Bad Laasphe/Wittgenstein. „Wenn ich in den alten Fahrplan schaue und den von heute daneben lege, sieht man es“, sagt Wunderlich über den Erfolg des Arbeitskreises.

Otto Wunderlich sitzt mit einer Tasse im Café der Kurhessenbahn im sanierten Bahnhof von Bad Laasphe und schaut auf die Züge und Busse: Es ist der richtige Ort, um über die Entwicklung des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs in Wittgenstein und auch den Güterverkehr zu sprechen. Otto Wunderlich und der Arbeitskreis Schienenverkehr haben in den vergangen 30 Jahren viel dafür getan, dass noch immer Züge in Wittgenstein rollen.

Wann und wie wurde der Arbeitskreis aus der Taufe gehoben?

Otto Wunderlich: Der Arbeitskreis ist ein Zufallsprodukt, weil wir 1988 damit begannen, zum ersten Mal einen VT 628 (einen Triebwagen/ die Redaktion) auf die Strecken des Südwestfälischen und Mittelhessischen Netzes zu bringen. Das war ein Vorführfahrzeug der Deutschen Bahn und stand in Kempten.

Der Vorsitzendes des Arbeitskreises Schienenverkehr Südwestfalen, Otto Wunderlich, präsentiert im Bahnhofscafé in Bad Laasphe ein Stück Erfolgsgeschichte. Die Fahrpläne aus den 1980er Jahren und 
Der Vorsitzendes des Arbeitskreises Schienenverkehr Südwestfalen, Otto Wunderlich, präsentiert im Bahnhofscafé in Bad Laasphe ein Stück Erfolgsgeschichte. Die Fahrpläne aus den 1980er Jahren und  © Lars-Peter Dickel

Das ist sozusagen der Nachfolger des Schienenbusses gewesen?

Ja, genau. Zum Teil fahren die ja heute noch. Die gehen jetzt langsam aus dem Verkehr raus, weil sie ja auch 30 Jahre alt sind. Damals war der VT 628 was ganz Neues und wurde von der damaligen DB-Führung als Möglichkeit angesehen, Nahverkehr kostengünstig zu betreiben. Damals begann ja auch die Regionalisierung.

Und diesen Triebwagen wollten Sie in Wittgenstein vorstellen?

Für die Sonderfahrt brauchten wir Geld, das wir als Sicherheitsleistung bei einer Bank hinterlegen sollten. Das waren damals Rolf Wilkes, Karl Ludwig Völkel, Michel Roggenkamp und ich. Dafür brauchten wir einen Titel, eine juristische Einrichtung, also einen Verein. Katja Karger, die heute noch bei der Gemeinde Erndtebrück arbeitet, hat damals die Satzung und die vereinsrechtlichen Dinge zusammengetragen. Und dann haben wir im September 1989 im Gasthof Strohmann in Erndtebrück mit 25 anderen den Arbeitskreis gegründet.

Und was war dann das Ziel?

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Mit Peter Ladda war jemand dabei, mit dem ich schon vorher zusammengearbeitet habe. Es gab damals ein Förderprogramm – Strukturwandel in Montanregionen – für das wir ein Nahverkehrsprojekt erarbeitet hatten - mit Stundentakten von Siegen nach Bad Berleburg und von Siegen über Erndtebrück nach Marburg.

Sie wollten das Produkt Deutsche Bahn attraktiver machen für den ländlichen Raum?

Richtig! Und vor allem etwas anbieten, was sich in der Schweiz oder den Niederlanden schon sehr bewährt hatte: Einen Taktverkehr, bei dem der Bürger weiß, dass von morgens 6 Uhr bis abends 9 Uhr Züge nach Marburg oder Siegen und in Gegenrichtung fahren.

Wie hat sich das ausgewirkt?

Man kann sich einmal die Nutzerzahlen der damaligen Zeit anschauen: Die lagen unter 400 pro Tag zwischen Bad Berleburg und Siegen, oder Bad Laasphe und Marburg. Es gab damals auch kein Studententicket, wie es Achim Walder mit seiner Arbeit an der Universität Siegen angestoßen hat, und das heute bundesweit Geltung hat.

Heutzutage fahren die Züge im Stundentakt. Es hat eine enorme Entwicklung gegeben...

...Es hat eine enorme Entwicklung bei den Nutzern gegeben. Ich bin heute morgen hier am Bahnhof vorbei gekommen und habe Doppelwagen auf der Linie nach Marburg gesehen, weil ein Wagen allein für die Anzahl an Fahrgästen zwischen Erndtebrück und Marburg nicht ausreicht.

