Bad Berleburg. . Anika Lindner aus Bad Berleburg erkrankt mit 16 Jahren an Lipödem. Langfristig hilft nur eine OP, die die Krankenkasse jedoch nicht bezahlt.
Die Krankheit bricht bei Anika aus, als sie 16 Jahre alt ist. Innerhalb von zwei Jahren nimmt sie rund 40 Kilo zu. Der Arzt rät ihr, sich ausgewogener zu ernähren und sich mehr zu bewegen. Sie wird als „fettleibig“ abgestempelt. Irgendwann findet ihr Opa einen Zeitschriftenartikel zum Thema „Lipödem“, eine Fettverteilungsstörung, die ausschließlich an den Armen und Beinen auftritt und von der fast nur Frauen betroffen sind.
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„Er hat mich spätabends noch angerufen und mir gesagt, dass er da etwas gefunden hat, was auf meine Beschwerden passt“, sagt Anika. Am nächsten Tag hat Anikas Opa den Artikel ausgeschnitten, ihn in einen Briefumschlag gesteckt und per Post an Anika geschickt. Damit geht sie schließlich zu einem Spezialisten, der die richtige Diagnose stellt: Lipödem.
Eine Heilung gibt es nicht; nur eine lang anhaltende Besserung in Form einer Liposuktion, einer Fettabsaugung. „Als ich endlich wusste, was los war, wusste ich, dass ich nicht eben einfach nur dick bin. Das hat es leichter gemacht“, meint die 23-Jährige heute.
Die Vorurteile
Oft tritt die Krankheit in Phasen hormoneller Veränderungen auf, zum Beispiel in der Pubertät oder in der Schwangerschaft. Ziemlich belastend für einen Teenager in der Selbstfindungsphase. „Ich habe mir einige harte Kommentare anhören müssen, die hängen bleiben und wehtun“, sagt Anika.
„Dick sein“ sei ein Label, das gesellschaftlich nicht akzeptiert sei. „Alle denken, man sei faul und würde die ganze Zeit nur essen.“ Einige Lipödem-Patientinnen driften deswegen sogar in eine Essstörung ab. Als Anika jedoch wusste, was mit ihr los ist, ist sie aktiv gegen ihre Krankheit angegangen.
Die Beschwerden
Täglich zwängt sich Anika in eine Kompressionsstrumpfhose, die vom Mittelfußknochen bis zur Brust reicht. Den heißen Sommer konnte sie so nur bedingt genießen: „Ich habe kaum in der Sonne gesessen, das war viel zu heiß in der Strumpfhose.“ Hitze, langes Sitzen oder Stehen fördern zusätzlich die Wassereinlagerungen. Arme und Beine reagieren empfindlich auf Druck, „sobald mich jemand anstupst, habe ich eigentlich schon einen blauen Fleck.“ Wenn sich ihre Katze einfach nur auf ihrem Schoß einkuscheln will, sind die Schmerzen zum Teil kaum auszuhalten. „Beim Haare föhnen muss ich immer wieder Pause machen, weil die Arme zu schwer sind“, erzählt Anika.
Bis zu vier Mal in der Woche bekommt Anika eine Lymphdrainage, bei der sich die Schwellungen unter der Haut verringern sollen. Sowohl die Kosten für die Kompressionsstrümpfe als auch für die Lymphdrainagen werden von der Krankenkasse übernommen. Anträge auf Liposuktionen werden jedoch krankenkassenübergreifend abgelehnt. Sie gehören nicht zu ihrem Leistungskatalog und werden als Schönheitseingriff eingestuft. Das Bizarre: Die Krankenkassen machen damit ein Verlustgeschäft.
Die Kosten
- 1000 Euro kostet eine Kompressionsstrumpfhose ungefähr, davon benötigt Anika vier pro Jahr.
- 500 Euro pro Monat fallen für die Lymphdrainagen an, also 6000 Euro im Jahr.
- 15.000 Euro und mehr – so hoch sind bereits die Behandlungskosten für Anika gewesen.
- 6000 Euro kostet eine Liposuktion in Anikas Fall. Ihr behandelnder Arzt, Dr. Falk-Christian Heck von der LipoClinic in Mülheim an der Ruhr, hat für Anika insgesamt vier Operationen angesetzt, um das krankhafte Fett zu entfernen. Eine Operation an den Oberarmen, drei an den Beinen. Mit 24.000 Euro wäre Anika beschwerdefrei und nicht mehr auf Kompressionsstrümpfe oder Lymphdrainagen angewiesen.
Der Kampf
Konzert soll die letzte OP finanzieren
Ein Hobby, das Anika mit Leidenschaft ausübt: Singen. Bei dem Gesangswettbewerb „Die beste Stimme zählt“, den EX-DSDS-Kandidat Mark Richter ins Leben gerufen hat, hat sie 2017 sogar den zweiten Platz belegt. Neben einer CD- und Musikvideoproduktion gehörte auch ein Besuch einer Late-Night-Show zu ihren Preisen. „Im Backstage-Bereich hat Anika unter anderem von ihrer Krankheit erzählt“, sagt Mark. „Da dachten wir, dass wir etwas dagegen tun müssten. Dabei ist die Idee entstanden.“
Die Idee: eine Musical-Night mit den Finalistinnen von „Die beste Stimme zählt“ und Mark Richter. Der hat selbst schon gute Erfahrungen mit Musical-Nights gemacht: „Meist waren die Karten innerhalb von einer Woche ausverkauft.“
Die Einnahmen des Abends sollen für Anikas letzte OP eingesetzt werden. „Es soll eine Reise durch die weltbekanntesten Musical-Hits werden“, erklärt Anika. Deutsch und Englisch, klassisch und modern, Solo oder im Duett; auch Disney-Stücke werden die vier Sänger präsentieren.
Die Musical-Night findet statt am Freitag, 2. November, um 19 Uhr in der Evangelischen Stadtkirche Bad Berleburg. „Wir haben uns extra die Kirche als Location ausgesucht, weil sie eine schöne Atmosphäre bietet und die Stimme gut getragen wird“, sagt Anika.
„Es ist dumm, dass die Krankenkassen diese OP nicht übernehmen“, sagt Anika. Statt sich aber ihrem Schicksal als Lipödem-Patientin zu fügen, hat sie sich bewusst für die Liposuktion entschieden – auch, wenn es finanziell eng wird. „Mein Erspartes geht für die Operationen drauf, auch meine Eltern mussten mir dabei schon aushelfen.“ Eine an den Armen und eine an der Oberschenkel Vorderseite hat sie bereits machen lassen, dabei wurden fast 15 Liter krankes Fett entfernt. Allein der Umfang ihrer Oberarme ist jeweils um 10 Zentimeter zurückgegangen. Eine weitere OP an den Oberschenkeln ist für Dezember angesetzt, danach steht noch eine abschließende OP an.
„Es geht mir gar nicht darum, Mitleid zu bekommen, so bin ich ja gesund“, sagt Anika. „Aber ich möchte, dass diese Krankheit mehr in das Bewusstsein rückt.“ 20 Prozent der betroffenen Lipödem-Patientinnen vererben die Krankheit weiter. Deswegen ist für Anika klar: Wenn sie später Mutter einer Tochter wird, wird sie ein Sparbuch für sie anlegen, um die Operationen bezahlen zu können – falls diese dann immer noch nicht von der Krankenkasse übernommen werden. Um ihrer Tochter die ein oder andere Erfahrung zu ersparen, die sie selbst machen musste.