Wittgenstein. Kritischer Blick in die Zukunft: Superintendent Stefan Berk stellt den Kirchenkreis Wittgenstein als Organisationsform auf den Prüfstand.
Der evangelische Kirchenkreis Wittgenstein feiert dieses Jahr mit seinen Gemeinden in Wittgenstein und Hochsauerland sein 200-jähriges Bestehen. Im Gespräch mit Superintendent Stefan Berk blicken wir weiter in die Zukunft – und machen die Entwicklung an einigen Beispielen fest.
Stichwort Wirtschaftlichkeit: Wird es den eigenständigen Kirchenkreis Wittgenstein auch in 20 Jahren noch geben? Warum?
Stefan Berk: Stefan Berk: Das ist für mich keine Frage der Wirtschaftlichkeit. Denn unser westfälisches Finanzsystem unterscheidet nicht zwischen klein und groß. Eher frage ich, ob es in 20 Jahren noch sinnvoll ist, unsere Kirchengemeinden in einem eigenen Kirchenkreis zu organisieren und zu begleiten.
Woher kommen die Zeit und die Energie, alle Leitungspositionen zu besetzen und in Ausschüssen sinnvoll arbeiten zu können? In absehbarer Zeit werden wir in unserem Kirchenkreis die Zahl von 30 000 Mitgliedern unterschreiten. Es könnte deshalb sein, dass wir hier in größerem Maßstab denken müssen.
Ist es heute ausgemachtes Ziel den Kirchenkreis zu erhalten? Oder wird irgendwann eine Fusion etwa mit dem Kirchenkreis Siegen zwangsläufig für neue Strukturen sorgen?
Zur Zeit geht es uns in unserem Kirchenkreis gut. Zugegeben: Wir haben Schwierigkeiten, alle Stellen gut besetzen zu können – aber das geht ja vielen Firmen und Institutionen im Altkreis Wittgenstein ähnlich. Und es sieht im Moment ganz danach aus, als könnten wir frei werdende in den nächsten fünf Jahren doch vielleicht wieder gut besetzen.
Aber deshalb ist es trotzdem wichtig, das Gespräch mit dem Nachbarkirchenkreis Siegen zu führen.
Wir brauchen eine langfristige Perspektive. Im Kirchenkreis arbeiten wir daran, dass unsere Kirchengemeinden gut aufgestellt werden – also zukunftsfähig sind. Dann könnten sich auch die Strukturen auf der Kirchenkreis-Ebene irgendwann einmal ändern, ohne dass das Leben in den Gemeinden beschädigt würde oder die Identität kaputt geht. Und auf der Ebene des Kirchenkreises selbst haben wir zum Beispiel mit dem Abenteuerdorf einen wunderbaren neuen Mittelpunkt, der dafür sorgen wird, dass evangelische Kirche in Wittgenstein und Hochsauerland einen eigenen Akzent behält.
Stichwort Demografie: Die Zahl der Gemeinde-Glieder sinkt, die Einnahmen durch Kirchensteuer auch. Wie schwierig ist es gerade deshalb, die Wittgensteiner wieder mehr für die Kirche zu begeistern? Insbesondere junge Menschen?
Noch sinken die Kirchensteuern nicht, weil unsere Wirtschaft sehr gut läuft. Aber es stimmt natürlich: Je weniger Mitglieder wir haben, desto weniger Geld werden wir längerfristig haben. Deshalb kann es in Zukunft schwieriger werden, unser jetziges hohes Engagement zu halten. Trotzdem glaube ich, dass die gute Jugendarbeit der letzten Jahre sich auswirken wird. Das hat sich für mich vor einem halben Jahr auf der gezeigt, auf der Delegierte aus allen Gemeinden über die Zukunft „ihrer“ Kirche diskutiert haben. In vielen Presbyterien gibt es auch junge Leute, die mitgestalten und mitentscheiden wollen. Ich denke, dass Begeisterung damit zu tun hat, ob jemand ernst genommen wird und mitgestalten kann.