Was kann der Arbeitskreis denn dann noch verbessern?

http://Eltern_gründen_Initiave_gegen_„Hessenticket“_für_Schüler{esc#212106883}[news]Da gibt es ganz viel. Was uns aktuell noch stark behindert ist der um uns herum liegende Rhein-Main-Verkehrsverbund, der uns tarifliche Übergänge aus Siegen Richtung Frankfurt, aus Burbach-Neunkirchen Richtung Dillenburg und zwischen Marburg und Erndtebrück schwer macht.

Also wünscht sich der Arbeitskreis eine Angleichung der Tarife?

Vielleicht sind wir jetzt wieder Anstoßgeber für etwas, dass es andernorts schon gibt und das dort sehr gut funktioniert: Meine Mutter ist in Wien geboren. Und dort kann man für 365 Euro, also für einen Euro am Tag, den Öffentlichen Personen-Nahverkehr in Wien und Niederösterreich nutzen. Und gerade nach den sehr schwierigen Gesprächen über die Tarife für die Schulen hier in Laasphe fordern wir ein Bürgerticket, das Kindern und Jugendlichen freie Fahrt ermöglicht...

Also vergleichbar einer Flatrate?

http://Gute_für_Fahrgäste-_Die_Kurhessenbahn_wird_komfortabler{esc#213094363}[news]Es gibt solche Anstöße aus dem Rhein-Sieg-Bereich, wo Freunde von uns – von Pro Bahn – mitwirken, die genau diese Flatrates fordern, um sich kostengünstiger zu bewegen.

Ein Hauptanliegen des Arbeitskreis Schienenverkehr ist es die Vernetzung der Wittgensteiner Zentren Bad Berleburg, Bad Laasphe und Erndtebrück mit Siegen und Marburg. Allerdings müssen dann Fahrgäste erst einmal zu den Bahnhöfen kommen. Wie sieht es mit dem Bussen und Taxibussen aus?

http://Schulbus_nach_Bad_Laasphe_kostet_bald_Geld{esc#11552091}[news]Wir waren Initiator der Schnellbuslinie Bad Berleburg - Bad Laasphe. Wir haben leider feststellen müssen, dass in der Probelaufzeit von einem halben Jahr die Nutzung nicht ausreichend war. Wir haben uns im Nachhinein gefragt, warum war das so? Entscheidend ist die Anbindung an die Bahnhöfe und an andere Buslinien und Schienennetze und die Taktung mit Arbeits- und Schulbeginn. Wenn man neue Dinge plant, muss so etwas noch tiefer erarbeitet werden.

Es gab ja auch eine Idee für den Nachtbus, der von Siegen nach Bad Laasphe fuhr. Auch der ist gescheitert. Warum?

Ein Nachtbus ist für Wittgenstein, wie für ländliche Regionen keine Lösung. Auf den magistralen Siegen und Kreuztal sieht das schon anders aus. Was wir im ländlichen Raum brauchen und was wir mit Michael Sittler (Vorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion/die Red.) schon einmal angeregt haben, ist ein System aus Taxibussen, mit denen ich mich aus dünn besiedelten Gebieten nach Bad Berleburg, Bad Laasphe und Erndtebrück aufmachen kann. Leider haben wir weder bei den Förderprogrammen LEADER oder IKEK dafür einen Widerhall gefunden.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich gerade viele Ältere nicht mit dem System Taxibus zurechtfinden. Das zeigt sich gerade an der Planung einer Stadtbuslinie in Bad Berleburg...

...Diese Problematik sehe ich zwar auch. Aber wenn gerade Bad Berleburg angesprochen wird, muss ich sagen, wir haben nicht nur Höhen mit dem Arbeitskreis erlebt, sondern auch Tiefen. Achim Walder hat sich für Bürgerbusse kreisweit, landesweit und bundesweit eingesetzt. Er hat seine Projektion in die Niederlande und bis in die Tschechei hinein gebracht. In Berleburg haben wir diese Idee bislang nicht umsetzen können. Ich wäre zufrieden gewesen, wenn ich aus dem Berleburger Freundeskreis ein Okay für einen Bürgerbus bekommen hätte.

http://Verstärkt_Güterverkehr_auf_den_Gleisen_der_Rothaarbahn{esc#11254379}[news]In diesem Jahr jährt sich die Gründung des Arbeitskreises, der aber auch auf eine ganze Reihe von Erfolgen zurück blicken kann. Welche?

