Siegen. . Nassir Boubaous (18) legte gerade sein Abi am Fürst-Johann-Moritz-Gymnasium in Siegen ab. Mit Traumnote. Seine Eltern kommen aus Marokko, er wurde in Siegen geboren. Ein Vorzeigemigrant möchte der 18-Jährige nicht sein. Mit uns sprach er über sein Studium, Polizeikontrollen und den marokkanischen Eintopf seiner Mama.

Nassir Boubaous schaut aus freundlichen, braunen Augen auf das Leben. Der 18-Jährige sitzt am Esstisch seiner Eltern. Er spricht kluge Worte und zitiert dumme: „Es ist schön, wenn sich gerade Menschen wie Du so engagieren“, sagen die Leute manchmal. Was vermutlich als Kompliment gemeint ist, verletzt den 18-Jährigen.

Sie betonen das Anderssein. Das Nichtdazugehören. Nassir Boubaous wurde vor 18 Jahren im Marienkrankenhaus geboren. Er ist Deutscher. Aber eben einer, der seinen Namen buchstabieren muss, der jetzt an Ramadan fastet, der ohne Grund nachts von der Polizei kontrolliert wird und dessen Mama einen unfassbar leckeren marokkanischen Eintopf kocht.

Familie

Vor drei Tagen erhält Nassir Boubaous sein Abizeugnis mit der Note 1,5. Er gehört zu den besten seines Jahrgangs. Unten im Lichthof des FJMs sitzen seine Eltern. Beide sind unfassbar stolz. Die Mama findet gar keine Worte. Sie hatte damals darauf bestanden,

Stipendium für Jugendliche mit Migrationshintergrund

Nassir Boubaous wurde zum Schuljahr 2011/2012 in das START-Stipendienprogramm aufgenommen. Ausschlaggebend für die ideelle und materielle Förderung ist neben guten Noten der gesellschaftlicher Einsatz für andere.

www.start-stiftung.de

den Jungen aufs Gymnasium zu schicken. Sie wusste, er kann das. „Für mich ist die Familie das Allerwichtigste“, sagt Nassir Boubaous. Dazu gehören nebst den Eltern noch die Schwestern Yasmine (21) und Lina (8). Sie geben dem 18-Jährigen Halt und Selbstvertrauen. Zum Studium möchte er deshalb auch auf jeden Fall in NRW bleiben. „Die Schule hat gerade für meinen Papa oberste Priorität. Er wollte es anders machen als sein Vater. Mit 17 kam mein Papa mit neun Geschwistern nach Deutschland. Er folgte meinem Opa, der damals als Gastarbeiter in einem Bergwerk arbeitete. Die Schule war meinem Opa nicht so wichtig.“ Nassirs Vater schlug sich als Hilfsarbeiter durch, bei Rittal oder bei Bombardier, fuhr Taxi und heute Bus. „Die Sicherheit, dass er nächste Woche noch eine Arbeit hat, hatte er nie.“ Manchmal sei das Geld schon knapp gewesen.

Heimat

Boubaous’ Familie gehört zu den Berbern. Ein ehemaliges Wüstenvolk, das in Marokko einer Minderheit angehört, unterdrückt von den Arabern. „Bis vor sechs Jahren durfte Berberisch an Schulen nicht unterrichtet werden“, erzählt Nassir Boubaous. Die Eltern brachten ihm die Sprache bei. „In Marokko bin ich der Deutsche und noch dazu Berber. In Deutschland bin ich der Ausländer.“ Die Frage nach der Heimat sei für ihn schwer zu beantworten. „Ich fühle mich in beiden Ländern wohl.“ Warum gibt es von Heimat keinen Plural? An Marokko mag er vor allem, dass die Menschen so glücklich sind. „Da laufen alle mit einem breiten Grinsen durch die Straßen. Das ist schön.“

Nassir Boubaous
Nassir Boubaous © WP

Zukunft

Für ein Unternehmen Geschäfte im Ausland abwickeln oder Kinder wieder gesund machen – entweder Medizin oder Wirtschaftswissenschaften. Das sind die Optionen. Ihm geht es nicht ums Geldverdienen.

Viel wichtiger ist es dem 18-Jährigen, dass er mag, was er tut. „Sonst halte ich das nicht lang aus.“

Mustermigrant

Innenverteidiger beim SV Netphen, Schülersprecher beim FJM, Mitglied der Grünen Jugend – Mustermigrant, Vorzeigemigrant. Diese Worte hört Nassir Boubaous nicht gern. „Nicht jeder hat so viele Chancen wie ich und so eine Unterstützung von seiner Familie. Es war eine logische Folge, dass ich mich so integriere“, sagt er.

Manchen Kindern am Westhang gehe das sicher nicht so. „Wenn man als positives Beispiel hingestellt wird, zeigt das ja auch immer, dass man anders ist. Das mag ich nicht.“

Alltagsrassismus

Neulich in der City Galerie. Ein paar Jugendliche streiten, die Polizei kommt. Nassir Boubaous läuft mit ein Freunden vorbei und die Beamten picken ihn gezielt raus. Fordern seinen Personalausweis. Auf die Frage, was er denn getan habe, blafft ihn die Beamtin an: „Tu’ nicht so, Du weißt ganz genau, was Du getan hast.“ Kein Einzelfall.

Wenn der 18-Jährige nach einer Party nach Hause läuft, wird er regelmäßig angehalten. Rein routinemäßig. „Ich schätze mal schon, dass es daran liegt, dass ich anders aussehe“, vermutet er. Schön sei das nicht. „Aber man gewöhnt sich dran. Wie hat Dunja Hayali so treffend gesagt: ,Ich habe einen Migrationsvordergrund.’“