Kreuztal. Vom Bürgerbus bis zum Semesterticket: Achim Walder aus Kreuztal hatte viele Themen im Verkehrsclub Deutschland auf der Agenda. Jetzt ist Schluss.

Es gibt kaum ein Verkehrsthema, das er nicht beackert hat: Bürgerbus, Semesterticket, Radwege, Jobticket, Fahrpläne. Nach vier Jahrzehnten verabschiedet sich der Kreuztaler Achim Walder aus dem Ehrenamt beim Verkehrsclub Deutschland — und nicht nur da. Mit den öffentlichen Auftritten soll es nun genug sein, meint der 67-Jährige.

Womit hören Sie eigentlich auf?

Walder:Mit meiner aktiven Arbeit in den Verbänden außer beim Bürgerbus Kreuztal. Irgendwann ist es auch mal Zeit, dass jüngere Leute das in die Hand nehmen. Das ist jedoch nicht so einfach. Aber wenn man den Platz nicht frei macht, finden sich keine neuen Menschen, die mitarbeiten wollen.

Sind Sie mit dem Auto groß geworden?

Meine Eltern hatten in Großbritannien kein Auto, erst in Deutschland. Mit 18 hatte ich ein eigenes Fahrzeug. Wir wohnten nicht weit von Bonn im Vorgebirge, aber auch dort waren es zwei Kilometer bergab bis zur Bushaltestelle, wo es nur vier Fahrmöglichkeiten pro Tag gab. Wenn ich jung wäre und in Wittgenstein wohnte, müsste ich mit meiner Freundin um 22 Uhr mit dem letzten Bus aus der Disco zurückfahren, eigentlich noch eine Stunde früher, wenn ich selbst auch noch nach Hause müsste. Als junger Mensch ist man abends ohne Auto eigentlich ausgegrenzt. Hier müssten bedarfsgesteuerte ÖPNV-Systeme eingerichtet werden. Ich habe viele Freunde in den Großstädten, die gar kein Auto mehr haben. Sie nutzen Fahrrad, Bus und Bahn mit günstigen Fahrkarten oder auch Car-Sharing. Das haben wir nicht in Siegen, Olpe oder Kreuztal.

Haben Sie das irgendwann mal ändern wollen?

Ich sehe das Hauptproblem in der nicht verwirklichten Gleichwertigkeit der Lebensräume. Wir haben hier viele leer stehende Wohnungen, aber die Menschen müssen zum Arbeiten in die Städte fahren. Jeden Tag pendeln mehrere Tausend Arbeitnehmer nach Köln, Frankfurt oder ins Ruhrgebiet. Mit dem Zug braucht man dafür von Siegen eineinhalb Stunden nach Köln, 2 Stunden nach Dortmund, mit dem Auto ist man in der halben Zeit da. Wenn wir es nicht schaffen, auch die junge Bevölkerung auf dem Land zu halten, werden viele Dörfer nicht mehr bestehen können: keine Ärzte, kein Lebensmittelladen, Versorgung mit Wasser und Strom oder Internet wird viel zu teuer. Die Leute werden in die Großstädte abwandern, dort werden dann die Probleme immer größer. Mit öffentlichem Nahverkehr können wir das dann dort auch nicht mehr organisieren.

1980 haben Sie die Interessenvertretung der Bus- und Bahnbenutzer mitgegründet. Aus welchem Anlass?

Ich habe in Bonn als Student als Straßenbahnschaffner gearbeitet. Da durfte ich die Türen auf- und zumachen, musste die Haltestellen ansagen und die Streifenkarten stempeln. Bahnfahren fand ich eigentlich immer schön. Hier kam ich dann über den BUND zum Arbeitskreis Schienenverkehr und zum VCD. Über die Kreuztaler SPD und ein Bürgerfunk-Interview mit Herbert Perl (Ratsmitglied, d.Red.) entstand dann auch noch die Fahrradinitiative Kreuztal-Hilchenbach. Für Bus und Bahn brauchte man damals noch verschiedene Fahrscheine. Damals haben wir als Interessenvertretung auch die Forderung aufgestellt, dass eigentlich jedes Aufsichtsratsmitglied der VWS (Verkehrsbetriebe Westfalen-Süd, d. Red.) jährlich 1000 Kilometer im öffentlichen Nahverkehr nachweisen sollte.

