Warstein. . Willi und Elli Frieg lernten bei einem Urlaub in Sotschi in den 80er Jahren das Ehepaar Lenuweit aus Potsdam kennen. Es entwickelte sich eine Freundschaft über den Eisernen Vorhang hinweg. Wir brachten die beiden Familien zum Jubiläum des Mauerfalls wieder zusammen.
Warstein 2014. Eine alte Wolldecke mit Karomuster, beigefarben, liegt auf der Couch von Elisabeth Wiese. Handgewebt – Made in DDR – reine Schurwolle. So heißt es auf dem Etikett. Ein Fotoalbum liegt auf dem Tisch, in den Folien stecken bunte, aber alte Fotos.
Elisabeth Wiese kann sich an den Mauerbau kaum erinnern. Irgendetwas wurde in der Schule besprochen. Sie war gerade 14, nicht politisch interessiert. „Man wusste nicht, was kommt da, was ist da.“ Es sei einfach zu lange her. An den Mauerfall, jetzt 25 Jahre her, erinnert sie sich dagegen gut. Warstein 1989: Die 19-Uhr-Nachrichten schauten Willi und Elli Frieg, Eltern von Elisabeth Wiese, jeden Abend.
Sie selbst war eine Etage unter ihnen, erinnert sich Elisabeth Wiese. Willi Frieg war außer sich. Seine Tochter hörte ihn rufen, als klar wurde, dass der Eiserne Vorhang im Osten endlich fallen werde. Schon immer sei Willi Frieg politisch interessiert gewesen, seine Freude bei den Nachrichten vom 9. November 1989 riesengroß. Ganz Deutschland sei erleichtert gewesen, doch Willi und Elli Frieg dachten an ihre Freunde hinter der Mauer: Ulrich und Inge Lenuweit in Potsdam.
Ein Visum für die Reise
Rückblick: Sotschi 1984. Fünf Jahre sollte es noch dauern, bis die Menschen an der Mauer tanzten. Willi und Elli Frieg hatten eine Reise gebucht, auf die Krim und nach Sotschi. Drei Tage nur, ein extra Visum haben sie gebraucht, um Urlaub hinter der Mauer zu machen. „Mein Vater hat sich schon immer für Russland interessiert“, erzählt Elisabeth Wiese und zeigt ein Foto ihrer Mutter mit schwarzem Mantel und Fellmütze in Moskau. In Sotschi, da haben Willi und Elli Frieg die Lenuweits kennengelernt. Ihre Tochter kann nicht viel zu ihnen erzählen.
„Uli war beim Militär, glaube ich. Sie mussten sich heimlich treffen, sonst hätte er seine Karriere aufs Spiel gesetzt.“ Beobachtet hätten sie sich gefühlt, Angst gehabt. Alles musste versteckt gemacht werden, Westler und Ostler durften nicht zusammen Urlaub machen.
Trotzdem habe sich eine Freundschaft entwickelt, habe man sich Briefe zwischen Warstein und Potsdam hin und hergeschrieben. Elli Frieg schickte sogar ein Paket mit Medikamenten für die schwangere Tochter. Ob die Briefe und das Paket angekommen seien, das wussten sie nie genau. Mit dem Tod von Willi und Elli Frieg verlor sich der Kontakt. Ihre Tochter weiß nicht, was aus den Freunden im Osten geworden ist, ob sie noch leben.
Potsdam 2014. Ulrich Lenuweit, eine aufgeweckte Stimme am Telefon, jetzt 82 Jahre alt. Warstein, da klingelt etwas bei ihm, da weiß er sofort, wer gemeint ist. Inge, seine Frau, sie ist jetzt 90, auch sie erinnert sich noch an die Friegs.
Kein Kontakt zwischen Ost und West
Sotschi 1984. Ulrich Lenuweit und seine Frau sind in einem Hotel, die Westler waren weiter unten untergebracht, frühstückten an anderen Tischen. Kontakt durfte nicht hergestellt werden. Am Strand dann sprachen die Friegs das Ehepaar an. Sie aßen zusammen, unterhielten sich, gaben sich reserviert um in der Öffentlichkeit nicht aufzufallen. Man hatte sich viel zu erzählen.
„Das war das einzige Mal, dass wir uns im Osten gesehen haben, anders kann es nicht gewesen sein. Das war zu gefährlich, ich hätte meinen Job verloren“, sagt Ulrich Lenuweit, der, anders als Elisabeth Wiese berichtete, nicht beim Militär, sondern als Parteigenosse im Kulturbereich tätig war. Der Mauerfall, er war ein großer Schreck für den Potsdamer. Seine Mitarbeiter kamen nicht zur Arbeit, er fragte sich, ob er etwas falsch gemacht hätte. Ein Jahr lang blieb er arbeitslos – die schlimmste Erfahrung, die er jemals gemacht habe. Ein Mann bot ihm eine Lehre als Scheren- und Messerschleifer, er zog auf den Straßen umher und bot seine Dienste den Restaurants an. „Auf der Straße zu arbeiten, das hat mir sehr weh getan“, sagt Ulrich Lenuweit heute. Das sei eine neue Zeit gewesen, denn im Sozialismus habe es keine Arbeitslosen gegeben.
Er sei kein Stasi-Mensch gewesen, bekräftigt Ulrich Lenuweit, doch er habe eine Aufgabe gehabt, die er erfüllen musste, die vom einen auf den anderen Tag von jemand anderem übernommen wurde. Noch heute fühle er sich in manchen Situationen unwohl, denkt an den Osten zurück, in dem für ihn einiges leichter war, vor dem Mauerfall.
Wie das Leben halt spielt.
Warstein etwa 1990. Es klingelte an der Tür von Willi und Elli Frieg. Willi lag nach einem Schlaganfall im Krankenhaus. Die Freude, die Ostler überraschend vor der Tür zu sehen, sie war trotzdem groß. „Wir kannten die DDR von A bis Z, wir wollten sehen wie Ebbe und Flut ist, wie die Berge aussehen, mal dort reinschnüffeln, wo wir noch nie waren, sehen: wie lebt man da?“, erklärt Ulrich Lenuweit. Sie fuhren kreuz und quer, landeten in Warstein bei ihren Freunden, die sie Jahre zuvor in Sotschi getroffen hatten. Peinlich sei es ihnen gewesen, so überraschend vor der Tür der Familie zu stehen, die doch gerade andere Probleme gehabt hätte.
Der letzte Besuch sei das gewesen, der Kontakt ist abgebrochen – nicht, weil etwas Unangenehmes vorgefallen sei, nur einfach so, wie das Leben halt spielt. Mit Warstein verbindet Ulrich Lenuweit seine Freunde, dort besuchte er die Brauerei. Sechs Warsteiner Biergläser stehen noch immer in seinem Regal.
Wieder Warstein 2014. Elisabeth Wiese ist am Telefon, überrascht, als sie hört, dass die Lenuweits sich erinnern. Sie will anrufen, hören wie es ihnen geht, in Potsdam, jetzt, 25 Jahre nach dem Mauerfall.