Siegen. . Ein Mann (46) aus Siegen soll laut Staatsanwaltschaft zwei Menschen wissentlich infiziert haben. Die Aidshilfe NRW rügt eine Stigmatisierung. Der Fall weist Parallelen zu einem Promiprozess im Jahr 2010 auf.
Hat ein Mann aus Siegen zwei Männer vorsätzlich mit den HI-Virus angesteckt? Die Staatsanwaltschaft Siegen sieht einen dringenden Tatverdacht und klagt den 46-Jährigen wegen gefährlicher Körperverletzung an. Anfang Dezember war S. in seiner Wohnung verhaftet worden und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Der Fall erinnert an den Prozess gegen den Popstar Nadja Benaissa, der 2010 für Schlagzeilen gesorgt hatte.
Der Anwalt des Siegeners kritisiert das Vorgehen der Behörde. „Wir bereiten ein Rechtsmittel gegen die U-Haft vor“, sagt Strafverteidiger Steffen Reppel. Die Aidshilfe fürchtet eine pauschale Kriminalisierung. „Mit einer Strafverfolgung erreicht man hier nichts“, sagt Dr. Guido Schlimbach, Sprecher der Aidshilfe NRW.
S. ist laut Mitteilung des Siegener Landgerichts seit 2003 mit dem HI-Virus infiziert. Er soll im August 2009 in einem Kölner Saunaclub einen Mann kennen gelernt haben. Noch am selben Tag soll es zum ungeschützten Sex gekommen sein. Der Siegener soll dem Mann versichert haben, er sei gesund. In der Folge entwickelte sich eine Beziehung. Seine Erkrankung soll S. verschwiegen haben. In der Anklageschrift wird ein weiterer Fall aufgeführt. S. soll im September oder Oktober 2012 einen Mann in einem Internetportal kennen gelernt haben. Auch ihm soll es zum ungeschützten Verkehr gekommen sein. Auch diesen Mann soll der Siegener nicht über seine Erkrankung informiert haben. Auch er wurde womöglich infiziert.
Anwalt des Siegeners kritisiert frühe Veröffentlichung des Landgerichts
Rechtsanwalt Steffen Reppel legt einen 20 Zentimeter dicken Aktenstapel auf den Schreibtisch. Der Verteidiger blättert in den Unterlagen. „Der Fall ist komplexer, als es das Gericht jetzt darstellt“, sagt er. Die Anzeige des ersten mutmaßlichen Opfers sei rund eineinhalb Jahre nach Beendigung der Beziehung gestellt worden. „Es war eine unschöne Trennung. Es gab Streit und auch einige zivilrechtliche Auseinandersetzungen.“ Ohnehin wundert es Reppel, dass das Gericht den Fall jetzt im Januar publik machte. Sein Mandant sitze seit Mitte Dezember in der JVA Attendorn ein. Ein Verhandlungstermin stehe überhaupt noch nicht fest. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Gericht die Öffentlichkeit schon einmal in dieser Phase der Ermittlungen informiert hat.“
Ein zweites Gutachten stehe noch aus, so Reppel. Es soll Aufschluss geben, ob es Indizien gibt, dass auch der zweite Mann von seinem Mandanten angesteckt worden sein kann. „Für das Rechtsmittel ist das wichtig“, so Reppel. Denn das Gericht sieht Wiederholungsgefahr bei S. und hat ihn deshalb in U-Haft gesteckt. Wird aber z.B. festgestellt, dass die Männer nicht von dem selben Virenstamm infiziert sind, schließe das eine Verantwortung seines Mandanten für den zweiten Vorwurf aus.
Urteil im Prozess gegen No-Angels-Sängerin: Bewährungsstrafe und Sozialarbeit
Der Siegener Fall weist Parallelen zum einem Promiprozess aus dem Jahr 2010 auf. Damals war die Sängerin der Popband No Angels von der Staatsanwaltschaft Darmstadt wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter gefährlicher Körperverletzung angeklagt worden, weil sie ungeschützt Sex mit mehreren Männern hatte, obwohl sie von ihrer HIV-Infektion wusste. Die damals 28-Jährige räumte die Vorwürfe ein. Die Popsängerin wurde schließlich zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung und 300 Sozialstunden verurteilt.
Aidshilfe: Verantwortung beim Sex liegt bei beiden Partnern
Die Deutsche Aidshilfe hatte damals das Urteil kritisiert. Der HIV-Prävention werde Schaden zugefügt. Ähnlich argumentiert heute Dr. Guido Schlimbach, Sprecher der Aidshilfe NRW. „Ich will hier nichts bagatellisieren. Aber die Verantwortung tragen beide Seiten.“ Mit einer solchen Anklage und der vorsorglichen U-Haft werde der Eindruck erweckt der HI-Virus sei so etwas wie eine „Biowaffe“. „Das wirft uns in der erfolgreichen Präventionsarbeit zurück“, urteilt er. Diese sei in Deutschland so wirksam gewesen, wie in kaum einem anderen Land. Die Infektionsrate sei so niedrig wie kaum woanders. „Mit einer solchen Anklage wird suggeriert, der Staat kann uns vor allem schützen. Stattdessen werden viele Menschen stigmatisiert“, kritisiert Schlimbach.