Und dann gab es noch Ihre Zeit in der SPD...

Da leitete ich in Kreuztal den Arbeitskreis Verkehr. Der damalige Bürgermeister ärgerte sich, wenn ich Pressemitteilungen für Fahrradständer oder einen neuen Bahn-Haltepunkt in Kreuztal-Mitte herausgab. Nur wenige Ideen zur Verbesserung der Situation für Fahrgäste, Radfahrer und Fußgänger wurden umgesetzt. So wurde damals beim Bau kein Radweg auf der Langenauer Brücke, keine Fahrradständer oder Fahrradboxen in der Stadtmitte eingerichtet. Nach drei Jahren war meine Arbeit in der SPD zu Ende. Meine Ideen ließen sich politisch nicht umsetzten. Die öffentliche Arbeit in Verbänden VCD, ADFC, BUND, ProBahn in guter Zusammenarbeit mit der regionalen Presse hatten wesentlich mehr Erfolg.

Danach, um 1995, ging es an der Uni weiter.

Dort gründeten wir den Arbeitskreis Verkehr, da die Verkehrsprobleme immer größer wurden. Für die Einführung eines Semestertickets haben wir 8.000 Fragebögen verteilt und ausgewertet. Leider hat es durch den Widerstand der VWS recht lange gedauert, das Semesterticket (die erste Verbundfahrkarte für Bus und Bahn) einzuführen. Für die Studenten mit Fahrrädern wurden auf Initiative des Arbeitskreises 200 Fahrständer aufgestellt, die Siegener Sponsoren bezahlt haben.

Sie waren auch einer von drei Sprechern beim BUND Siegen.

Ja, da aber mehr für den Bereich Verkehr. Mit dem BUND und dem Einzelhandelsverband haben wir die Idee des Jobtickets aufgegriffen. Nach der BUND-Befragung in verschiedenen Behörden und Firmen wurde das Jobtickets als erstes für die Mitarbeiter der Sparkasse, der Uni und der Kreisverwaltung eingeführt.

Und dann kam der Bürgerbus für Kreuztal.

Das System habe ich durch eine Arbeit für die Märkische Verkehrsgesellschaft kennengelernt. Wir haben am 30 Oktober 1997 die Gründungsversammlung gehabt, Samstag war ich beim Notar und am Montag beim Gericht. Ich wollte schließlich am selben Nachmittag den Bus bestellen. Von der Stadt brauchte ich eine Bürgschaft von 5000 DM. Im Rat wollten die Parteien den Bürgerbus unterstützen und haben sogar eine Bürgschaft von 5000 DM pro Jahr vorgeschlagen. Im Februar 1998 fuhr der Bus seine erste Tour in Kreuztal, die erste in Südwestfalen.

Heute ist der Kreuztaler Bürgerbus einer der erfolgreichsten im Land.

Wir fahren aber auch fast nur durch bewohntes Gebiet, 10.000 Fahrgäste pro Monat und 50.000 Kilometer pro Jahr. Für den Bürgerbus ist Kreuztal mit 35.000 Einwohnern eigentlich zu groß. Andere Städte, die so groß sind wie Kreuztal, haben Stadtbus-Systeme, die mit hauptamtlichen Fahrern im Halbstundentakt fahren. Unterstützt habe ich auch die Bürgerbusgründungen in Neunkirchen, Bad Laasphe, Hilchenbach, Erndtebrück, Wenden, Kirchhundem und Finnentrop, in Wenden und Bad Laasphe war ich mehrere Jahre Vorsitzender. Wir haben bei der Linienwegplanung darauf geachtet, dass wir möglichst viele Bürger, die keine Auto haben und einen weiteren Weg zum normalen Busverkehr haben als Fahrgäste erreichen. Es ist ein Erfolgsmodell auch hier in Südwestfalen und allen ehrenamtlichen Aktiven macht es viel Spaß mit Umgang mit den dankbaren Fahrgästen.

