Siegerland. Die Omnibus-Weltpremiere, Eiserfelder Schiefer fürs Rathausdach – spannende Aspekte der Regionalgeschichte in der neuen „Siegerland“-Zeitschrift.
Die Geschichte des ersten Motoromnibusses der Welt ist gerade in diesem Jahr schon vielfach erzählt worden – schließlich jährt sich der Tag der ersten Linienfahrt von Deuz nach Siegen und zurück zum 125. Mal. Und wenn Corona nicht gekommen wäre, wäre das Jubiläum im März auch groß gefeiert worden.
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So wurden der Korso mit 125 Omnibussen und die Zukunftsmeile in Weidenau als erste von noch vielen weiteren Veranstaltungen abgesagt. In der ersten 2020er Ausgabe von „Siegerland“, der Zeitschrift des Siegerländer Heimat- und Geschichtsvereins, macht Wilfried Lerchstein aus einem Jubiläum zwei.
1895: Der erste Bus auf der Strecke Siegen-Deuz
Das erste Jubiläum ist das bekannte: Am 18. März 1895 fuhr erstmals ein Linienbus auf der Strecke Siegen-Deuz. Modernes Verkehrsmittel zu dieser Zeit war längst die Eisenbahn, die seit 1861 auch auf der Ruhr-Sieg-Strecke nach Hagen fuhr. Die Postkutschen waren auf einen Rumpfbetrieb reduziert, erst 1872 wurde die bis Netphen verkürzte Linie wieder bis Deuz verlängert. Abfahrt in Deuz 4.40 Uhr, Ankunft in Siegen rechtzeitig für den 7.23-Uhr-Zug nach Hagen. Das war’s dann für den Tag. Auch Netphen hatte sich zumindest eine „Secundärbahn“ gewünscht, es gab sogar schon ein Eisenbahnkomitee. Der preußische Staat entschied dann aber für Kreuztal-Hilchenbach-Cölbe (bei Marburg) und gegen Deuz-Straßebersbach, das heute Dietzhölztal hieß.
Dann also die Netphener Omnibusgesellschaft: Gegründet wurde sie am 7. Dezember 1894, Vorsitzender war der Gerbereibesitzer August Hüttenhain. Das Unternehmen war in jeder Hinsicht eine Pleite: Mal mussten Fahrgäste an der Haltestelle zurückbleiben, weil die acht Sitzplätze schon belegt waren. Mal mussten sie aussteigen und an Steigungen schieben. Mal blieben sie stehen, weil der Bus überhaupt nicht kam – er war halt kaputt. Abgesehen davon: 70 Pfennige waren damals ein stattliches Fahrgeld. Am 20. Dezember 1895 war Schluss, die Linie wurde eingestellt, die Omnibusgesellschaft löste sich sich auf. Die Postkutsche übernahm wieder – bis zum 1. Dezember 1906, als die Kleinbahn ihren Betrieb zwischen Weidenau und Deuz aufnahm.
1970: Der Nachbau, der heute im Pavillon am Deuzer Bahnhof steht
Die Netphener erinnern sich mit Stolz an ihre Weltpremiere – und so kommt auch das zweite Jubiläum zustande, an das Wilfried Lerchstein erinnert: Mit den „Verkehrsfesttagen“ begeht die Gemeinde 1970 den 75. Jahrestag der ersten Omnibusfahrt. Im selben Jahr feiert auch Walzen Irle in Deuz 150-jähriges Bestehen. Und weil Otto Irle 1895 einer der Netphener Omnibus-Gesellschafter war, steht das Geschenk zum Jubiläum fest: Firmenchef Dr. Erich von Gumpert lässt den Bus von 1895 nachbauen.
Wilfried Lerchstein hat Berichte und Bilder bekommen, wie der Bus innerhalb von sechs Wochen in der Lehrwerkstatt bei Irle zusammengeschweißt, ein hölzerner Aufbau geschreinert und der 24-PS-Motor eines VW Käfer eingebaut wurde. Der TÜV ließ ihn für 6 km/h zu. 2009 wurde der Bus komplett überholt, 2016 bezog er seine wohl letzte Garage im gläsernen Pavillon am Deuzer Bahnhof.
