Bad Berleburg. . Neonazis werden mittlerweile nicht mehr unbedingt als Rechte wahrgenommen: Stephan Klenzmann zeigt, wie sich Rechtsextremismus verändert hat.

  • Kommentare haben sich seit der Flüchtlingsdebatte in den Sozialen Netzwerken zugespitzt
  • Chronik der rechtsradikalen Gewalt in Siegen-Wittgenstein
  • Strukturen verlagern sich zunehmend ins Internet

„Sie tauchen überall auf, werden aber gar nicht mehr als Rechtsradikale wahrgenommen“: Stephan Klenzmann, Mitbegründer der Jugend-Initiative „Siegen Nazifrei“, engagiert sich seit Jahren gegen Rassismus und Diskriminierung im Kreis Siegen-Wittgenstein. Dabei ist ihm aufgefallen, dass sich in den vergangenen zwei Jahren – Stichwort „Flüchtlingsdebatte“ – die Kommentare in den Sozialen Netzwerken zugespitzt haben. „Hetzen ist interessanter als zu entschärfen“, so Klenzmann. Seine Eindrücke hat er in einer Präsentation festgehalten, die er am Donnerstagabend im Johannes-Althusius-Gymnasium in Bad Berleburg vorgestellt hat. „Rechtsextremismus im Siegerland und Umland von 1990 bis heute“ – der Tenor: „Auch hier gibt es ein Problem.“

Die Chronik

1992 – Am 17. Oktober greifen drei Siegerländer Skinheads auf dem Weg zu einem Treffen der inzwischen verbotenen FAP („Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“) in Hennef einen Tamilen an, schlagen und treten ihn zusammen und lassen ihn schwer verletzt auf einer vielbefahrenen Straße liegen.

1992 – Der 55-jährige sehbehinderte Bruno Kappi wird am 15. Dezember im Weidenauer Einkaufszentrum von einem 16-jährigen Schüler und einem 20-jährigen Auszubildenden totgeschlagen. Der 20-Jährige war bereits an dem Überfall auf den Tamilen beteiligt. Beide Täter werden vom Mordvorwurf freigesprochen, da „der prozentuale Täternachweis nicht möglich“ war.

2001 – Bis zu 50 Skinheads terrorisieren eine türkische Familie in ihrem Haus in Niederschelderhütte – ein ganzes Wochenende. Sie hissen eine SS-Fahne, spielen Hitler-Reden über einen Rekorder ab und hantieren mit Samurai-Schwertern. Die Polizei greift verhältnismäßig lange Zeit nicht ein, weil die Zuständigkeiten an der Landesgrenze zu Rheinland-Pfalz nicht eindeutig sind. Fünf Personen werden festgenommen. Einen Tag später werden sie freigelassen.

2012 – Anfang September unternimmt die Polizei im Westerwald Hausdurchsuchungen gegen die Band „Kaltes Judenleder“. Die Beamten beschlagnahmen Tonträger, scharfe Waffen und Munition. Der Gründer der Band wurde 2005 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt – unter anderem, weil er mit Hakenkreuz-Fahnen gehandelt hatte.

2013 – Am 9. November – die Reichspogromnacht jährt sich um 75. Mal – werden mehrere jüdische Friedhöfe in Bad Berleburg, Siegen und Dillenburg geschändet. Ein Wildschweinkopf wird auf den Davidsstern am Berleburger Friedhof gespießt. Der Täter, ein 25-jähriger Siegener, wird wegen Volksverhetzung zu einer Bewährungsstrafe von 16 Monaten verurteilt. In einer Pressemitteilung schreibt die Kreispolizeibehörde, dass sich in der Region „Anhaltspunkte für eine organisierte rechte Szene ergeben könnten“.

2015 – Beim Public Viewing auf dem Berleburger Marktplatz zeigt ein 30-jähriger Berleburger mehrmals den Hitlergruß. Er wird zu acht Monaten Haft verurteilt, weil er bereits wegen Volksverhetzung und Bedrohung vorbestraft war.

Die Strukturen

Die Organisationen verlagern sich zunehmend ins Internet. In Facebook-Gruppen wie „Brigade Siegen“ oder „Bürgerbegehren Siegerland und Wittgenstein“ wird aktiv gegen Ausländer gehetzt. „Nach einiger Zeit werden diese Seiten gesperrt, tauchen aber später wieder unter einem anderen Namen auf“, sagt Klenzmann. Doch auch wenn Rechtsextremismus zunehmend online stattfindet, geht Klenzmann auf zwei Gruppierungen ein, die sich in den letzten Jahren am rechten Rand etabliert haben.

Der III. Weg

Sie lehnen sowohl Kapitalismus als auch Kommunismus ab und beschreiten deswegen den „dritten Weg“: den Deutschen Sozialismus. „Eine faschistische Bewegung, noch viel gefährlicher als die NPD“, so Klenzmann. Die Partei hatte mit ihrer Postkarten-Aktion bundesweit für Schlagzeilen gesorgt, bei der sie u.a. einen Olper Politiker dazu aufgefordert hatte, Deutschland zu verlassen.

Identitäre Bewegung

Offiziell ist die „Identitäre Bewegung“ in Siegen-Wittgenstein nicht vertreten – obwohl das im Logo enthaltene „Lambda“-Zeichen kreisweit schon als Graffiti oder auf Flyern gesehen wurde. Der Slogan „Heimat – Freiheit – Tradition“ wird modern ausgelegt und zieht in erster Linie junge Erwachsene an. Klenzmann: „Sie wirken hip – und sind deswegen so gefährlich.“

>>> ES BESTEHT AUFKLÄRUNGBEDARF – EIN KOMMENTAR

Stephan Klenzmann hat recht: Wir haben ein Problem. Und zwar nicht nur in Ostdeutschland, wie wir es im Westen gerne betonen, sondern auch hier. Vor der eigenen Tür. Rechtsextreme gibt es überall. Leider.

Es sind nicht viele zum Vortrag von Stephan Klenzmann gekommen, vielleicht 20 Zuhörer. Ob es daran lag, dass man schon so viel über den Nationalsozialismus im Dritten Reich gehört hat? Man quasi „übersättigt“ ist? Oder daran, dass man doch jetzt endlich mal mit der deutschen Dunkel-Vergangenheit abschließen und nicht dauernd mit aktuellen „Ausreißern“ konfrontiert werden möchte? Ich weiß es nicht. Was sich in dieser kleinen Runde allerdings gezeigt hat: Es gibt Diskussionsbedarf. Und Aufklärungsbedarf.

Rechtsextremismus hat mehr Facetten als Glatze, Bomberjacke und Springerstiefel. Gruppierungen wie „Der III. Weg“ und die „Identitäre Bewegung“ zeigen, wie sich fremdenfeindliches Gedankengut in die Mitte der Gesellschaft eingeschleust hat. Die Mitglieder werben für Heimatgefühl, Tradition, Völkerkunde und Gemeinschaft – zum Teil so subtil, dass unsichere Jugendliche, die Bestätigung suchen, auf den „Kameradschafts-Zug“ aufspringen. Um sich selbst stärker zu fühlen.

Auch den Medien kommt in dieser Sache eine wichtige Rolle zu. Wenn sie kritisch berichten, werden sie als „Lügenpresse“ abgestempelt; wenn sie objektiv berichten, wird ihnen womöglich eine rechte Orientierung unterstellt; wenn sie gar nicht berichten, verschleiern sie etwas. Aber eins ist klar: Es muss berichtet werden. Um zu informieren, aufzuklären – und vielleicht auch um zu warnen.