Aue-Wingeshausen. . Shorki und seine Familie sind vor dem syrischen Bürgerkrieg geflohen. Helmut Keßler hilft ihnen, sich im Dorfalltag in Aue zu integrieren.

Zerbombte Straßenzüge. Menschen, die ihre Angehörigen unter den Betontrümmern suchen und sie doch nicht finden. Gesichter, die mit Blut und Staub bedeckt sind. Kinder, die ihre Eltern verloren haben und nicht für sich selbst sorgen können. Aleppo ist zum Inbegriff des syrischen Bürgerkriegs geworden. Präsident Assad hat gewonnen, hat die Stadt von den Terroristen befreit – und nahm dafür einen hohen Preis in Kauf.

Anpacken statt reden

Oft braucht es gar nicht viel, manchmal noch nicht mal Geld. Natürlich: Wenn Integration gelingen soll, müssen beide Seiten anpacken. Beide Seiten müssen bereit sein, aufeinander zuzugehen. Und genau das machen Shorki und Helmut Keßler.

Shorki ist dankbar dafür, dass er jetzt hier in Deutschland in Frieden leben darf. Er möchte etwas zurückgeben – und Helmut Keßler gibt ihm die Möglichkeit dazu. Auch wenn es „nur“ Mäharbeiten im Dorf sind, haben diese ehrenamtliche Tätigkeiten einen so viel höheren ideellen Wert. Sie geben Shorki das Gefühl, gebraucht zu werden und nicht einfach nur Opfer seiner zweifelsfrei traumatischen Umstände zu sein. Sich für das Dorfleben zu engagieren ist immer ein guter Weg, um von der Gemeinschaft dauerhaft und aufrichtig akzeptiert zu werden.

Shorki und Helmut Keßler leben Integration, statt einfach nur über sie zu reden. Es gibt keine Berührungsängste. Sie lachen zusammen und lernen voneinander. Eine wichtige Botschaft, die beide hier vermitteln. Eine Botschaft, die leider viel zu oft noch nicht verstanden wurde. Britta Prasse

Tausende Menschen sind dieser Schlacht um Aleppo zum Opfer gefallen, Abertausende haben ihre Heimat verloren. So wie Shorki und seine Familie. Der 24-Jährige ist mit seiner Mutter, seinem Bruder Marwan und seiner Schwester Almaz und ihren drei Kindern nach Deutschland geflohen. Seit zehn Monaten lebt er jetzt in Deutschland, seit zwei Monaten wohnt er in Aue. Hier möchte er sich einbringen, vielleicht wieder als Friseur arbeiten, Musik machen, vor allem aber in Frieden leben.

M wie Mähen

Helmut Keßler als Vorsitzender des Dorfvereins Aue-Wingeshausen hat die Betreuung für Shorkis Familie übernommen. „Unser Ziel ist es, die Familie in den Dorfalltag zu integrieren. Ehrenamtliche Arbeit ist nur ein Aspekt davon“, sagt Keßler. Alle fünf Wochen mähen Shorki und sein Bruder Marwan zum Beispiel öffentliche Dorfflächen, entlang des Friedhofs oder entlang der Bahngleise an der Hauptstraße. „Ich habe in Deutschland sehr viele hilfsbereite Menschen kennengelernt. Es ist gut, dass ich so etwas zurückgeben kann“, sagt Shorki in einem Mix aus Englisch und Deutsch. Er besucht zurzeit einen Deutschkurs in Bad Berleburg, vier Mal die Woche, jeweils von 8 bis 12 Uhr.

I wie Istanbul
Vorher lebten Shorki und seine Familie für kurze Zeit in Berghausen, bis die Stadt Bad Berleburg sie schließlich Aue zugewiesen hat. Ob es nicht schwer ist für Shorki, als Fremder in einem Dorf zu leben und nicht in der Stadt? „Am Anfang war es nicht leicht“, gibt er zu. Es ist nicht vergleichbar mit der Millionenstadt Aleppo. Oder mit Istanbul, einer 15-Millionen-Einwohner-Metropole, wo er ebenfalls mehrere Jahre gelebt hat. „Die Straßen waren dort immer voller Menschen, man hat schnell Kontakt zu Anderen gefunden“, erzählt Shorki.

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Es sei aber auch anonymer gewesen. In Aue habe er sehr freundliche Menschen kennengelernt – zum Beispiel Helmut Keßler, der ihm unter anderem beim Übersetzen und Ausfüllen von Formularen geholfen hat. Oder ihm auch ein Fahrrad organisiert hat, damit er zumindest ein bisschen mobil ist.

T wie Trommeln
Shorki ist dankbar für Beschäftigung. In seiner Heimat hat er zum Beispiel gesungen oder Musik auf seiner Darburka, einer Bechertrommel, gemacht. „Klarinette würde ich gerne noch lernen“, sagt er. „Ich habe ja Zeit.“ Helmut Keßler nickt – und drückt seine Zigarette aus. „Da werde ich mich ‘drum kümmern.“