Wittgenstein. Vor allem in Bad Berleburg und Bad Laasphe wurde das Jugendamt öfter eingeschaltet. Eine Wegnahme von Kindern könnte öfter vermieden werden.
Die Zahl der Kindeswohlgefährdungen in Wittgenstein hat massiv zugenommen. Vor allem in Bad Berleburg und in Bad Laasphe hat sich die Lage zugespitzt: Hier gab es von 2017 zu 2018 einen Anstieg von knapp 80 Prozent (von 24 auf 43 Fälle in Bad Berleburg) und ein Anstieg von rund 71 Prozent (von 21 auf 36 Fälle in Bad Laasphe). Häufig nimmt das Jugendamt des Kreises die betroffenen Kinder in Obhut und bringt sie in speziellen Einrichtungen der Jugendhilfe unter. Laut Professor Klaus Wolf von der Universität Siegen könnte die Wegnahme von Kindern jedoch häufiger vermieden werden – indem belastete Familien intensiver betreut werden würden.
Thema hat an öffentlicher Bedeutung gewonnen
Professor Klaus Wolf forscht als Erziehungswissenschaftler seit vielen Jahren zum Leben in hoch belasteten Familien, zu Pflegekindern und Heimerziehung. Seine Position: „Manche Behauptungen [im Rahmen der politischen Diskussion, Anm. d. Red.] sind grober Unfug. Wir können aus Sicht der Wissenschaft Fakten liefern.“ Dass die Zahl der Kinder in Heimen und Pflegefamilien insgesamt gestiegen sei, hänge vor allem mit zwei Entwicklungen zusammen: Einerseits spielten in den letzten Jahren jugendliche Flüchtlinge eine wichtige Rolle, andererseits würden Jugendämter bei Notsignalen mittlerweile genauer hinschauen. Das Thema habe eine größere Bedeutung gewonnen.
Für Wolf geht es nicht darum, die Unterstützung von Familien und die Betreuung in Pflegefamilien oder Heimen gegeneinander auszuspielen, das Problem sei ein anderes: „Ist die ambulante Betreuung von Familien in Notsituationen ausreichend?“ Aus seiner Sicht müssten die Betreuung in Umfang und Intensität ausgebaut, mehr Fachkräfte eingestellt werden. Dazu zählt auch der Umgang mit Familien mit Migrationshintergrund. „Oft gilt das Jugendamt als ‚böse‘ Behörde. Hier wäre es Aufgabe der sozialen Dienste, Vorurteile abzubauen und Fachkräfte mit Migrationsgeschichte zu gewinnen.“
Häufig erfährt Wolf, dass Kinder vermehrt in Pflegefamilien untergebracht würden, weil dies günstiger sei, als die Heimerziehung. Die Kosten für die Heimerziehung sind tatsächlich höher, „aber das Argument ist nicht stichhaltig“, so Wolf. „Es gibt viele Kinder, für die eine Pflegefamilie genau die richtige Lösung ist, für andere ist eine Erziehung im Heim besser. Das kann nicht pauschal beantwortet werden.“ Es sei jedoch ein Fortschritt, dass inzwischen auch in Deutschland mehr geeignete Pflegefamilien gewonnen werden. „Sie sind eine zivilgesellschaftliche Ressource und wir sollten sie wertschätzen.“
Aktuell leben im Kreis Siegen-Wittgenstein 202 Minderjährige und junge Volljährige in Pflegefamilien. Gleichzeitig sind 189 Kinder und Jugendliche in einem Heim untergebracht. Diese Zahl schließt auch das Sozialpädagogisch Betreute Wohnen – hier haben die jungen Menschen bereits eine eigene Wohnung und werden ambulant betreut – und die stationären Hilfen für seelisch Behinderte ein. 16 Heim-Kinder kommen aus Bad Berleburg, neun aus Bad Laasphe und sieben aus Erndtebrück. Die unbegleiteten minderjährigen Ausländer (UMA) sind in der Zahl der institutionalisiert betreuten Jugendliche nicht berücksichtigt.
>>> Jugendamt: Wann ein Einschreiten erforderlich ist
1. Was ist der Unterschied zwischen einer latenten und einer akuten Kindeswohlgefährdung?
Eine latente Kindeswohlgefährdung ist gekennzeichnet durch gewichtige Anhaltspunkte auf die Gefährdung der Entwicklung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl eines Kindes oder Jugendlichen. Die Anhaltspunkte auf eine Gefährdung sind jedoch nicht so gewichtig, dass sich daraus eine mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Schädigung ergibt, so dass ein sofortiges Eingreifen erforderlich ist. In diesen Fällen sind die Personensorgeberechtigten bereit und in der Lage die gewichtigen Anhaltspunkte der Gewährung ihres Kindes zu erkennen und ggf. mit Unterstützung des Jugendamtes abzuwenden.
Eine akute Kindeswohlgefährdung ist gekennzeichnet durch gewichtige Anhaltspunkte auf die Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl eines Kindes oder Jugendlichen. Die Anhaltspunkte auf eine Gefährdung sind jedoch so gewichtig, dass sich daraus eine mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Schädigung ergibt, so dass ein sofortiges Eingreifen erforderlich ist. In diesen Fällen sind die Personensorgeberechtigten nicht bereit und in der Lage die gewichtigen Anhaltspunkte der Gewährung ihres Kindes zu erkennen und mit der notwendigen Unterstützung des Jugendamtes abzuwenden.
2. Was sind ermittelte Hilfebedarfe und wie können diese mit den Eltern und dem Jugendamt umgesetzt werden?
Ermittelte Hilfebedarfe beziehen sich auf die Unterstützung und Stärkung von Eltern eine dem Kindeswohl entsprechende Erziehung zu gewährleisten. Es geht um die Bereiche (gewaltfreie) Erziehung, Versorgung, Betreuung und Förderung von Kindern und Jugendlichen zu einer eigenständigen und selbstverantwortlichen Lebensführung.
Die Umsetzung der Hilfebedarfe erfolgt in enger Zusammenarbeit (Hilfeplanung) mit den Eltern, den jungen Menschen, dem Hilfeerbringer und dem Jugendamt. In der Regel dieser Zusammenarbeit werden Hilfebereiche, Ziele, Umfang der Hilfe und zeitliche Absprachen zur Überprüfung getroffener Vereinbarungen festgelegt. Je nach Art, Umfang und Intensität des Bedarfes erfolgt die Unterstützung zum Beispiel in Form von Beratung, aufsuchender Familienhilfe, Erziehungsbeistandschaft, Gruppenangeboten für Kinder und Jugendliche, Hilfen zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft oder Fremdunterbringung in einer Pflegefamilie oder einer Heimeinrichtung.
3. Was kann im Fall einer akuten Gefahr für Kinder getan werden? Wo kommen diese unter?
Bei einer akuten Gefahr erfolgt eine vorläufige Maßnahme zum Schutz des Kindes oder Jugendlichen in der Regel einer sofortigen Inobhutnahme durch das Jugendamt. Die gefährdeten Kinder oder Jugendlichen werden zu ihrem Schutz und zur Klärung einer sicheren Zukunftsperspektive in dafür spezialisierten Einrichtungen der Jugendhilfe untergebracht. Hier sind die Inobhutnahmegruppen der Evangelischen Jugendhilfe Friedenshort zu nennen oder unsere eigenen Bereitschaftspflegefamilien.