Zugleich steigt der Altersschnitt der verbleibenden Gemeinde-Glieder – mit welchen Auswirkungen auf das seelsorgerische Angebot, insgesamt und in den Kirchengemeinden?
Wir spüren diese Veränderung ja jetzt schon. In manchen Kirchengemeinden hat die Zahl der Beerdigungen deutlich zugenommen. Ich glaube, dass wir in den nächsten Jahren neue Formen der Arbeit mit alten Menschen finden müssen. Denn alte Menschen sind ja keine Seelsorge-Fälle! Wer einen Besuch braucht, wer Hilfe und Begleitung braucht, der muss sie auch weiterhin bekommen. Aber das muss gemeinsam mit unserem Diakonischen Werk und mit ehrenamtlichen Mitarbeitenden geschehen – etwa mit einem Besuchsdienst.
Wie werden sich vor diesem Hintergrund die Aufgaben der Wittgensteiner Pfarrer verändern? Was bedeutet dies zugleich für das Engagement Ehrenamtlicher?
Wenn Mitte der 20er Jahre viele Pfarrer und Pfarrerinnen in den Ruhestand gehen, kann es passieren, dass nicht alle offenen Stellen besetzt werden können. Ich vermute, dass wir uns dann konzentrieren müssen: Welche Aufgaben gehören unbedingt in den Pfarrdienst – und was könnte auch von Menschen mit anderen Berufen gut gemacht werden? Das können auch Ehrenamtliche sein, aber man darf sich nicht täuschen: Die Zahl derjenigen, die sich neben ihrer Berufstätigkeit, ihrer Familie und ihrer Freizeit noch ehrenamtlich engagieren, wird sicherlich weniger werden. Da hat keiner eine Patentlösung, aber immerhin ahnen wir, welche Veränderungen auf uns und die Gemeinden zukommen.
„Die evangelische Kirche steht in Konkurrenz zu säkularen Anbietern.“ So heißt es schon in der Kirchenkreis-Konzeption von 2011. Wie kann, muss sie sich da in Wittgenstein profilieren?
Konkurrenz ist gar nicht so schlecht. Denn die verhindert, dass man einfach so weitermacht wie in den letzten 200 Jahren, um es salopp zu sagen.
Aber ich meine das durchaus ernst: Wenn Vereine oder Institutionen Dinge besser hinkriegen als wir, dann kann es doch nicht sein, dass wir darauf schimpfen, sondern müssen uns selbst fragen, woran das denn liegt. Mein Eindruck ist allerdings, dass wir als Kirche nicht vergessen dürfen, was unser Auftrag ist. Unsere Mitte ist der Glaube an Gott, die Nachfolge von Jesus Christus, die Hoffnung auf den Heiligen Geist. Davon zu erzählen und das zu leben, ist unser Kern. Und ich glaube, dass wir bei diesem Thema keine Konkurrenz fürchten müssen!
Die Statistik zeigt, dass der Anteil der Atheisten in der Bevölkerung inzwischen deutschlandweit bei mehr als einem Drittel liegt. Was passiert da? Was kann, muss die Kirche tun?
Ich fürchte, auf diese Frage keine Antwort geben zu können. Ich kann nicht beurteilen, ob die Menschen, die aus unserer Kirche austreten, nicht mehr an Gott glauben oder ob ihnen unsere Kirche zu eng ist. Mir ist aber auch wichtig, dass wir in einer Zeit leben, in der Menschen nicht mehr gezwungenermaßen in einer Kirche sein müssen, weil sie sonst gemobbt oder ausgegrenzt werden. Zwei Dinge müssen wir, glaube ich, tun: Zum einen bei dem bleiben, was uns als Kirche ausmacht – engagiert von der Liebe Gottes reden, für Schwache eintreten, Ungerechtigkeiten beim Namen nennen. Und zum anderen mit einer gehörigen Portion Gottvertrauen kritisch fragen, was wir besser machen können.