Werl. . Eine Filmszene: Ein Häftling verlässt das Gefängnis, setzt sich in den Bus und fährt einer ungewissen Zukunft entgegen. In den meisten Fällen ein Klischee - damit sich Ex-Häftlinge in der neuen Freiheit nicht allein gelassen fühlen, werden sie in den Gefängnissen auf ein Leben “draußen“ vorbereitet.

Um die Alltags- und Verbraucherkompetenzen von Untergebrachten in der Sicherungsverwahrung zu fördern, hat die JVA Werl mit der Verbraucherzentrale Soest ein ­Pilotprojekt aus der Taufe ge­hoben.

Es sind Dinge des täglichen Lebens, die für uns selbstverständlich sind, an die sich ein künftiger Ex-Häftling, der womöglich mehrere Jahrzehnte nicht mehr im wirtschaftlichen Leben gestanden hat, erst wieder gewöhnen muss: der Umgang mit Geld, die Nutzung von Handy und Internet, der Abschluss von Versicherungen, das Beziehen einer eigenen Wohnung, die Arbeitsplatzsuche oder das Einkaufen.

Reizüberflutung im Supermarkt

„Geht jemand, der lange in einer JVA gelebt hat, in einen Supermarkt, steht er vor vollen Regalen und wird reizüberflutet“, sagt ­Andreas Jellentrup, stellvertretender Leiter der JVA, „ruckzuck ist der Einkaufswagen voll.“ Und wer seine finanziellen Möglichkeiten überschätzt und sich überschuldet, „läuft Gefahr, wieder auf die ­schiefe Bahn zu geraten“, ergänzt Sozialarbeiter Bastian ­Reimers.

Die Haftentlassung ist Befreiung und Herausforderung zugleich. „Wir stellen keinen mit einem Pappkarton unter dem Arm vor die Tür und sagen: lauf!“, sagt Reimers’ Berufskollege Günter Korf und verweist auf vielfältige Angebote in der JVA zum Thema „Alltagsbewältigung in Freiheit“. Das Projekt „Verbraucherkompetenzberatung“ in Zusammenarbeit mit der Verbraucherzentrale Soest, das es in dieser Form für Sicherungsverwahrte bundesweit noch nicht gab, ist ein solcher Bestandteil des „Trainingslagers fürs Leben“, wie es Korf griffig formuliert.

Fünf Werler Sicherungsver­wahrte und ein Strafgefangener, der im Anschluss an die Strafhaft in die Sicherungsverwahrung wechselt, nahmen zwischen Juli und ­November 2014 an Workshops im Rahmen des Projekts teil. „Es geht darum, die Lebenstüchtigkeit zu erhalten und zu fördern“, sagt ­Ulrich Müller. Für den Leiter des ­Sozialdienstes der JVA ist auch ganz wichtig, dass das soziale Netz eines entlassenen Gefängnis­insassen so eng wie möglich geknüpft ist. Es müssen Bezugspersonen aufgebaut werden, sagt er - seien es Mitarbeiter von Beratungsstellen oder Einrichtungen der Straffälligenhilfe, Familienangehörige oder Freunde. „Ein Netzwerk von Lotsen, damit das Ziel eines geschmeidigen Übergangs erreicht wird.“

Aber: Man zeige den Menschen, die vor einer Haftentlassung ­stehen, nur Wege. „Letztlich gehen müssen sie ihn selbst“, sagt Sozialarbeiter Korf. Allerdings: Wer ­bereits in der JVA Angebote nutzt, ist fitter für den Alltag abseits der JVA.

Jedenfalls, so berichtet Hildegard Becker (Leiterin der Verbraucherzentrale Soest), seien die Werler Gefängnisinsassen überaus interessiert an den Tipps für die praktische Lebensführung gewesen. Wie man zum Beispiel ein Girokonto einrichtet oder ein Haushaltsbuch führt.

Begleitende Befragung

Die Vorstellung freilich, Menschen hinter Gittern bekämen nichts mit vom wahren Leben außerhalb des Gefängnisses, ist nach Erfahrung der Projekt-Beteiligten falsch. Durch Medienkonsum erlangen JVA-Insassen schon Wissen über den Alltag „draußen“. Sozialdienst-Praktikantin Laura Franke hat für eine Hausarbeit in ihrem Studium eine begleitende Befragung der Sicherungsverwahrten durchgeführt. „Auf die Frage, ob die Themen Internet und Handy in den Workshops schwer zu verstehen waren, haben alle Teilnehmer ,nein’ gesagt.“