Im Doppeljubiläumsjahr – auch darauf weist Wilfried Lerchstein hin – gibt es wiederum eine Premiere: Erstmals setzen die Verkehrsbetriebe in Drolshagen und Altenhundem einen selbstfahrenden Elektrobus ein. Von 1895 bis heute, folgert der Autor, hätten Menschen in der Region „stets in ausreichendem Maße Mut, Willen und Kraft für die erforderlichen Innovationen“ aufgebracht. Und vom 11. bis 13. Juni 2021 wird dann, wenn alles gut geht, doch gefeiert: 126 Jahre erster Motoromnibus der Welt. Und 51 Jahre Omnibus-Nachbau.
Weitere Themen im neuen „Siegerland“: Eiserfelder Schiefer für Stadtmauer und Kirche
Von etwa 1480 bis 1563 lebte der Ritter und Amtmann Johan von Selbach. Klaas de Boer berichtet über den gebürtigen Crottorfer, der für den Herzog von Geldern in den Krieg zog, in den Dienst des Herzogs von Berg kam, für Wilhelm von Nassau 1542 ein Kommando im Türkenkrieg übernahm, zuletzt Amtmann zu Windeck wurde und mit 70 Jahren begann, die Burg Crottorf zum Schloss umzubauen.
Über den Schieferabbau in Eiserfeld im 15. und 16. Jahrhundert berichtet Andreas Bingener. Die Schieferbrüche werden im Zusammenhang mit Bauarbeiten auf der Ginsburg 1497 erwähnt und dann 1504/05, als Siegen Großbaustelle wurde: Zwischen Kölner Tor und Löhrtor wurde unterhalb der Martinikirche ein Bollwerk für Geschütze errichtet, von da an wurde auch an der neuen Stadtmauer gebaut. Schiefer aus Eiserfeld kam aufs Siegener Rathausdach, auf den Turm der Nikolaikirche. Treppensteine aus Eiserfeld wurden zur Wetzlarer Pforte geliefert (so hieß das Löhrtor damals).
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Rund 200 Jahre bestand die Wahlbacher Hütte, deren Geschichte Alfons Bender erzählt. 1590 wurde ein „hoher Ofen“ erwähnt, „allem Anschein nach der erste im Freier Grund“, folgert Alfons Bender: „Auf einem adelichs Ritter freyem Grunde“, wie es in einer Urkunde heißt. Die Hütte, so vermutet der Autor, war bis etwa 1750 in Betrieb. Denn 1775 wird sie schon als „etwas verfallen“ beschrieben.
Theologe Karl Barth inspiriert zu inspiriert zu Kirchenbau in Siegener Hengsbach
„Karl Barth und die Siegerländer“ ist der Aufsatz von Theologieprofessor Marco Hofheinz über den evangelischen Theologen. 1935 predigte Karl Barth, Vertreter der Bekennenden Kirche, in der Nikolaikirche – zum letzten Mal vor seiner vom NS-Regime veranlassten Zwangspensionierung. Der Eiserfelder Pfarrer Heinrich Jochum rückte nach dem Krieg von Barth ab, schloss sich der evangelikalen Bewegung an, veröffentlichte ein Buch über Barth mit dem Titel „Die große Enttäuschung“. Barth hatte den Teilnehmern der Kundgebung „Kein anderes Evangelium“ ein „totes, billiges, Mücken-seigendes und Kamele-verschluckendes und also pharisäisches Bekenntnis“ vorgeworfen. 1967 wurde in der Hengsbach die neue Christuskirche eröffnet, errichtet nach Barths Vorstellungen vom Kirchenbau. Barth bedankt sich bei Pfarrer Otfried Hofius: „Problematisch erscheint mir nur die Öffnung des Raumes nach allen Seiten. (...) Und wie wird die Blendung der Gemeinde durch zu viel direkt einfallendes Licht und ihre Ablenkung durch das Viele, was in diesem Licht draußen sichtbar sein mag, behindert?“
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„Fragmente eines kurzen Lebens“ überschreibt Dieter Bald das Ergebnis seiner Recherche zu Dr. Ludwig Bald, der 1902 in Erndtebrück geboren und wenige Tage vor Kriegsende, auf dem Heimweg bei Röspe, von amerikanischen Soldaten erschossen wurde. Der Historiker, der – ebenfalls in „Siegerland“ – 1933 über die Auswanderung von Siegerländern nach Preußisch-Litauen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts publizierte und von 1932 bis 1939 Volksschullehrer in Ostpreußen war, ist Verfasser von „Das Fürstentum Nassau-Siegen. Territorialgeschichte des Siegerlandes“, das als Standardwerk zur Regionalgeschichte gilt.
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