Kreuztal. Leon ist heute schwerstbehindert. Gutachter kritisieren den Gynäkologen, fatale Fehler gemacht zu haben. Doch der wehrt sich weiter gegen Schmerzensgeldzahlung - obwohl Leons Familie sie dringend braucht.

Grobe ärztliche Fehler eines Gynäkologen aus dem Siegerland haben dazu geführt, dass ein Kind schwerstbehindert zur Welt gekommen ist – und ein weiteres mit einem gelähmten Arm leben muss (siehe unten). In beiden Fällen wurde der verantwortliche Arzt kürzlich vom Oberlandesgericht in Hamm verurteilt. Gleichwohl verwehrt der Frauenarzt den Eltern seit Jahren dringend benötigte Schmerzensgeldzahlungen.

Leon ist ein sympathischer Junge. Hin und wieder huscht ein Lächeln über sein Gesicht, vor allem dann, wenn seine Eltern behutsam ihre Hand auf seine Beine oder Schultern legen. Manchmal während des Gesprächs wird Leon etwas aufgeregt – „dann freut er sich, dass er dabei sein kann“, erklärt Anke Plett, Leons Mutter. Seit vierzehn Jahren haben sie und ihr Mann Roland gelernt, Leons Verhalten zu deuten, wissen, wenn es ihm gut geht oder schlecht. Sprechen kann ihr Sohn nicht. Auch nicht laufen oder sich koordiniert bewegen. „Es ist nicht viel, was er kann“, sagt Anke Plett, „aber was er sehr gut kann: Das ist sich freuen.“

Leon müsste nicht behindert sein

Es ist beeindruckend, wie die Eltern mit ihrem und Leons Schicksal umgehen. Wobei: Schicksal ist nicht das angemessene Wort. Leon müsste nicht behindert sein. Der Frauenarzt, der die Geburt leitete, hat den Jungen schwer verletzt. Das jedenfalls ist seit Jahren die übereinstimmende Auffassung der Gutachter, die sich mit dem Fall beschäftigt habe, betont Leons Anwalt Roland Uphoff. Seit zwölf Jahren kämpfen Leons Eltern darum, dass der Arzt zu seiner Verantwortung steht. Trotz zweier positiver Urteile vom Landgericht Siegen und vom OLG Hamm ohne Erfolg.

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Als Anke Plett damals, 1998, ins Krankenhaus kam, hatten gerade mal vor einer Stunde die Wehen begonnen. Zwei Stunden später war die Geburt beendet – für eine Erstgebärende recht früh. Aber der Arzt wollte es so. „Es gab leicht ungewöhnliche Herztöne während der Geburt, aber nichts Alarmierendes“, erklärt Anwalt Uphoff. Der Verlauf der Geburt ließ sich für ihn anhand von Akten recht gut nachvollziehen. „Der Arzt hätte einfach warten sollen oder einen Kaiserschnitt machen müssen.“ Das Kind hatte sich in der Gebärmutter noch kaum gesenkt.

Bei Geburt fast den Kopf zerdrückt

Dennoch entschloss sich der Gynäkologe dazu, eine Zange anzusetzen und das Kind aus dem Mutterleib herauszuziehen. Dabei setzte er, so das Urteil der Gutachter, nicht nur eine falsche Zange ein – er musste, weil das Kind noch weit „oben“ war, so fest zugreifen und so fest ziehen, dass der Kopf des kleinen Leon quasi fast zerdrückt wurde. Dass etwas mit dem so auf die Welt gebrachten Jungen nicht stimmt, blieb dem als Belegarzt an einer Kreuztaler Klinik arbeitenden Gynäkologen offenbar verborgen. Und das, obwohl Leon Atemaussetzer und andere Merkmale aufwies, die auf Probleme hindeuteten. Erst eine Schwester entschied 24 Stunden später, Leon in eine Spezialklinik verlegen zu lassen. Nach der Operation stand fest, dass Leon starke Gehirnblutungen erlitten hatte – „der Arzt sagte damals, so etwas kenne er nur von schweren Motorradunfällen“, erinnert sich Anke Plett. Wäre Leon sofort operiert worden, könnte die Behinderung heute möglicherweise geringer sein.

Als der Junge zwei Jahre war, entschlossen sich die Eltern, den Arzt für seine Fehler haftbar zu machen. „Bis dahin waren wir Tag und Nacht damit beschäftigt, unser Leben neu zu organisieren“, sagt Anke Plett. Das Haus wurde umgebaut, nahezu täglich ging und geht man mit Leon zu Therapien.

Nach zwölf Jahren immer noch keine Rechtssicherheit

Mittlerweile gaben zwar die zwei Gerichte den Pletts und ihren Vorwürfen gegen den Arzt Recht, sprachen ihnen 400.000 Euro Schmerzensgeld zu. Zudem muss der Arzt bzw. dessen Versicherung für alle Folgekosten aufkommen – was sich auf bis zu zwei Millionen Euro addieren kann. „Alle Sachverständigen haben festgestellt, dass der Arzt fatale Fehler bei der Geburt gemacht hat, und alle waren sich einig, dass diese Fehler Grund für die schwere Behinderung sind“, betont Anwalt Roland Uphoff.

Doch nach zwölf Jahren gibt es immer noch keine Rechtssicherheit, steht dem Arzt eine weitere Instanz offen, kann weitere Zeit vergehen. Zeit, in der Geld für hilfreiche, aber teure Therapien fehlt, für ein rollstuhlgerecht umgebautes Auto. Oder für etwas mehr Sicherheit. „Wenn wir das Schmerzensgeld bekommen würden“, sagen die Eltern, „dann wüssten wir endlich, dass Leons Zukunft gesichert ist, auch wenn wir mal nicht mehr für ihn da sein können.“

Leon ist nicht der einzige Geschädigte

Ein weiteres Kind aus Kreuztal ist bei der Geburt durch den selben Gynäkologen schwer verletzt worden, urteilte kürzlich das Oberlandesgericht (OLG) Hamm. Bei der Geburt des heute zehnjährigen Kindes hatte der Arzt nach Einschätzung der Gutachter zu fest gezogen, so dass sich die Schulter im Geburtskanal verhakte und Nerven durchtrennt wurden. Deshalb ist ein Arm des Kindes teilweise gelähmt. Das OLG Hamm sprach den Eltern 55.000 Euro Schmerzensgeld zu. Im Prozess hatte der Arzt nach Angaben des Anwalts sinngemäß behauptet, die Eltern hätten ihr Kind misshandelt.

Der Verteidiger des Gynäkologen wollte auf Anfrage unserer Zeitung „zu den Vorgängen keine Auskunft“ geben.