Die Johannlandbahn von Siegen nach Deuz haben Sie aufgegeben?

Nein nicht aufgegeben. Die Politiker haben hier eine Chance vertan. Die Strecke war in ganz Westfalen am positivsten bewertet. Ich verwalte noch immer die Internetseite www.Johannlandbahn.de. Wir hatten vom VCD ja auch ein Stadtbahnkonzept — vielleicht kommen wir noch einmal dazu. Straßenbahnen wären hier auch noch möglich, wie neue Straßenbahnprojekte es in Frankreich zeigen.

Wie passt denn die Mitgründung der Siegener Tafel in Ihre Aktivitätenpalette?

Nur ein Jahr habe ich als einer der Sprecher die Tafel geleitet. Außer mir waren damals nur Frauen im Vorstand. Es war jedoch etwas anderes als Verkehrspolitik, so dass ich meine Mitarbeit nach einem Jahr aufgegeben habe.

Und jetzt machen Sie nur noch Reiseführer, zusammen mit Ihrer Ehefrau Ingrid, im eigenen Verlag?

Seit mehr als 20 Jahren veröffentlichen wir Reiseführer, jetzt auch kostenlose Online-Reiseführer von Städten, Bahnstrecken, Rad- und Wandertouren und Ferienstraßen. Einige wurden ehrenamtlich mit dem VCD und ADFC, für Bahngesellschaften und Tourismusverbände erstellt. Bisher sind es über 800, in jedem um die 30 Städte, kostenlos für jeden, der sie sich aus dem Internet herunterlädt. Wir reisen immer, wenn schönes Wetter ist, damit wir schöne Fotos machen können, manchmal bis zu 500 Motive pro Tag, Mitarbeiter recherchieren und schreiben die Texte.

Was ist denn aus dem Fahrradfahren geworden?

Beim ADFC war ich einige Jahre Vorsitzender. Aus dieser Zeit stammt die Untersuchung für die Stadt Siegen zu einer NRW-Radstation am Bahnhof Siegen und die Fahrradboxen an den Bahnhöfen. Gerne bin ich mit meiner Frau am Rhein entlanggefahren. Es gefällt mir eigentlich nur, wenn man abseits des Autoverkehrs fahren kann. Wer zum Beispiel von der Siegquelle losfährt, dem würde ich am liebsten empfehlen, in Siegen in den Zug zu steigen und erst ab Au weiter zu radeln, besonders wenn man mit Kindern unterwegs ist — die Touristiker hören das natürlich nicht gern, aber die Radinfrastruktur muss noch ausgebaut werden.

Was ist nun Ihr Fazit nach mehr als 20 Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit?

In Bezug auf die Mobilität von Menschen in der Region Südwestfalen hat sich einiges getan. Trotz aller Verbesserungen, gerade im ländlichen Raum (Wittgenstein, Kreis Olpe), sind die Bewohner immer noch auf das Auto angewiesen. Für ältere Menschen wird es immer schwieriger persönliche soziale Kontakte zu Freunden aufrecht zu halten, wenn der ÖPNV nur zu den Kernzeiten und mit langen Wegen zur Haltestelle verfügbar ist.

>>> Zur Person

>>> Zur Person:

Achim Walder Achim Walder ist als Kind, mit britischem Pass und seinen Eltern, nach Deutschland gekommen. In Bonn lernte er seine heutige Ehefrau Ingrid kennen, ihre Familie gründeten sie im Siegerland. Für sein ehrenamtliches Engagement, unter anderem 16 Jahre als Landesvorsitzender des VCD, wurde Walder 2014 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.