Girkhausen. Kurt Spies will das Drechsler-Handwerk in Girkhausen wiederbeleben. Er tritt damit in die Fußstapfen seines Schwiegervaters Walter Lückel.

  • Fachmann fürs Drechseln und für Witze: Girkhäuser Original Walter Lückel verstarb im Februar 2014
  • An der Werkstatt-Tür steht jetzt Kurt Spies – in Jeans und Pullover statt Blaumann
  • Aus der Erinnerung: „Ich habe meinem Schwiegervater oft über die Schulter geschaut“

Wer nachmittags in Girkhausen in der Dell am Haus vom Opa Walter vorbeikam, der konnte die alte Drehbank rattern oder die Bandsäge quietschen hören. Wenn die Tür zur Werkstatt offen stand, erhaschte man einen Blick auf einen Haufen Späne und roch das Holz und den Lack. Ein unvergessliches Geruchsgemisch.

Da stand er dann, in seinem Blaumann mit seiner verstaubten Schürze, der Baschlik-Mütze auf dem Kopf und begrüßte Neugierige mit einem schelmischen Grinsen. Manchmal saß er auch auf der Bank neben der Werkstatt-Tür, wartete auf Kundschaft oder hielt ein Schwätzchen mit Nachbarn und Freunden. Walter Lückel war ein Girkhäuser Original. Er war beliebt, weil er unvergleichlich gut drechseln und weil er wie kein zweiter Witze erzählen konnte. Im Februar 2014 starb Walter Lückel.

Jeans und Pullover statt Blaumann

Jetzt, mehr als drei Jahre später, hat sich nur auf den ersten Blick wenig verändert. Die Bank, die Werkstatt-Tür: Alles ist so, als wenn Opa Walter gerade erst dort gesessen hätte. Neben der Holztür steht jetzt Kurt Spies in Jeans und Pullover statt Blaumann. Er ist der Schwiegersohn des verstorbenen Handwerksmeisters und hat sich viel vorgenommen: „Wir müssen das Drechslerhandwerk in Girkhausen wiederbeleben“, sagt der 66-Jährige.

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Kurt Spies aus Girkhausen pflegt das Drechslerhandwerk

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    Die Werkstatt ist runderneuert. Kurt Spies hat gefegt, gestrichen, isoliert, neue Kabel verlegt und Lampen erneuert. Bis auf die in einem Betonfundament sitzende, fast 70 Jahre alte Geiger-Drechselbank hat der Rentner jedes einzelne Teil herausgeholt, gesäubert und an seinen Platz zurück gestellt. Der Rohling eines Tellers ist im Backenfutter eingespannt und ein Häufchen Späne am Boden zeigen: Hier dreht sich wieder was.

    Hobby erst spät für sich entdeckt

    „Eigentlich hätte ich das schon viel früher machen sollen“, hadert Kurt Spies. Aber als gelernter Blechschlosser und Maschinenbautechniker kommt er aus einem ganz anderen Metier. Metall war sein Werkstoff, nicht Holz. Und mit der Drehmaschine hat er in seinem Beruf auch nichts zu tun gehabt.

    Erst spät hat der Wahl-Girkhäuser dieses Hobby für sich entdeckt. „Ich habe meinem Schwiegervater oft über die Schulter geschaut“. Fast jeden Tag hat Walter Lückel nach seiner Arbeit im nahe gelegenen Sägewerk hier die alte Geiger-Drehbank angeworfen und vor sich hin gewerkelt – fast 70 Jahre lang. Selbst als er alt und krank war, Drechseln war sein Ding. Aber im Alter von fast 85 Jahren konnte der Meister sein Handwerk nicht mehr an den Schwiegersohn weitergeben.

