Sundern. Historiker Werner Neuhaus schreibt über die Zeit um 1848 in Sundern: Revolutionäre ziehen mit Sensen und Stöcken auch vor das Schloss in Amecke.
Gab es 1848 auch in Sundern und Umgebung eine Revolution? Ging es in Sundern schon immer so gut, wie nach der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts? Dieser und anderen Fragen geht der Sunderner Historiker Werner Neuhaus in seinem jüngsten Buch „Armut – Auswanderung – Aufruhr“ nach.
Die Zeit um 1848 ist allerdings schlecht dokumentiert, das Sauerland sei ein weißer Flecken in den Untersuchungen, die schon Bundespräsident Gustav Heinemann bei seinem Amtsantritt vor 50 Jahren gefordert hatte. Denn er sah darin einen „ungehobenen Schatz“ demokratischer Bewegung und Ereignisse, den man heben müsse. Lob gibt es von Neuhaus für die Dissertation des Arnsbergers Jens Hahnwald („Tagelöhner, Arbeiter und soziale Bewegung“, 2002 Bochum), die Vorgänge in der Heimat gut analysiere.
Verschollen geglaubte Briefe gefunden
Werner Neuhaus (73) stammt aus Wickede, nach dem Studium der Geschichte und der englischen Sprache unterrichtete er bis zu seiner Pensionierung am Städtischen Gymnasium in Sundern.
Vor einigen Jahren hat er in Münster im Adelsarchiv die
verschollenen geglaubten Briefe zwischen dem Revolutionär Ferdinand Lassalle (1825 – 1864) und dem westfälischen Adligen Clemens August von Westphalen (1805 – 1885) wiedergefunden und 2016 veröffentlicht.
„Armut - Auswanderung - Aufruhr - Studien zur Sozialgeschichte des Sauerlandes in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ ist es in der „edition leutekirche sauerland“ erschienen. In dem Band sind einige verstreut erschienene Aufsätze zusammengefasst und mit einem neuen Vorwort versehen.
Nach der Untersuchung der bekannten Abhandlungen kommt Werner Neuhaus zu dem Schluss, dass die Revolution auf dem platten Lande seine Hauptursachen in den sozialökonomischen Prozessen des Vormärz hatte. Die kleinen Ackerbürgerstädte und Dörfer im kurkölnischen Sauerland hätten „strukturelle demographische und wirtschaftliche Probleme“ gehabt. „Dazu kamen Hungertote“, berichtet der Historiker im Gespräch mit unserer Zeitung.
Überrascht war auch im Sauerland die Elite, als vor ihren Türen protestierende Bauern aus der Gegend erschienen. Nicht die Armut, die Arbeitslosigkeit und der Hunger an sich, sondern die günstige Gelegenheit, die Erfolge in Süddeutschland hatten sich herumgesprochen, hätten dazu geführt: Dabei gehe es um die „empfundene Diskrepanz zwischen eigenen Erwartungen und den realen Verhältnissen.“
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Es herrschte ein rasches Bevölkerungswachstum, grundlegende Änderungen in der Land- und Forstwirtschaft sowie ein Frühindustrialisierung mit vielen Folgen für das Handwerk und die Heimarbeit. „Wir müssen uns vorstellen, dass man damals nicht einen, sondern sechs bis sieben Jobs hatte, um das Überleben zu sichern“, sagt Neuhaus. Ziele der Revolution im Sauerland seien deshalb nicht die Demokratie, sondern die Wiederherstellung des alten Rechts oder des alten Zustandes gewesen.
Arbeitslosigkeit steigt
So zogen Revolutionäre, die als Waffen nur ihre Sensen, Stöcke und Hämmer hatten, vor die Schlösser in Herdringen, Amecke, Melschede oder Körtlinghausen bei Suttrop. „Sie wollten einfach Dinge wie wieder mehr Holz oder am Sonntag einen Hahn im Topf“, beschreibt Neuhaus die Situation. Und die Allendorfer, die vor das Schloss in Amecke zogen, wollten ihre Waffen wieder haben, um wieder jagen zu können.
So ging es um die Rückkehr zum Huderecht, und auch um den Schutz der traditionell arbeitenden Eisenindustrie vor moderner ausländischer Konkurrenz. Viele Menschen hätten in den Gruben und den Hütten der Sunderner Berge ihren Job verloren, als es billigeren Stahl aus England und Belgien gab. So schloss der Sunderner Hammer 1844, der in Amecke und Hüttebrüchen wenig später.
Die Folge war, dass die Armut noch weiter stieg. Ein anderes Beispiel belegt dies: Gegen die Überbevölkerung der Wälder mit Rehwild im Amt Hüsten, gefordert vom Herdringer Grafen, protestierten 40 Bauern aus der Umgebung beim Oberpräsidenten in Münster, man sei „genöthigt die Früchte seines Fleißes dem Wilde hinzugeben“, beklagten sie den Verlust von ganzen Ernten, Obst und Saat.
Die Allendorfer Revolution sei friedlich geendet, die Waffen wurden herausgegeben. Anderswo wurden Fensterscheiben eingeworfen oder Akten verbrannt. „Es war mehr Aufruhr als Revolution“, meint Neuhaus. Auch wenn es in Iserlohn noch 1849 rund 100 Tote gab, daran waren auch einige Balver beteiligt.
Bezüge zur heutigen Zeit
Ein Ventil neben dem Aufruhr war das Auswandern, betroffen waren Arbeiter aus der Montan- und Textilindustrie sowie aus der Landwirtschaft. Allerdings konnte es sich nicht jeder leisten, in die Neue Welt zu fliehen, so Neuhaus. Ähnlich sei es bei den heutigen Flüchtlingen, eine weitere Parallele seien die schlechten wirtschaftlichen Bedingungen in den Heimatländern verknüpft er die 48er Revolution mit der heutigen Flüchtlingswelle.