Damals haben wir den NRW-Verkehrsminister Christoph Zöpel kennen gelernt. Der hielt mich damals für einen Vertreter der Eisenbahner-Gewerkschaft. Im September 1989 ging dann Karl Ludwig Völkel für die SPD in den Landtagswahlkampf für den Wahlkreis Hochsauerland/Wittgenstein. Wir haben damals den überarbeiten Entwurf des Nahverkehrsplans in die Finger bekommen. Da waren Erndtebrück und Bad Laasphe gar nicht drauf.

Was bedeutete das?

Güterverkehr im Erndtebrücker Bahnhof: Ein Zug der Siegener Kreisbahn kann hier unterwegs sein, weil die Bahnstrecke zwischen Ferndorf und Bad Berleburg bis Anfang November gesperrt ist.
Güterverkehr im Erndtebrücker Bahnhof: Ein Zug der Siegener Kreisbahn kann hier unterwegs sein, weil die Bahnstrecke zwischen Ferndorf und Bad Berleburg bis Anfang November gesperrt ist. ©

Konkret war die Stilllegung der Eisenbahnstrecke Bad Laasphe - Erndtebrück vorgesehen. Und dadurch wäre eine Leistung der letzten Jahre nicht möglich gewesen: Das Erndtebrücker Eisenwerk mit Material zu versorgen und deren Produkte an die Häfen zu bringen, wenn die Strecke nach Hilchenbach dicht ist.

Was haben Sie für den Erhalt der Strecke getan?

Karl Ludwig Völkel, Loke Mernizka (damals SPD-Landtagsabgeordneter/ die Red.) und ich sind zusammen zum NRW-Verkehrsminister in der Plenarsitzung hin. Christoph Zöpel erkannte mich auch sofort und meinte nur: Da ist ja der Gewerkschaftsvertreter, der keiner ist. Ich glaube der ist Apotheker (lacht). Und dann hat Christoph Zöpel ganz spontan gesagt, er nähme uns mit, weil unsere Idee gut wäre. Wir haben nicht nur den Personennahverkehr, sondern immer auch den Güterverkehr im Blick gehabt.

Ein Gleisanschluss für den interkommunalen Industriepark Wittgenstein ist laut Experten im Bauabschnitt 3 zwischen Bahntrasse und Sportplatz am sinnvollsten.
Ein Gleisanschluss für den interkommunalen Industriepark Wittgenstein ist laut Experten im Bauabschnitt 3 zwischen Bahntrasse und Sportplatz am sinnvollsten. © WP-Archiv

Güterverkehr ist ein Stichwort. Wie sehen Sie die Idee eines Gleisanschlusses für den Industriepark Wittgenstein in Schameder?

Das ist nach wie vor eines meiner Anliegen. Viele dieser Holz und Pelletlaster fahren über die B62 Richtung Görlitz und Regensburg. Schwerlastverkehr belastet Erndtebrück und Laasphe, Hilchenbach und Netphen. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass der Anschluss ein richtiger Weg ist.

Die Frage der Finanzierung ist aber ungeklärt?

Die Frage der Finanzierung ist für mich eine Frage des Willens. Ich nehme das Beispiel der Firma Röhren-Fuchs in Kaan-Marienborn, die einen eigenen Anschluss bekommen hat. Die Stadt Siegen hat einen Antrag auf Fördermittel gestellt und erhielt vom Netzbetreiber Deutsche Bahn damals 90 Prozent der Kosten erstattet. Ich weiß nicht, ob heute noch diese 90 Prozent zur Verfügung stünden, aber es stehen nach wie vor Mittel für solche Anschlüsse zur Verfügung.

Zurück zu den Erfolgen: Wie sehen Sie die Entwicklung der Arbeit des Arbeitskreises?

Wenn ich in den Fahrplan schaue und den von heute daneben lege, sieht man es. Damals gab es eine Verbindung von Marburg nach Erndtebrück und vier von Bad Laasphe nach Marburg und einmal Marburg nach Biedenkopf. Heute sind es 14 Fahrten die morgen um 5 Uhr beginnen. Und ich kann heute sogar um 21.21 Uhr von Frankfurt am Main nach Bad Laasphe fahren - Ankunft in Bad Laasphe um 23.18 Uhr. Wenn ich das meiner Oma erzählt hätte, hätte die zu mir gesagt. Junge, dos gets net.