Siegen. Ex-Mitarbeiter der Kirche soll junge Männer belästigt haben. Staatsanwaltschaft Siegen: Keine Hinweise auf strafrechtlich relevantes Verhalten.
Ein höherrangiger ehemaliger Mitarbeiter des evangelischen Kirchenkreises Siegen soll über mehrere Jahre hinweg Jugendliche und junge Männer sexuell belästigt haben. Hinweise auf Missbrauch Minderjähriger durch körperliche Gewalt oder Drohungen gegenüber den mutmaßlichen Opfern liegen der Siegener Staatsanwaltschaft indes nicht vor: Unabhängig von moralischen Maßstäben werde den ersten Bewertungen der Justiz zufolge von strafrechtlich relevanten Vorwürfen wohl nichts übrig bleiben, so Pressesprecher Patrick Baron von Grotthuss auf Anfrage dieser Zeitung.
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Die Staatsanwaltschaft Siegen untersucht die bekanntgewordenen Vorwürfe gegen den ehemaligen Beschäftigten des Kirchenkreises, der inzwischen im Ruhestand ist. Die Sachlage sei noch nicht abschließend beurteilt; bislang hätten die Behörden aber keine Hinweise auf sexuelle Gewalt. Auch von potenziellen Opfern, die zur Tatzeit noch minderjährig waren, wisse man bislang nichts: Alle Betroffenen, die der Staatsanwaltschaft bekannt seien, seien demnach mindestens 18 gewesen. Womöglich könnte sich „unter Umständen“ aber ein Verdacht auf Missbrauch Schutzbefohlener erhärten, wenn entsprechende Abhängigkeiten zwischen dem ehemaligen Mitarbeiter und den jungen Männern nachgewiesen werden könnten, so von Grotthuss. Wahrscheinlich sei das nicht, die Vorwürfe aber eben auch noch nicht abschließend beurteilt. Womöglich würden sich auch noch weitere Betroffene melden.
Staatsanwaltschaft Siegen: Versuch, homosexuelle Kontakte anzubahnen
Den der Staatsanwaltschaft bisher vorliegenden Hinweisen und Zeugenaussagen zufolge habe der Mann seine „etwas herausgehobene“ Stellung dazu benutzt, homosexuelle Kontakte zu den jungen Männern anzubahnen, auch in kirchlichen Räumen. Wenn diese „Anmache“ zurückgewiesen wurde, habe er sich den bislang vorliegenden Schilderungen zufolge aber wohl nicht strafrechtlich relevant verhalten; also weder Gewalt angewendet, noch diese angedroht. Es gebe keine Hinweise auf sexuelle Kontakte gegen den Willen eines Betroffenen. Was aber nicht bedeutet, dass nicht auch anderweitig psychischer Druck aufgebaut wurde, damit die Betroffenen sich seinen Wünschen fügten - das sollen die weiter laufenden Ermittlungen zeigen.
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Bislang gebe es lediglich Zeugen in „überschaubarer Zahl“, die alle volljährig seien, berichtet auch der Evangelische Pressedienst (epd). Die Rede ist von sechs bis acht oder auch „mindestens acht“ Männern, die dem Beschuldigten Missbrauch vorwerfen. Die Taten seien nach deren Angaben über Jahrzehnte begangen worden, einige hätten angegeben, damals noch als Minderjährige betroffen gewesen zu sein. Die Evangelische Kirche von Westfalen erklärte, sie nehme Aussagen und Berichte von Betroffenen sehr ernst und gehe Beschuldigungen sexualisierter Gewalt konsequent nach.
Ehemalige Siegener Superintendentin Kurschus entsetzt über Missbrauchsvorwurf
Laut westfälischer Kirche in Bielefeld habe der Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein unmittelbar nach Bekanntwerden von Verdachtsmomenten Anfang des Jahres 2023 die Ermittlungsbehörden eingeschaltet und vor Ort ein Interventionsteam eingerichtet. „In jedem Fall wird der Verdachtsfall nach Abschluss der behördlichen Ermittlungen aufgeklärt und aufgearbeitet“, kündigte die viertgrößte deutsche Landeskirche an. Die landeskirchliche Ansprechstelle für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung stehe mit Betroffenen in engem Austausch: „Sie erhalten neben seelsorglicher Begleitung auch Hilfsangebote wie bei Bedarf längerfristige rechtliche und psychologische Unterstützung.“
Peter-Thomas Stuberg, Superintendent des Kirchenkreises Siegen-Wittgenstein, betont im Gespräch mit dieser Zeitung den hohen Stellenwert von Prävention und Sensibilisierung gegenüber jeglicher sexualisierter Gewalt. Auch bloßen Worten in diese Richtung wolle und dürfe die Kirche keinerlei Raum bieten, um das Vertrauen der Menschen nicht zu gefährden. So habe der Kirchenkreis schon 2021 zwei Präventions-Fachkräfte eingestellt, die alle Mitarbeitenden flächendeckend und verbindlich schulen. Nach Abschluss der behördlichen Ermittlungen werde man eigene Schutzkonzepte und Strukturen überprüfen, den Fokus noch stärker auf Prävention und Sensibilisierung richten und sich gewissenhaft darum bemühen, dass die evangelische Kirche ein täterfeindliches Umfeld bleibe.
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Die westfälische Präses, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Amtsvorgängerin Stubergs, Annette Kurschus, reagierte entsetzt auf den Missbrauchsverdacht. „Die Vorwürfe erschüttern sie umso mehr, als sich die Präses seit Jahren mit Nachdruck für die Bekämpfung und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in der westfälischen Landeskirche und darüber hinaus einsetzt“, erklärte ein Sprecher der Landeskirche. mit dpa/epd