Netphen. Zu den größten Festen in Netphens Geschichte gehören die „Verkehrsfesttage“ und die Feier zur Eröffnung der Obernautalsperre.
Gelegentlich feiert Netphen ganz groß – wenn man einmal von den 125 Jahren „Erste Motoromnibuslinie der Welt“ absieht, die 2020 als eine der ersten geplanten Großveranstaltungen der Corona-Pandemie zum Opfer fiel. Da war das Stadtfest zur 775-Jahrfeier Netphens 2014, da waren 10 und 25 Jahre „Großgemeinde“ 1979 und 1994, schließlich die 100 Jahre Motoromnibus 1995. Ab die ersten zwei großen Feste in Netphen seit der kommunalen Neugliederung erinnert die neue Ausgabe des „Blicks ins Netpherland“, den der Heimatverein Netpherland jährlich, inzwischen zum 65. Mal, herausgibt: die Verkehrsfesttage 1970 und die Feier zur Eröffnung der Obernautalsperre 1973.
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Die Verkehrsfesttage
Es traf sich gut: 1970 war es 75 Jahre her, dass der erste motorisierte Linienomnibus der Welt von Deuz nach Siegen fuhr. Unter den Aktionären der Betreibergesellschaft war 1895 der Deuzer Walzenfabrikant Otto Irle – und weil Walzen Irle 1970 sein 150-jähriges Bestehen feierte, ließ Erich von Gumpert den Bus nachbauen. Den, der heute im Glaskasten am Deuzer Bahnhof steht. Eduard Ley schließlich, Vorsitzender der gerade neu gegründeten Briefmarkenfreunde, war es, der die „Verkehrs-Festtage“ anregte. Und die Gemeinde machte mit.
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Vier Tage lang wurde in Netphen gefeiert; Wilfried Lerchstein dokumentiert das mit vielen Fotos. Sogar Paul Gottlieb Daimler kam nach Netphen, der Enkel des Auto-Pioniers Gottlieb Daimler. In der Schmellenbach-Kampfbahn wurden Fußballspiele ausgetragen, in der Kulturhalle – heute: Georg-Heimann-Halle – waren Ausstellungen zu sehen. Ein Sonderzug mit Dampflok fuhr von Weidenau nach Deuz. Ein zwei Kilometer langer Festzug begann an der Grundschule Niedernetphen und zog über Obernetphen auf die Braas, wo im Festzelt ein Bunter Abend stattfand. „Viele ältere Netphener, die damals dabei waren, erinnern sich noch immer gerne an das abwechslungsreiche Festprogramm“, schreibt Wilfried Lerchstein.
Die Talsperre
„Feuer und Wasser“ nannte die Gemeinde Netphen die Festtage 1973 – etwas makaber, aber zutreffend: Die Häuser der Dörfer Obernau und Nauholz und eines Teils von Brauersdorf waren niedergebrannt worden, bevor in den Tälern das Wasser der Obernautalsperre aufgestaut wurde. Offiziell in Betrieb genommen worden war die Talsperre Ende 1972. Das Fest an den ersten Junitagen des Jahres 1973 war nicht (mehr) von Bitterkeit geprägt, wie Heinz Stötzel berichtet: „Eine bessere Gelegenheit, frühere Nachbarn aus den Talsperrendörfern an einem der festlichen Abende zu treffen, hatte es bisher nicht gegeben. Die Umsiedlungen lagen zur Zeit der Feierlichkeiten fünf bis sieben Jahre zurück.“
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Es gab ein Feuerwerk auf dem Staudamm, unter dem der Gasthof Werthenbach stand: Dort hatte am 11. Oktober 1960 die erste Informationsveranstaltung zum geplanten Talsperrenbau stattgefunden. Der Gasthof, 1750 errichtet, wurde als eines der ersten Gebäude abgetragen. Er lagert, wie auch die Brauersdorfer Wassermühle, um Freilichtmuseum Detmold. Die Übersichtskarte im „Blick ins Netpherland“ zeigt, wo die Gebäude standen. Anders als Obernau und Brauersdorf wurde Nauholz nicht überspült. Das Dorf wurde zerstört, weil es jegliche Anbindung an die Nachbarorte verlor. An den Festtagen 1973 konnte der neue Rundwanderweg begangen werden, der um die Talsperre angelegt wurde. Festabend, Festzug und Fahrten mit Dampflokzügen auf der Kleinbahnstrecke sowie eine Großübung der Feuerwehr waren Höhepunkte.
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Außerdem: Häuser, Feiern, Räuber
Eine Fleißarbeit legt der Historiker Dr. Peter Vitt vor: Er hat das Urkataster von 1835 ausgewertet und heutige Häuser, Hausnamen und Adressen von Niedernetphen und Obernetphen zugeordnet, die bis 1968 selbstständige Gemeinden waren. 762 Einwohner hatten beide Ortschaften 1815, 2022 waren es 6189. Beide Ortschaften waren baulich voneinander getrennt, die heutige Amtsstraße war die Grenze. Nach Dreis-Tiefenbach führte 1835 ein Fahrweg auf der Trasse der heutigen Industriestraße. Arbeiter, die zu Fuß zu den Fabriken in Weidenau ginge, liefen durch die Zinsenbach hinauf zur Dautenbach. „Gearbeitet wurde dort von Montag bis Samstag von morgens 6 bis abends 6 Uhr, der Arbeitsweg von mindestens jeweils einer Stunde kam noch hinzu“, berichtet Peter Vitt, „von ‚guter alter Zeit‘ also keine Spur.“
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In die Gegenwart führen Bericht über die Oldtimer-Veranstaltung Netpherland Klassik und über 15 Jahre „Freitags in Netphen“, die sommerliche Coverband-Auftritte auf dem Rathausplatz. Heinz Stötzel gibt einen Ausblick auf 725 Jahre Beienbach im nächsten Jahr – bis 1923 mit der Grube Schnellenberg ein Bergbaudorf. 100-jähriges Bestehen hat die Wurstekommission Salchendorf feiern können; ihre Auftritte zu Silvester sind seit 1920 überliefert.
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Wilfried Lerchstein, der auch ein Kapitel über die Post in Unglinghausen besteuert, macht sich den Spaß, sich auf die Spuren des Raubritters Hans Hübner zu setzen, der gemeinhin mit der Hilchenbacher Ginsburg in Verbindung gebracht wird und spätestens jährlich bei Kultur Pur mit den Spektakeln der Schlossberg-Raubritter in Erinnerung gebracht wird. Johann Heinrich Jung-Stilling, gebürtig aus Grund und durch seine Augenheilkunde berühmt geworden, hat die Raubritter-Geschichte 1777 aufgeschrieben, die Brüder Grimm folgten 1816. Hübner taucht in den „Sagen und Märchen aus den Wittgensteiner Bergen“ auf, danach soll Hübner tatsächlich Graf Johann III von Sayn-Wittgenstein sein. Der Graf als Raubritter des späten 14. Jahrhunderts ist in der Limburger Chronik verewigt. Schließlich der aus Weidenau stammende Kunstmaler Fritz Kraus (1876-1956), der auch Heimatgeschichten verfasste: Er bringt Obernau und Afholderbach als Schauplätze ein. Hübner entführt die Braut eines Obernauer Bauern, es kommt zu einer Schlägerei, Hübner entkommt verletzt, wird aber von einem Femgericht für vogelfrei erklärt – und erdolcht im Afholderbacher Weiher aufgefunden.
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