Hilchenbach. In 30 Jahren, schätzt die Archivarin, kommt die letzte papierne Akte. In der Stadtbücherei sieht das anders aus. Auch dort verändert sich viel.

Zwei Kellerräume im ehemaligen Sparkassengebäude Markt 12 wird das Stadtarchiv belegen, einen mit Akten und einen mit Planschränken für Karten, Pläne und andere großformatige Archivalien. „Damit werden wir die nächsten zehn bis 15 Jahre hinkommen“, schätzt Verena Hof-Freudenberg, Hilchenbachs Stadtarchivarin. Und vielleicht auch ein bisschen länger. Zu überstehen ist eine Strecke von 30 Jahren. „Dann werden wir die letzte Papierakte aus dem Rathaus übernehmen.“ Danach kommen nur noch Dateien, die keinen Magazinraum mehr beanspruchen.

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1,3 Kilometer Verwaltungsakten

1,3 Kilometer lang oder hoch würde der Aktenstapel aus dem Hilchenbacher Stadtarchiv, wenn man ihn nicht in Rollregalen, sondern aneinandergereiht aufbewahren würde. Das meiste Papier aus dem Gesamtbestand von mehr als 40.000 Akten wurde nach dem zweiten Weltkrieg produziert – nur 3500 Akten stammen aus der Zeit von 1700 bis 1945.

Deren Erhalt braucht besondere Zuwendung. In den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts wurde billiges Papier verwendet, das sich nun zersetzt, weil sich Säuren bilden. Seit 13 Jahren schickt die Stadt jährlich 250 Kilo Akten zur „Massenentsäuerung“. Um die Inhalte hat sich in den letzten Monaten der Historiker Milan Nikolic gekümmert. Er hat den gesamten Altbestand vor 1945 für ein digitales Findbuch aufbereitet, das demnächst online allgemein zugänglich gemacht wird,. Mehr als 1000 Akten wurden auch erstmals gesichtet und inhaltlich erfasst. „Wir können jetzt viel zielgerichteter suchen“, berichtete Verena Hof-Freudenberg dem Kulturausschuss bei dessen Ortstermin.

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Dass die Zukunft des Archivs digital sein muss, steht außer Frage: „Das Archiv übernimmt die Akten so, wie sie entstehen“, stellt die Archivarin klar. Ein anderes Thema ist der Umgang mit den auf Papier geführten Akten. Die alle zu digitalisieren, „wird so schnell nicht gehen“, sagt Verena Hof-Freudenberg. Auch wenn Akten gescannt werden, wird das Papier-Original aufbewahrt werden müssen, vieles für ein paar Jahrzehnte, weniges sogar für immer.

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Uni arbeitet mit Jung-Stilling-Sammlung

Passieren darf in dem vollbeladenen Keller nichts. Technische Vorkehrungen sind getroffen, zu dem Brandschutz, aber auch gegen Wasserschäden. Bereits bei einem Zentimeter Wasser schlägt der Alarm an und die Feuerwehr rückt aus. „Es gibt auch einen Notfallverbund für alle Archive“, erklärt die Archivarin. Wenn irgendwo Land unter ist, rücken die Kollegen sofort aus, um die Bestände zu retten. „Man kann Archivgut nicht versichern.“ Was weg ist – ist weg.

Besonderer Schatz im Magazin ist die Sammlung von 428 Werken des Hilchenbachers Johann-Heinrich Jung-Stilling, die der ehemalige Kreuztaler Buchhändler und Verleger Klaus-Dieter Zimmermann der Stadt im vorigen Jahr kurz vor seinem Tod geschenkt hat. Mit der Aufbereitung befasst sich jetzt ein Team um die Siegener Pietismus-Forscherin Prof. Dr. Veronika Albrecht-Birkner im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Transformation des Populären“. Für die allgemeine Nutzung hat das Stadtarchiv mittwochs von 10 bis 12 Uhr eine „freie Sprechstunde“ eingerichtet. Darüber hinaus kann kommen, wer einen Termin verabredet hat – es sei denn, die Auskunft lässt sich bereits per Mail oder Telefon organisieren.

Abschied in der Bücherei

2019 ist Verena Hof-Freudenberg Nachfolgerin von Stadtarchivar Reinhard Gämlich geworden. Mittlerweile hat sie nur noch 20 Prozent einer Vollzeitstelle im Archiv zur Verfügung; ihre neue Hauptaufgabe ist die Akquise von Fördermitteln. Mit einer 30-Prozent-Stelle ist Jutta Behren-Sarkodieh die zweite Frau im Archiv; sie leitet auch das ebenfalls in der Wilhelmsburg eingerichtete Stadtmuseum. Auf einer Etage mit dem Archiv befindet sich die Bücherei – dort steht im Herbst ein Wechsel an: Nach dann mehr als 32 Jahren geht Büchereileiterin Birgit Latz in Rente. Das „Immer-am-Mangel-ranschrabben“ werde sie nicht vermissen, meint sie zwar. Aber die Menschen: „Leserinnen und Leser sind gute Leute. Es hat mir immer Spaß gemacht, für sie das Beste herauszuholen.“ Fachdienstleiterin Martina Hamann bedauert den bevorstehenden Abschied: „Wir sind alle sehr traurig darüber.“ Die 30-Stunden-Stelle soll schon zum 1. Juni neu besetzt werden.

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Ob es 2050 noch Bücher gibt oder die Bücherei denselben digitalen Weg nimmt wie das Archiv nebenan, will Olaf Kemper (CDU) als amtierender Ausschussvorsitzender wissen. Für die, die es schätzen, ohne Strom und ohne Flimmern zu lesen, sicherlich, antwortet die Büchereileiterin. Andererseits: Es kommt auf die Geschichten an – ob die nun auf Papier oder im E-Book-Reader stehen, spielt nicht die entscheidende Rolle, findet Birgit Latz. DVDs werden nach und nach durchs Streaming verdrängt, Hörbücher auch, dafür kommen die Tonis – die Boxen mit Kindergeschichten – groß raus. „Man muss sich halt breit aufstellen.“ Und mit der Zeit gehen: Der Online-Katalog ist auf dem neuesten technischen Stand, mit dem Jahresausweis verbundene Nutzerprofile und Merklisten gehören eben zum Standard wie die informelle „Fernleihe“ bei den Nachbar-Büchereien.

Kinder bleiben weg – und Alte auch

Etwas nachdenklich stimmt, dass de Zahl der Ausleihen auf zuletzt 25.000 zurückgegangen ist. Das liegt an Corona. den langen Schließungszeiten und den ausgebliebenen Besuchen von Schulklassen – vor der Pandemie waren es 30.000, vor zehn Jahren sogar 38.000. „Da hatten die Schulen noch keine Nachmittagsbetreuung“, erinnert Birgit Latz. Kinder, für die die Bücherei Treffpunkt am Nachmittag war, haben nun keine Zeit mehr dafür. Jetzt kommt die Bücherei zu ihnen in die Schule, vor allem mit Bücherkisten, die zu Themen nach Wahl bestellt werden. Nicht mehr zurückgekommen nach der Pandemie sind eine Reihe von älteren Stammkunden, bedauert Birgit Latz. Der „Bücherschrank für die Stadt“ ist schließlich für alle da.

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