    Ein Blick in die Schatzkammer

    Erst nach dem Tod von Opa Walter hat sich der Autodidakt diesem Handwerk verschrieben, das einmal Girkhausen zum Dorf der Löffelschnitzer und Schüsseldreher mit Jahrhunderte alter Tradition gemacht hat. Doch von dieser Tradition ist im Ort nur noch wenig übrig. Die einstmals großen Sägewerke sind Geschichte und selbst das überregional bekannte Heimatmuseum Drehkoite, sucht inzwischen einen Drechsler für die Vorführungen einer ausgefeilten historischen Arbeitstechnik, die es außerhalb des kleinen Dorfes im Odeborntal nirgendwo mehr gibt.

    Er möchte Menschen begeistern

    Egal ob Hobby oder Beruf – für Kurt Spies ist es wichtig, dass es rund läuft. Vor seiner Rente arbeitete der Girkhäuser beim Erndtebrücker Eisenwerk. Dort werden Rohre hergestellt. Sein größtes Hobby war über viele Jahre der Fußball – als Spieler und als Trainer. Selbst mit über 50 Jahren hatte „Spies Kurt“ immer noch die Fußballschuhe für den VfL Girkhausen geschnürt und war mit einer enormen Kondition und Willen unaufhörlich an der Linie hoch und runter gelaufen.

    Mindestens genau so wichtig ist ihm das Tanzen. Ob Disco-Fox oder Wiener Walzer. Auch hier lief und läuft es für den heute 66-jährigen immer rund. Kein Wunder also, dass er sich nach dem Ende seiner Fußballer-Laufbahn mit dem Drechseln auch ein rundes Hobby gesucht hat. Ob früher als Trainer im Fußball, oder heute als Tanzlehrer und bald auch als Drechsler. Er hat Spaß daran, Menschen für seine Hobbys zu begeistern. Wer mehr erfahren will, kann ihn einfach anrufen.

    So wie die Tür zur Werkstatt ein Tor zur Vergangenheit ist, so ist die Tür zur Vorratskammer wie der Eingang in eine Schatzkammer. Hier stehen die gedrehten und geschnitzten Teller, Schüsseln und das Kunsthandwerk. Ein Teller voller hölzerner Eier steht schon als Osterdekoration. Daneben sprießen Steinpilze aus dem Regal. Ein Korb voller Kirschen, Pflaumen und Äpfel sind aus dem Holz der dazugehörenden Obstbäume herausgearbeitet worden. Kurt Spies nimmt einen Teller mit dunklem Rand und heller Mitte aus dem Regal. Ein Anfängerfehler. Das Mittelstück brach beim Bearbeiten heraus und er leimte eine Ahornscheibe hinein, erzählt Spies. Jetzt ist aus dem Missgeschick ein Unikat geworden.

    Offen für Exkursionen

    Inzwischen kann Kurt Spies über Missgeschicke lachen. Von seinen Girkhäuser Lehrern wie Wilhelm oder Roland Dickel und Hartmut Riedesel hat er sich einiges Wissen über Holz sowie Tricks und Kniffe zeigen lassen. Außerdem kann er aus einem Fundus von Modellen und Ideen schöpfen, die ihm die Drechslerlegende Walter Lückel hinterlassen hat. Mal ganz zu schweigen von dessen Dreheisen. Und da ist er wieder in seinem alten Metier: Eisen und Stahl.

    Für die wertvollen und schwierig herzustellenden Drechselwerkzeuge hat sich Kurt Spies eigens eine moderne Schleifmaschine angeschafft. „Man braucht vor allem scharfes Werkzeug“, weiß der Techniker. Er demonstriert die Schärfe sofort an dem auf der Drehbank eingespannten Teller-Rohling und erklärt die Technik. Das macht Spies besonders viel Spaß. „Ich kann mir gut vorstellen das Handwerk auch anderen Interessierten zu zeigen. Zum Beispiel könnten Schulklassen hier her kommen.“ Und natürlich möchte Spies nicht nur fürs Regal drechseln, sondern auch Teller, Schüsseln, Nudelhölzer verkaufen. Da ist er nicht anders als sein Schwiegervater. Und es riecht auch wieder nach Werkstatt, Holz und Spänen. So gesehen, hat sich wirklich nicht viel verändert in der Dell.

    Telefon-Kontakt zu Kurt Spies: mobil unter 0176/51141333