Siegen-Wittgenstein. Anträge für neue Windräder stecken im Bürokratie-Dickicht fest. Die vom Land gegebenen Grundlagen sind laut Oberverwaltungsgericht rechtswidrig.

Bis zum Jahr 2030 werden im Kreis Siegen-Wittgenstein rund 305 Windkraftanlagen errichtet sein. Diese Prognose hat Landrat Andreas Müller dem Kreisausschuss mitgeteilt. Ausgangspunkt der möglicherweise rasanten Entwicklung sind die 44 Windräder, die in den letzten 20 Jahren in Betrieb genommen wurden. Allein den letzten Monaten habe die Immissionsschutzbehörde des Kreises 69 weitere Anlagen genehmigt, mit deren Bau aber noch nicht begonnen wurde. Für 45 Anlagen besteht bereits ein Vorbescheid, für 60 wird ein „Vollverfahren“ bearbeitet.

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In der Warteschlange sind 87 Anträge auf einen Vorbescheid. Aus all dem ergebe sich eine „außerordentliche Belastung im Hause“, sagte Landrat Andreas Müller. Die Zeit für die Wahrnehmung anderer Aufgaben verringere sich entsprechend, daher dauere die Bearbeitung normaler Bauanträge nun länger, erklärte Müller. Zusätzliche Stellen hatte der Kreistag bei seiner Haushaltsberatung verweigert.

Netphen, Bad Berleburg, Bad Laasphe: 45 Anträge stecken fest

Anträge für 45 Anlagen sind stecken geblieben – letzten Endes in einer unübersichtlichen Rechtslage. Für diese Anlagen hatten die betroffenen Kommunen ihr städtebauliches Einvernehmen verweigert. Dieses Einvernehmen kann von der Kreisverwaltung „ersetzt“ werden, wenn sie durch die Bezirksregierung dazu angewiesen wird. Aus Arnsberg kämen aber derzeit keine verbindlichen Stellungnahmen, führte der Landrat in Kreisausschuss aus. „Dies führt mittlerweile unter anderem dazu, dass die Genehmigungsbehörde (der Kreis Siegen-Wittgenstein, d. Red.) mit der Androhung erste Untätigkeitsklagen der Antragssteller konfrontiert wird.“

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Es sollte so einfach sein: Die Bezirksregierung hat für die Übergangszeit, bis der neue Regionalplan in Kraft tritt (geplant: 2025), Windenergiebereiche für jede Kommune festgelegt. Wer innerhalb dieser Bereiche Windräder aufstellen will, bekommt die Genehmigung vom Kreis, ob die Stadt will oder nicht. Wer außerhalb dieser Bereiche bauen will, braucht das Einvernehmen der betroffenen Stadt. Wenn die Nein sagt, setzt ein in einem Erlass genau beschriebenes Verfahren ein: „Die Bezirksregierung prüft, ob die gesetzlichen Voraussetzungen und die Regelungen des Erlasses für eine Aussetzung (der Genehmigung, d. Red.) erfüllt sind. Bejaht sie dies, bittet sie ein noch einzurichtendes Vermittlerteam innerhalb einer angemessenen Frist (in der Regel 1 Monat) auf eine einvernehmliche Regelung hinzuwirken. Kommt eine einvernehmliche Regelung nicht zustande, weist sie unter Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbehörde (den Kreis, d. Red.), die Entscheidung über die Zulässigkeit des beantragten Vorhabens befristet auszusetzen.“

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Oberverwaltungsgericht: „Übergangszeit“-Erlass ist rechtswidrig

Dass die Bezirksregierung sich nicht rührt, hat Gründe. Von Anfang an gab es Streit darüber, welche Windenergiebereiche nun maßgeblich sind: die aus dem Regionalplan-Entwurf oder die, die der Regionalrat später festgelegt hat. Hinzu kommt nun aber ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts. Das hat die Regelung zur „Lenkung des Windenergieausbaus in der Übergangszeit“ nämlich für rechtswidrig erklärt, wie der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) - Vorsitzender ist der frühere Arnsberger Regierungspräsident Hans-Josef Vogel - berichtet. Mit dem Erlass werde das Windkraft-Privileg aus dem Baugesetzbuch „ausgehebelt“. Das Land, so das Gericht, soll nicht Standorte für Windenergie ausschließen, sondern den Investoren Standorte zuweisen. Das Festhalten der Landesregierung an der rechtswidrigen Regelung sorge für große Verunsicherung bei den Genehmigungsbehörden und Kommunen, heißt es in einer Pressemitteilung des LEE. „Wir bekommen zunehmend gespiegelt, dass Städte und Gemeinden nicht wissen, wie sie sich derzeit bei Bauanträgen für neue Windenergieanlagen verhalten sollen“, beschreibt Hans-Josef Vogel die Situation.

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Die 45 Anträge, zu denen der Kreis eine Stellungnahme der Bezirksregierung einholen muss, beziehen sich auf Standorte in Netphen, Bad Berleburg und Bad Laasphe. Allein die Stadt Netphen, die bisher zu allen Standorten ihr Einvernehmen versagt hat, ihr ist mit 35 Anträgen vertreten. Darunter sind nur sechs Standorte, die innerhalb eines von Bezirksregierung oder Regionalrat vorgesehenen Windenergiebereichs liegen und die die Stadt daher eigentlich nicht ablehnen darf - mit dem Sonderfall des Windenergiebereichs nördlich von Afholderbach, der selbst nach den Kriterien der Bezirksregierung unzulässig ist, weil er näher als 1000 Meter an Sohlbach herankommt. Was wiederum im Widerspruch zur Landesgesetzgebung steht, die diesen 1000-Meter-Abstand ausdrücklich nicht mehr vorgibt … Die Mehrzahl der Netphener Standorte hingegen liegt außerhalb der Windenergiebereiche an der Obernautalsperre, in Hainchen, Dreis-Tiefenbach und auf dem Homerich östlich von Herzhausen.

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