Der Siegener Forscher Frank Luschei sieht die Bevölkerungsentwicklung in Erndtebrück kritisch. Die Gemeinde ist sich des Problems aber bewusst.

Erndtebrück/Siegen. Der demografische Wandel ist in aller Munde. Doch wie soll man das komplexe Thema greifbar machen? Der Siegener Forscher Frank Luschei hat dafür die Demografie-Ampel entwickelt, mit der sich die wichtigsten Faktoren aller 396 Kommunen in NRW vergleichen und einordnen lassen. Für die Region zeigen sich in den Daten aus 2017 interessante Ergebnisse: Die Stadt Siegen auf Rang 69 gehört zu den Top-Kommunen in NRW, die Gemeinde Erndtebrück findet sich am anderen Ende der Tabelle wieder – auf Rang 385, nur einen Platz hinter Bad Laasphe.

Das sagt der Bürgermeister

Henning Gronau, Bürgermeister Erndtebrück, über Konsequenzen vor Ort: „Wir haben die richtigen Schlüsse gezogen.“
Henning Gronau, Bürgermeister Erndtebrück, über Konsequenzen vor Ort: „Wir haben die richtigen Schlüsse gezogen.“ © Gemeinde Erndtebrück

In Erndtebrück ist man sich der Situation bewusst – und habe auch bereits reagiert, betont Bürgermeister Henning Gronau. „Bereits 2018, also im Jahr nach den betrachteten Zahlen, konnten wir uns über eine Steigerung der Geburtenrate freuen. Dies folgte letztlich auch aus dem Baugebiet für junge Familien, das wir erschlossen haben – und das zu einem wahren Bau-Boom vor Ort geführt hat.“ Die Zahl kommunal vermarkteter Grundstücke habe sich von drei (2016) auf zwölf (2017) vervierfacht. „Wir haben also die richtigen Schlüsse gezogen“, so Gronau.

Konkret habe sich die Geburtenrate von 2017 auf 2018 um 42 Prozent erhöht. 2016 gab es in Erndtebrück 50 Geburten und 71 im Jahr 2017. Und: Die Bewohnerzahl sei zwischen 2017 und 2018 unter dem Strich nicht so stark gesunken wie im Vergleichszeitraum ein Jahr zuvor, macht der Bürgermeister deutlich. Er ist zuversichtlich: „Die Daten lassen erwarten, dass das Ranking der Universität schon für 2018 ein deutlich positiveres Bild der Gemeinde zeichnen wird.“ Denn: „Auch 2019 konnte die Gemeinde bis Ende Januar bereits sieben Geburten zählen, was den positiven Trend aus 2018 fortsetzt.“

So funktioniert die Ampel

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Luscheis Demografie-Ampel zeigt die wichtigsten demografischen Faktoren für 2017 auf und veranschaulicht, wo es in den Kommunen gut läuft und wo es Verbesserungspotential gibt. „Es ist wichtig, die entscheidenden Kennzahlen des demografischen Wandels der eigenen Gemeinde einzuordnen und mit anderen vergleichen zu können. Dadurch lässt sich ein Bild von der Lage in der jeweiligen Kommune machen“, sagt Luschei. Der Wissenschaftler gehört zu jener Forschungsgruppe um Prof. Dr. Christoph Strünck, die bereits zur Attraktivität von Städten in NRW geforscht hat. Daraus ist nun in einem nächsten Schritt die Demografie-Ampel hervorgegangen.

Die Kommunen im Vergleich

Ähnlich positiv wie in Siegen verlaufe die Bevölkerungsentwicklung in Netphen und Burbach, hat Luschei festgestellt, die Trends würden aber auch durch die Aufnahme von Geflüchteten in den Jahren 2015 und 2016 beeinflusst. Kritischer sehe es in Bad Laasphe, Erndtebrück oder Neunkirchen aus. „In den drei Kommunen liegt die Bevölkerungszahl schon unter dem langjährigen Mittelwert und sinkt aktuell weiter“, fürchtet der Forscher.

Die Lage in Erndtebrück

Baugebiet Roger-Drapie-Straße: Die Gemeinde Erndtebrück spricht von einem wahren Bau-Boom dort.
Baugebiet Roger-Drapie-Straße: Die Gemeinde Erndtebrück spricht von einem wahren Bau-Boom dort. © Eberhard Demtröder

Vor allem aber die Entwicklung in Erndtebrück sieht Frank Luschei kritisch: „Im Ergebnis aller Indikatoren gibt es in NRW kaum eine Stadt oder Gemeinde, die mehr Einwohner verliert.“ Positiv sei, dass es sehr wenig Fortzüge gebe, allerdings gab es 2017 auch kaum Zugezogene. Vergleichsweise wenigen Neugeborenen stehen viele Gestorbene gegenüber, so dass sowohl der natürliche Saldo als auch der Wanderungssaldo auf Rot stehen. „Das Ergebnis ist bemerkenswert“, findet Luschei: „Es gibt in Erndtebrück viele Arbeitsplätze, die Gemeinde ist aber dennoch stark vom demografischen Wandel betroffen.“

Die Musterbeispiele

Dass es alle vom Land in die Stadt ziehe, sei ohnehin ein Trugschluss, sagt Frank Luschei. Musterbeispiele für eine sehr positive Entwicklung seien Augustdorf mit etwa 10.000 Einwohnern und Bad Lippspringe mit knapp 16.000 Einwohnern – beide gelegen in Ostwestfalen-Lippe. „Positive Entwicklungen sind also möglich.“ Umso wichtiger sei der Kommunen-Vergleich, um bestimmte Entwicklungen verstehen zu können. Luschei: „Wir wollen Veränderungsprozesse in den Kommunen anstoßen.“

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