinderdörfer. Einige von ihnen wird sie besuchen, um vor Ort zu helfen und zu berichten. Wie sieht das Leben dort aus? Gibt es Unterschiede zwischen einem SOS-Kinderdorf in Peru und einem in Paraguay? Welchen Alltag erleben Kinder?

Achatzi möchte Spenden sammeln und Einblicke in die Arbeit der Kinderdörfer ermöglichen. Nutzer von Instagram können das über ihren Account _wheelsoffortune_ mitverfolgen.

Mit den fortschreitenden Planungen der vergangenen Monate wurde ihr bewusst, dass sie den Menschen dieser Länder etwas zurückgegeben möchte. Sie trat mit SOS-Kinderdorf e.V. in Kontakt, und nachdem die Gespräche gut verliefen, gab Achatzi einen Wimpernschlag später dem Ganzen einen Namen: Wheels Of Fortune.

Räder des Glücks oder des Schicksals – für Achatzi geht es genau um diese Zweideutigkeit: „Für Kinder ist es Schicksal, wie es ihnen ergeht und in welchem Umfeld sie aufwachsen. Dass daraus auch Glück entstehen kann – dafür versuche ich Räder in Bewegung zu setzen.“ Auf die Frage, warum sie sich ausgerechnet für SOS-Kinderdorf e.V. entschied, antwortet sie: „In meinem Leben war es immer so: Wenn nichts mehr da ist, dann ist immer noch die Familie da.

Meine Eltern und Brüder haben mir viel gegeben, ich bin in einem sicheren Umfeld aufgewachsen. Kindern, die das nicht haben, muss einfach geholfen werden. Deshalb möchte ich Hilfe teilen und nicht für mich behalten.“ Achatzi ist dabei wichtig, dass es ihr nicht um Selbstdarstellung geht. Sie sei kein Typ für Selfies, sagt sie. Im Vordergrund sollen andere stehen.

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