Münster. Auch Götter in Weiß können sich irren: Die Ärztekammer Westfalen-Lippe richtet jetzt im Netz einen anonymen Beichtstuhl für Behandlungsfehler ein. Zum Schutz der Patienten. Vertraulichkeit ist garantiert.

Auf dem Anästhesiewagen sind verschiedene Medikamente fein säuberlich nach Alphabet sortiert. Sodass zwei Arzneien nebeneinander liegen, die zwar einen ähnlichen Namen haben, aber ganz Unterschiedliches bewirken. Eine Fehlerquelle. Einmal hätte sich das Klinikpersonal um ein Haar vergriffen - und einem Patienten das falsche Mittel verabreicht. Nun werden die Medikamente auf dem Wagen nach anderen Kriterien geordnet. Zudem hat man die beiden Pharmafirmen auf das Problem hingewiesen und gebeten, ihre Produkte unterscheidbar zu machen. Ein Beispiel dafür, wie man aus Beinahe-Fehlern lernen und weitere Patienten vor Behandlungsirrtümern schützen kann.

Kummerkasten des Gesundheitswesens

Krankenhausärzte, aber auch niedergelassene Kollegen sollen sich an dem Beichtstuhl-System beteiligen. Foto: ddp
Krankenhausärzte, aber auch niedergelassene Kollegen sollen sich an dem Beichtstuhl-System beteiligen. Foto: ddp © ddp

Die Ärztekammer Westfalen-Lippe hat nun auf ihrer Internetseite (www.aekwl.de, dann auf den Link CIRSmedical-WL) ein anonymes Meldeverfahren eingerichtet. Ähnlich wie die Piloten bei der Lufthansa es schon seit Jahren tun, sollen Ärzte und Pflegepersonal, aber auch Patienten hier künftig so genannte kritische Ereignisse eingeben. Ein Kummerkasten des Gesundheitswesens. Vertraulichkeit ist garantiert: Weder lässt sich von Kollegen oder Vorgesetzten zurückverfolgen, wer den Bericht ins Netz gestellt hat, noch geraten Patientendaten an die Öffentlichkeit. In Berlin wertet das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) die Berichte aus. Innerhalb von drei Tagen kann derjenige, der das Problem gemeldet hat, im Internet einen Verbesserungsvorschlag finden.

"Ein Arzt verliert nicht mehr seinen Versicherungsschutz"

Ziel ist, dass nicht nur diejenigen, denen der Behandlungsfehler beinahe unterlaufen wäre, daraus lernen können. Auch Ärzte und Pflegepersonal anderer Kliniken sollen in der Datenbank stöbern und aus den Fehlern aller Kollegen in Westfalen-Lippe ihre Lehren ziehen. Was vermutlich sogar einfacher ist, als eigene Irrtümer zuzugeben. Zudem sollen die Berichte für Fortbildungen genutzt werden. „Es geht darum, nicht mit dem erhobenen Zeigefinger zu tadeln, sondern sie zu analysieren und davon zu profitieren”, sagt Theodor Windhorst, Kammerpräsident in Westfalen-Lippe. Allerdings kann das System nur funktionieren, wenn Ärzte und Pflegpersonal von sich aus im Internet Probleme eingeben und Lösungen nachschlagen.

Windhorst will daher Anreize setzen: Wer sich beteiligt, soll in der Haftpflicht niedrigere Prämien zahlen. Windhorst zufolge haben sich mittlerweile auch die Bedingungen für eine neue Fehlerkultur im Gesundheitswesen verbessert: „Seit einem Jahr verliert ein Arzt nicht mehr seinen Versicherungsschutz, wenn er einen Irrtum einräumt”, erklärt der Kammerpräsident.

Erste regionale Datenbank

Bundesweit besteht bereits ein ähnliches Meldesystem. Auch einige Krankenhäuser verfügen schon über solche „Beichtstühle”. Die Ärztekammer Westfalen-Lippe ist die erste, die nun auch eine regionale Datenbank einrichtet.

Immer mehr Patienten beschweren sich über Behandlungsfehler von Ärzten in Praxen und Kliniken. Im Jahr 2007 haben mehr als 10 000 Patienten ärztliche Schlichtungsstellen deshalb angerufen. Das waren laut Bundesärztekammer 1,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor. 1700 von ihnen erhielten Schadensersatz. Mutmaßlich 30 000 weitere Beschwerden sind bei Gerichten, Krankenkassen und Haftpflichtversicherern eingegangen. Nach Schätzungen der EU-Kommission misslingt Ärzten in Europa jede zehnte Behandlung.

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