Siegen-Wittgenstein. Die Wohlfahrtsverbände im Kreis Siegen-Wittgenstein warnen eindringlich vor geplanten Mittelkürzungen in der Migrationsberatung.
Die Nettozuwanderung nach Deutschland ist derzeit so hoch wie seit 1950 nicht mehr. Doch gerade jetzt will die Politik massiv an der Unterstützung für diese Menschen sparen. „Es ist paradox“, heißt es in einer Mitteilung der Diakonie in Südwestfalen. Die Beratungsstellen im Kreis Siegen-Wittgenstein schlagen Alarm: Anlässlich eines Aktionstages in den Räumen der Sozialen Dienste der Diakonie in Südwestfalen in Siegen machten sie vor den negativen Folgen für die Betroffenen und die Gesellschaft aufmerksam, sollten Angebote, die für ein Gelingen von Integration wichtig sind, künftig wegfallen.
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Dr. Michael Bräuer, Geschäftsführer der Diakonie Soziale Dienste, verdeutlichte die Dimensionen der vorgesehenen Kürzungen, die nicht nur die Migrationsberatung betreffen würden, sondern im Prinzip alle Säulen der Sozialen Arbeit – von der Jugendhilfe bis hin zu vielen weiteren Angeboten wie der Sucht- oder Schuldnerberatung. So soll im Bereich der Migrationsberatung fast ein Drittel der derzeitigen Mittel gestrichen werden, heißt es in dem Schreiben der Diakonie. Dabei sei die finanzielle Ausstattung durch den Bund schon jetzt nicht auskömmlich, man müsse jährlich oftmals größere Summen zuzahlen, sagt Dr. Michael Bräuer. „Geld, das den Trägern jedoch nicht mehr zur Verfügung steht“, teilt die Diakonie mit. Einer Umfrage zufolge erwarteten 80 Prozent von ihnen in diesem Jahr große Verluste. „Die Lage ist besorgniserregend. Sollten die Sparpläne Realität werden, hätte dies signifikante Einschnitte zur Folge und könnten auch die Beratungsangebote in Siegen-Wittgenstein in der derzeitigen Form nicht aufrechterhalten werden.“
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Im Hinblick auf die Flüchtlingshilfe gilt dies in der gegenwärtigen Situation umso mehr, unterstrich Bettina Klein von der Migrationsberatung der Diakonie. Bundesweit liegen die Zahlen der Erstanträge auf Asyl derzeit wieder auf dem Niveau von 2016, und auch im Kreis Siegen-Wittgenstein kamen seit Anfang 2022 wieder deutlich mehr Schutz suchende Menschen an – vor allem aus der Ukraine, aber auch aus Syrien, Afghanistan, Irak, der Türkei und zahlreichen afrikanischen Ländern. Mit den 5,1 Vollzeitstellen der Migrationsberatung, die sich auf die Träger Diakonie in Südwestfalen, Arbeiterwohlfahrt (AWO), Caritas, Verein für soziale Arbeit und Kultur Südwestfalen (VAKS) und den Jugendmigrationsdienst (JMD) aufteilen, wurden in diesem Jahr bislang bereits mehr als 800 Fälle bearbeitet. Dabei variieren Umfang und Dauer der Beratung, erläuterte Klein – von einmaligen Terminen bis zur intensiven Begleitung über einen längeren Zeitraum, von Einzelpersonen bis hin zu einer mehr oder weniger großen Zahl mit zu betreuender Familienmitglieder.
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Kriege, Erdbeben, Katastrophen – „die Krisen der Welt schlagen sich mit etwas Verzögerung bei uns nieder“, veranschaulichte Bettina Klein. Von den kommunalen Stellen bekommen die Neuankömmlinge Unterkunft und Erstberatung, dann landen sie bei den Migrationsdiensten, die sich um Sprachkurse und Fragen zu Wohnen, Arbeit, Gesundheit, Kinderbetreuung, Schule oder dem Familiennachzug kümmern – allesamt wichtige Bausteine, damit Integration gelingen kann. Dabei lege Migration aber auch wie unter einem Brennglas vieles offen, „was infrastrukturell im Argen liegt“, sagt Bettina Klein. So führe die Notsituation der Betroffenen häufig dazu, dass sie prekäre Jobs annehmen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Mangel an sozialem Wohnraum habe zur Folge, dass die Menschen oft (zu) lange in Flüchtlingsunterkünften verweilen oder Wohnungen beziehen, die unzumutbar sind. Ein weiteres Problem seien die langen Bearbeitungszeiten und die schwierige Kommunikation mit den Behörden: „Um einen Sachverhalt für einen Klienten zu klären, hängt man oftmals 30 bis 40 Minuten in der Warteschleife der Telefon-Hotline.“
Ein „fatales Signal“
Ein Beispiel, welche Auswirkungen die Kürzung der Mittel zur Folge hätte, schilderte Ute Wawrzyniak-Bockheim vom JMD Siegen. Dort stünde das bundesweite Projekt „Respekt Coaches“, das mit präventiven Angeboten Respekt, Toleranz und den Abbau von Vorurteilen an Schulen fördern soll, vor dem Aus. Die Vertreter der hiesigen Träger in der Migrationsberatung sind sich einig: Die geplanten Einsparungen seien ein „fatales Signal“. „Man reißt ein bestehendes System nieder“, beklagte Jens Hunecke vom AWO-Kreisverband. „Wenn traumatisierte Menschen keine Unterstützung mehr bekommen, wird uns das als Gesellschaft auf die Füße fallen.“ Er warnte vor Folgekosten, aber auch vor dem politischen Sprengstoff, den ein Scheitern der Integration in sich birgt: „Das gäbe noch mehr Wasser auf die Mühlen rechtsextremer Parteien.“
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Ähnlich sieht es Matthias Vitt vom Caritasverband Siegen-Wittgenstein. Er sieht ein „schizophrenes Verhalten der Politik in Berlin“: Einerseits spreche man von der Notwendigkeit, ausländische Fachkräfte zu gewinnen, andererseits kürze man genau in jenem Bereich, der für ein Gelingen der Integration so wichtig ist. Dabei, so fügte seine Kollegin Jennifer Püttmann hinzu, nutzten vermehrt auch Unternehmen sowie die Siegener Uni die Expertise der Migrationsfachdienste. Überdies nehme man Ausländerbehörden und Regeldiensten massiv Arbeit ab.
Angesichts der im Raum stehenden Einschnitte herrsche nun Verunsicherung, wie die Diakonie mitteilt. Schließlich würden erschwerend noch höhere Kosten hinzukommen. Offenbar vertrete man in Berlin die Auffassung, dass die Wohlfahrtverbände „das schon irgendwie auffangen werden“, kritisiert Dr. Michael Bräuer, „dabei sind unsere Handlungsspielräume längst erschöpft“. Deshalb war es ein zentrales Anliegen des Aktionstages, die hiesigen Bundestagsabgeordneten auf den drohenden Kollaps hinzuweisen. Doch weder Luiza Licina-Bode (SPD), noch Laura Kraft (Bündnis 90/Die Grünen) oder Volkmar Klein (CDU) nahmen den Termin wahr. Letzterer ließ sich durch den CDU-Kreisvorsitzenden Benedikt Büdenbender vertreten. Dieser versprach, den Hilferuf der Migrationsdienste weiterzugeben.
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