Siegerland. Im neuen „Siegerland“-Heft: Warum die Hicken Hicken heißen – und eine Erinnerung an einen umstrittenen Pfarrer in Hilchenbach.
Warum heißen die Hicken Hicken? Der Historiker Andreas Bingener wirft die Frage auf, die so viele Profis und noch mehr Amateure längst beantwortet haben. Vermeintlich. In Wirklichkeit blieben alle die überzeugende Erklärung schuldig. Auch Andreas Bingener findet sie nicht. Dafür gibt er aber im zweiten Heft des 100. Bandes der „Blätter des Siegerländer Heimat- und Geschichtsvereins“, kurz: „Siegerland“, einen umfassenden Überblick über die Erklärungsversuche, warum die Bewohner von Holzhausen, Ober- und Niederdresselndorf und Lützeln unter diesem Namen verbunden sind.
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Die Hicken: Haiger? Hecke? Höker?
Er beginnt mit den Sagen: Es sollen Hunnen gewesen sein, oder Ungarn, oder Schweden. Sie wanderten ins Weierbachtal ein und umgaben sich mit einer Hecke, die sie vor Feinden und wilden Tieren schützten. Hecken also, die dem Hickengrund den Namen gaben? Oder war es Hans Hick? Der rächt der Tod seines Sohnes, indem er dem Riesen Wackebold Basaltbrocken in den Rachen stopft und die Einwohner der Dörfer Steine auf das Haupt des Riesen türmen lässt. Die Landhecke um den Hickengrund hat es wohl gegeben. Aber der Name kommt, wie der Haigerer (!) Heimatforscher Karl Loeber annimmt, wohl eher von der Nachbarstadt: „Haigergau“ und „Haigermark“ sind jedenfalls überliefert.
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Noch im 16. Jahrhundert sprach man von den „vier Dörfern“, um die zum Gericht Haiger gehörenden Ortschaften in einem Begriff zu sammeln, schreibt Andreas Bingener. Dresselndorf gehörte zunächst zum Haigerer Kirchsprengel, erst 1788 wird erstmals die Bezeichnung Hickengrund für das selbstständige Kirchspiel Niederdresselndorf eingeführt. Den „Hickengrund“ als Begriff gab es aber schon im 14. Jahrhundert; er kommt in einer Urkunde vor, in der für Johann I Graf von Nassau Ginsburg und „Hickengrund“ verpfändet wurden, wozu Holzhausen aber ausdrücklich nicht gezählt wurde.
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Weitere Beiträge der neuen „Siegerland“-Ausgabe führen in den Westerwald, nach Friedewald und Hadamar und in die Grafschaft Sayn-Altenkirchen, die im 18. Jahrhundert unter der britischen Krone stand. Wilfried Lerchstein schreibt über Wilhelm Schickard, der vor 400 Jahren die erste Rechenmaschine der Welt erfunden hat und dessen Familie aus dem Siegerland stammt. Christian Brachthäuser, Bibliotheksassistent des Stadtarchivs Siegen, stellt die „historische Bibliothek“ vor: einen kleinen Bestand bis zu 400 Jahre alter Werke, der aus der wissenschaftlichen Bibliothek des Siegerlandmuseums hervorgegangen ist und jetzt digital zugänglich gemacht wird, vom „Rechenbüchlein“ aus dem Jahr 1632 bis zum „vegetarianischen Kochbuch“ von 1871.
„Hicke“ könnte die Bezeichnung für ein Gewerbe sein. Ackerbau und Viehzucht waren der Lebensunterhalt in den vier Dörfern. Andreas Bingener hat einen Reiseführer von 1865 gefunden. Da werden Frauen beschrieben, die mit Butter, Eiern und Geflügel nach Siegen und nach Wetzlar auf die Märkte ziehen, die „Hickenweiber“. 1790 schrieb die Dillenburger Historiker Johannes von Arnoldi, die Bewohner der vier Dörfer seien so ganz anders als ihre Nachbarn, „eine fremde Colonie“, deren Frauen und Männer „durchgängig einen schönen schlanken Wuchs und eine angenehme freundliche Gesichtsbildung“ hätten. „Hicke“ also: der „Höker“, der Verkäufer von Lebensmitteln. Und noch einmal der Reiseführer: „Hicken“ von „hüten“ oder „verstecken“, im Gegensatz zum benachbarten „Freien Grund“ mit den anderen Ortsteilen der heutigen Gemeinden Burbach und Neunkirchen. Nachgesagt wurde den Hicken Welterfahrenheit, wegen der vielen Auswanderer, und Bauernschläue, mit der sie sich bei aller Armut über Wasser hielten.
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Die Verbindung zu Burbach wurde erst bei der nassauischen Teilung von 1607 hergestellt, der Hickengrund wurde Teil von Nassau-Dillenburg. 1815 blieben die Orte im südlichen Siegerland mit Teilen des Amtes Netphen zunächst weiter bei Nassau, während Nassau-Siegen zum Königreich Preußen kam. 1816 wurde das Siegerland wiedervereinigt, auch Freier Grund und Hickengrund wurden preußisch und vom Regierungsbezirk Koblenz in den Regierungsbezirk Arnsberg überwiesen. Bis 1844 war Dresselndorf selbstständige Bürgermeisterei, dann wurde der Hickengrund mit dem Amt Burbach vereinigt.
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Der Pfarrer: Nicht nur „Freund der Heimatgeschichte“
Unter der Überschrift „Ein freudiger Zeuge Jesu Christi und ein Freund der Heimatgeschichte“ erinnert Heinz Stötzel an Pfarrer Dr. Hermann Müller, der 1887 in Frohnhausen geboren wurde und 1977 in Hilchenbach starb. Hermann Müller ging in Frohnhausen und Herzhausen in die „Wechselschule“ und dann ans Siegener Realgymnasium; er studierte in Erlangen und Halle/Saale und trat als 32-Jähriger seine erste Pfarrstelle in Girkhausen an.
Hermann Müllers Hilchenbacher Zeit begann 1926. „Ich war lange Zeit unter den Amtsbrüdern der einzige und wohl auch erste stille Nationalsozialist“, bekannte Müller selbst, der 1931 in die NSDAP eintrat - seine Rolle in der Nazi-Diktatur ist Thema mehrerer Veröffentlichungen zur Hilchenbacher Stadtgeschichte. „Leider fand sich vor der Machtergreifung aus der städtischen Intelligenz kein einziger, der sich an die Spitze gestellt hätte“, schreibt Hermann Müller in der im Kirchenarchiv aufbewahrten „Privat-Chronik“ über die Anfänge der NSDAP-Ortsgruppe. Vor der Hilchenbacher Kirche weht die Hakenkreuzfahne: „Es war wie Anbruch einer neuen Zeit, als die Fahnen mit dem Sonnenrade zur Kirche getragen wurden.“ Am 1. Mai spricht der Pfarrer auf dem Marktplatz auf der Kundgebung der nationalsozialistischen Deutschen Arbeitsfront.
Als die NSDAP die kirchlichen Jugendgruppen gleichschaltete, wandte sich Hermann Müller der oppositionellen Bekennenden Kirche zu; er wurde fortan - so berichtet Heinz Stötzel, von der Gestapo überwachte und mehrfach verhört. 1960 wurde er Mitbegründer und erster Vorsitzender des Vereins zur Erhaltung der Ginsburg. Seine Autobiografie wurde nicht veröffentlicht, wohl aber seine Standardwerke „Florenburgs Kirche“ und „Florenburgs Schulen“.
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