Siegen. . Ein Mann (46) aus Siegen soll zwei Menschen wissentlich mit dem HI-Virus angesteckt haben. Nun war Prozessauftakt am Landgericht. Die Wahrheitsfindung könnte schwierig werden. Der Fall weist Parallelen zu dem Promiprozess gegen die Popsängerin Nadja Benaissa auf.

Einen Wäschekorb vollgepackt mit Akten schleppt Strafverteidiger Steffen Reppel in den Gerichtssaal. Gutachten, Gutachten, Gutachten. Sie spielen eine wichtige Rolle im Prozess gegen seinen Mandanten aus Siegen, der zwei Männer vorsätzlich durch ungeschützten Geschlechtsverkehr mit HIV angesteckt haben soll. Gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen klagt Staatsanwalt Markus Rau an.

Intimsphäre wird geschützt

Immerhin bleibt S. (46) erspart, dass allzu viele Details aus seinem Sexualleben öffentlich ausgebreitet werden. Richter Wolfgang Münker folgt dem Antrag der Verteidigung, bei Befragungen die Öffentlichkeit auszuschließen, wenn intime Einzelheiten geschildert werden. Bereits zum Prozessauftakt müssen Zuschauer und Presse für zwei Minuten den Saal räumen, als die Staatsanwaltschaft die Hauptanklage verliest.

Doch der grundsätzliche Vorwurf, der vor der ersten großen Strafkammer verhandelt wird, ist klar. S. – von seine Ehefrau geschiedener Familienvater – ist seit 2003 mit HIV infiziert. Er soll 2009 in einem Kölner Saunaclub einen Mann kennengelernt haben. Am selben Tag soll es ungeschützten Sex gegeben haben. Es kam zu einer Beziehung. Seine Erkrankung soll er weiter verschwiegen haben. Außerdem soll S. Ende 2012 einen Mann in einem Internetchat kennengelernt haben. Bei einem Treffen soll es zum ungeschützten Verkehr gekommen sein. Auch diesen Mann soll er nicht über seine Krankheit informiert haben. Beide Männer sind jetzt HIV-positiv – womöglich durch den Siegener. Sie erstatteten Anzeige.

S. war Anfang Dezember 2013 in seiner Wohnung verhaftet worden und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Das Gericht befürchtete, er könne weitere Menschen anstecken.

Am Donnerstag sitzt er auf der Anklagebank und verschränkt die Arme vor seinem blauen Pullover, als Virologe Dr. Martin Böhmer berichtet, der Virenstamm des Angeklagten und zumindest eines der mutmaßlichen Opfer hätten „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen gemeinsamen Ursprung.“ Das Gutachten über die Abstammung des Virenstamms des zweiten mutmaßlichen Opfers steht noch aus. Es soll voraussichtlich am dritten Verhandlungstag vorliegen.

Mehr als ein Indiz ist der gemeinsame Virenstamm nicht. Das wird deutlich, als Infektiologe Prof. Wolfgang Schmidt aussagt. Denn wer von wem infiziert wurde, lasse sich nicht zweifelsfrei feststellen. „Beim Infektionsweg ist die Richtung nicht zu bestimmen.“ Es könne nicht einmal ausgeschlossen werden, dass eine weitere Person z.B. von S. infiziert wurde und dann wiederum eines der mutmaßlichen Opfer angesteckt habe. Auch die Anzahl der Viren im Blut gibt keinen Aufschluss. Sowohl bei S. als auch bei einem der mutmaßlichen Opfer ist die Virenzahl durch die medikamentöse Behandlung mittlerweile unterhalb der Nachweisbarkeits-Grenze.

Parallelen zu Promiprozess um Ex-No-Angles-Sängerin 

Der Siegener Fall weist Parallelen zum einem Promiprozess aus dem Jahr 2010 auf. Damals war die Ex-Sängerin der Popband No Angels wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter gefährlicher Körperverletzung angeklagt worden, weil sie ungeschützt Sex mit mehreren Männern hatte, obwohl sie von ihrer HIV-Infektion wusste. Die damals 28-Jährige räumte die Vorwürfe ein und wurde zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und 300 Sozialstunden verurteilt.

S. schweigt im Prozess.

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Dass er auch nach seiner Infektion ungeschützten Geschlechtsverkehr hatte – dafür spricht, dass der Siegener mindestens einmal ,im Juni 2013, an Syphilis litt – einer sexuell übertragbaren Krankheit. Daher „muss ein Sexualkontakt ohne Kondom stattgefunden haben“, so die Ärztin des Siegeners, Dr. Clara Lehmann von der Uniklinik Köln. Die Medizinerin berichtete am Donnerstag auch von psychischen Problemen des Angeklagten: schizophrene Tendenzen und Verfolgungswahn. Im Oktober 2013 habe sie über eine Zwangseinweisung nachgedacht, nahm auch Kontakt mit dem Gesundheitsamt des Kreises Siegen-Wittgenstein auf.

Über die Schuldfähigkeit des Siegeners soll ein psychiatrisches Gutachten an einem der folgenden Verhandlungstage Auskunft geben. Dann wird wohl auch ein weiterer der insgesamt vier Anklagepunkte eine Rolle spielen. Denn S. soll 2011 eine Spionagesoftware auf dem Computer eines der mutmaßlichen Opfer installiert haben, um dessen Konto auszuspähen. Außerdem wurde er 2013 mit eine Schusswaffe erwischt, für die er einen kleinen Waffenschein hätte besitzen müssen, und ist angeklagt, eine falsche Versicherung an Eides statt abgegeben zu haben.

Am Nachmittag wurden zwei Zeugen gehört – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Am 7. April wird der Prozess fortgesetzt.