Bad Berleburg. Die 35-Jährige hatte Rettungsdienst und Polizei mit einem Messer bedroht. Die Tat im Vollrausch war aber nicht der einzige Anklagepunkt.

Große Mengen Alkohol und schlechte Deutsch-Kenntnisse, gepaart mit unregelmäßigen Arbeitsverhältnissen, Gewalt, Beleidigungen und darüber hinaus ein feindseliges Wohnumfeld haben eine junge polnische Familie in eine kritische Situation geführt, die jetzt vor dem Amtsgericht Bad Berleburg einen negativen Höhepunkt gefunden hat.

Eine 35-jährige Frau ist am Dienstag zu einer einjährigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt worden. Die Mutter einer neunjährigen Tochter saß mit ihrem Lebensgefährten (37) und Vater der gemeinsamen Tochter auf der Anklagebank. Der Mann verließ den Gerichtssaal aber früher als seine Frau – und als freier Mann, weil das Verfahren gegen ihn eingestellt wurde.

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In einem der drei miteinander verbundenen Verfahren war das Paar wegen Tätlicher Beleidigung, Bedrohung, schwerer Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte angeklagt. Den 37-jährigen Angeklagten betraf nur der Vorwurf der schweren Körperverletzung, der sich als vom Opfer erfunden herausstellte.

Belastungszeuge hat gelogen

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Die Geschichte beginnt am 14. April 2018 mit einem Polizei-Einsatz. Die Beamten werden von einem 19-jährigen Mann gerufen, der seine Nachbarn anzeigt. Er habe das betrunkene Paar aus seiner Wohnung drängen wollen, sagt der Zeuge. Sie hätten ihn dann mit einer Wodka-Flasche an den Kopf geschlagen, geschubst und gekratzt. „Alles gelogen“, sagt der 37-jährige Angeklagte und bekommt wider Erwarten sogar eine Bestätigung.

Das als Zeuge geladene Opfer erscheint zunächst nicht und muss mit der Polizei vorgeführt werden. Im Zeugenstand kommt dann eine ganz andere Geschichte: Der 19-Jährige betont, nur geschubst und nicht geschlagen oder getreten worden zu sein. „Das mit der Faust und dem Glas stimmt nicht. Das habe ich der Polizei nur gesagt, weil ich sauer war.“ Auch als ihm Oberamtsanwältin Judith Hippenstiel deutlich macht, dass das eine Straftat ist, bleibt der Mann bei seiner Geschichte. Vor diesem Hintergrund wird das Verfahren wegen schwerer Körperverletzung eingestellt. Der Lebensgefährte ist frei.

Aber das vermeintliche Opfer erzählt noch mehr: Die Mieter des Hauses, allesamt mit unterschiedlichen Migrationshintergründen, sollen sich mit dem Vermieter abgesprochen haben. Man wolle die Polen nicht im Haus. Also sollen die Mieter bei jeder Kleinigkeit, jedem Streit und Lärm so oft wie möglich die Polizei rufen.

Entlastungszeuge belastet Vermieter

Bestätigt wird das auch von einem Entlastungszeugen, den der Plichtverteidiger der Angeklagten, Norbert Wickel, aufruft. Der Zeuge kümmert sich hauptberuflich um Flüchtlinge und Ausländer, die Schwierigkeiten haben. Auch die beiden Polen mit ihrer Tochter kennt der 37-Jährige seit zweieinhalb Jahren: „Der Vermieter hat das Haus in Gruppen organisiert. Die provozieren die. Auch die Nachmiete ist schon geregelt“, sagt der Mann, der auch die anderen Mietparteien seit Jahren gut kennen will. Von Vorteil sei auch, dass die Polen schlecht Deutsch sprächen und deshalb bei Diskussionen mit den Nachbarn und der Polizei oft den Kürzeren zögen.

Am Abend des 14. April 2018 geht die Provokation auf. Mann und Frau werden zunächst in Gewahrsam genommen. Der Mann muss wegen eines Haftbefehls sogar ins Gefängnis. In dieser Situation verliert die Angeklagte die Nerven und spuckt einen Beamten an. Im Gerichtssaal gibt sie die Tat zu und entschuldigt sich auch. Kaum aus dem Gewahrsam zu Hause ist die 35-Jährige allein. Die Tochter wurde schon im Januar 2018 vom Jugendamt in Obhut genommen. Seit dieser Zeit trinkt die Mutter verstärkt und wird oft auffällig. Auf die Frage, wieviel Alkohol sie konsumiere, sagt die zierliche Angeklagte: „In dieser Zeit habe ich ein bis zweieinhalb Flaschen Wodka am Tag getrunken, ohne etwas zu essen.“

Mehrere Vorstrafen seit 2017

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Ein Vollrausch ist auch die Ursache für den dritten Anklagepunkt, an den sich die Angeklagte gar nicht mehr erinnern kann. Am 6. Mai 2018 ist die Frau volltrunken vor der Tür des 19-jährigen Nachbarn erschienen und hat ihn gebeten, den Rettungsdienst zu rufen. Als die Sanitäter eintreffen, bedroht die Frau die Helfer im Hausflur mit einem Küchenmesser und flieht in ihre Wohnung. Dort wird sie später von Notarzt und Polizei zunächst bewusstlos aufgefunden. Wegen akuter Lebensgefahr soll sie ins Krankenhaus, wehrt sich aber gegen sechs Mann, bis sie sediert wird. Trotz theoretischer Schuldunfähigkeit wird sie für die Drohung mit dem Messer und den Widerstand zur Rechenschaft gezogen. Hier lautet das Stichwort „Vorsätzlicher Vollrausch“.

Weil die Frau in 2017 bereits vier Mal in kurzer Zeit verurteilt worden war und kürzlich auch eine Haftstrafe absolviert hat, folgt Amtsrichter Torsten Hoffmann der Forderung der Staatsanwaltschaft nach einer zwölfmonatigen Haftstrafe ohne Bewährung.