Laibach. . Heerlager und Mittelaltermarkt vermitteln auf dem weitläufigen Gelände am Hotel „Erholung“ lebendige Eindrücke aus längst vergangenen Zeiten.
- Teilnehmer wollen die Fantasie anregen und heimische Räubersagen lebendig halten
- Pumphosen der Sippe von Sven Greifenstein zeigen: Viel Stoff bedeutet viel Geld
- Für Kinder ist das große Zeltlager - trotz Getreidebrei - ein einziges Abenteuer
1000 Jahre früher wäre eine Konfrontation mit einer solchen Übermacht an Wikingern und Raubrittern vermutlich ziemlich blutig, wenn nicht sogar tödlich ausgegangen. Doch am Wochenende konnten Besucher weitestgehend unbehelligt durch das vom „Wittgensteiner Tross“ organisierte mittelalterliche Heerlager aus unzähligen Leinenzelten auf dem Laibach flanieren. Mehr noch: Sie bekamen spannende und lebendige Eindrücke in die Zeit des Frühmittelalters. Rund 100 Teilnehmer kampierten unter nahezu originalgetreuen Umständen am Laibach und ließen die Gäste an ihrem Alltag teilhaben.
Mehr als Horden aus dem Norden
Dass die Wikinger viel mehr waren als wilde Horden aus dem Norden, ist das Anliegen von Benjamin Boshof aus Aue, Thomas und Anke Wollenberg aus Oberndorf und ihren Mannen von „Rabenwind“: „Die Wikinger haben einen Ruf als Räuber und Plünderer – wir wollen auch andere Seiten von ihnen vermitteln. Das waren sehr ambitionierte Menschen, die die Weltgeschichte mitgeprägt haben.“
Was steht bei Wikingers denn z.B. auf dem Speiseplan? Marco Szeimys aus Berghausen löffelt gerade eine über dem Feuer gekochte Suppe aus Hühnerfleisch, Dinkel, Löwenzahn, Sauerampfer, Zitronenmelisse und Liebstöckel aus seinem Napf.
Auf dem aus einem Brett und vier dicken Ästen gebauten Tisch stehen Tonkrüge und Holzschalen, die Kinder tragen Woll-Tunikas, Felle und warme Kapuzenumhänge. Und Holzschuhe: „Die sind besser als Gummistiefel!“ Zum Spielen haben sie Stöcke oder Stoffbänder mit Federn. Morgens gibt es einen warmen Getreidebrei oder Rührei, mittags Grießbrei. Zum Zeitvertreib wird genäht, gestrickt, geschnitzt oder Schafwolle gefärbt – mit Zwiebeln, Rhabarber und Krapp.
Pumphosen zeigen: Viel Stoff - viel Geld
Sven Greifenstein und seine Sippe von gegenüber sind wohlhabend. Das erkennt jeder an den weiten Pumphosen: viel Stoff, viel Geld! Dazu Wadenwickel aus Wollfilz, eine Tunika und ein Klappenrock – alles reich mit Borten besetzt und mit Schmuck behangen. Verdient durch den Handel mit Schmuck, Fell- und Lederwaren. Sogar Löffel zum Ohrensäubern und Bartkämme baumeln an seinem Gürtel.
Mittelalter-Lager auf dem Leibach
Marco Szeimys ist mit seiner ganzen Familie auf dem Laibach, die Wikinger sind ihr großes gemeinsames Hobby, für das sie auch schon an viele historische Stätten gereist sind, um sich zu informieren.
An einem Holzkreuz vor dem Leinenzelt baumelt eine blutige Hand mit vier Fingern – zum Glück ausnahmsweise nicht authentisch. Interessierte Besucher dürfen den sogenannten „Brillenhelm“ samt Schwert und Beil , die Sven Greifenstein nach historischen Vorbildern nachgebaut hat, gerne für ein Kämpfchen testen. Als Verteidigung gibt es ein 14 Millimeter dickes Holzschild – mit Leinen bespannt, damit der Feind die Maserung des Holzes nicht erkennen kann und dadurch weiß, wie er seine Schläge möglichst effektiv setzen muss.
Pure Entschleunigung und Urlaub
Bei Markus und Maike Bonkat stehen Graupen und Wurzelgemüse auf dem Tisch. Sie sitzen mit den Zeltnachbarn zusammen um eine Kerze und erzählen, viel mehr Freizeitprogramm gibt es ja nicht: „So ein Wochenende ist für uns pure Entschleunigung und Urlaub.“
„Odins Gefolge“ aus Neukirchen, Attendorn und dem Westerwald ist zum ersten Mal gemeinsam auf einem Mittelaltermarkt. Bei friedlichen Gästen wird der furchterregende Morgenstern weggepackt und zur Zeltbesichtigung eingeladen: Gemütlich aussehende Lager aus Fellen und Decken, der Boden ist mit Teppichen belegt.
Noch komfortabler haben es Gabriel Tiedemann und Beate Büscher aus Pohlheim: Sie stellen Handwerker aus dem Hochmittelalter dar und haben sich ein Holzbett gebaut, in dem dicke Strohsäcke auf gespannten Seilen als Lattenrost liegen. Stabile Holztruhen sind mit dickem Styropor ausgekleidet, darin lagern tiefgefrorene Tetrapacks mit Milch, die Fleisch und frische Lebensmittel selbst bei Hitze bis zu vier Tage kühl halten. Zugegeben, nicht ganz stilecht, aber mal eben eine Wildsau erlegen oder im nächsten Discounter einkaufen – das geht auch nicht auf einem neuzeitlichen Mittelaltermarkt.
Das Wetter ist seit Tagen sehr durchwachsen, immer wieder gibt es heftige Regengüsse, die Temperaturen sind einstellig und sinken nachts bis auf 4 Grad. Schreckt das nicht ab? Einige Teilnehmer haben warme Schlafsäcke und Isomatten unter ihren dicken Fellen und Wolldecken, die warme Dusche morgens im Hotel „Erholung“ nebenan ist auch akzeptiert. Aber ansonsten wird nicht gejammert: „Die Menschen im Mittelalter mussten früher mit viel weniger Mitteln mit dem Wetter fertig werden. Klar, wir sind hier alle ein bisschen verrückt. Aber es macht unglaublich viel Spaß!“
Die Raubritter vom Schlossberg zu Hilchenbach
Bei den Raubrittern vom Schlossberg in Hilchenbach geht es genauso zu, wie man sich eine Räuberhöhle vorstellt: Fackelschein, sich biegende Tische voller Leckereien und Weinkrüge, derbe Sprüche und lautes Gelächter. „Ronja Räubertochter“ sei eins der Vorbilder der vor 15 Jahren gegründeten Gruppe, erzählt Matthias Beumer. 15 finster wirkende Gesellen tummeln sich im Zelt, darunter auch ihr Quoten-Wittgensteiner Matthias Lückel.
Kinder können hier Räubermünzen pressen, mit Schwertern kämpfen, Pony reiten und sich an einer echten Räubertafel beim Essen so richtig daneben benehmen. Erwachsene Passanten werden gerne bedroht, können sich aber durch einen Schwur auf den Räuberhauptmann Johannes Hübner von der Ginsburg freikaufen, in dem sie geloben, auf ewig Siegerländer zu sein.
Wie viele Wittgensteiner sie am Wochenende zu diesem Schritt genötigt haben, wissen sie nicht mehr genau. Aber eigentlich sind sie ja gar nicht so böse, wie sie tun: „Wir wollen die Fantasie anregen und die heimischen Räubersagen lebendig halten. Im Grunde sind wir Raubritter zum Liebhaben!“