Netphen. Die Ratssitzungen in Netphen sind ein Quoten-Flop. Die Zeit sei noch nicht reif dafür, meint die Verwaltung und rät zum Abbruch der Übertragungen.

Der Auftakt war geräuschvoll: Als die – kreisweit – erste Ratssitzung aus Netphen ins Internet übertragen wurde, gab es die längste Zeit Unterbrechungs-Dias zu sehen – viele Ratsmitglieder wollten sich nicht filmen lassen. Mittlerweile ist das Ritual eingespielt: Bürgermeister Paul Wagener begrüßt regelmäßig „die Zuschauer draußen an den Bildschirmen“, auf ihn und seinen Verwaltungsvorstand ist die Kamera gerichtet. Ratsmitglieder, die ihre Beiträge übertragen wissen wollen, treten ans Rednerpult. Die Kamera ins Plenum hinein musste wieder weg, nachdem eine Reihe von Stadtverordneten ihr Einverständnis zurückgezogen hatte. Nur: Sehen will das kaum jemand. Die Dezember-Sitzung des Rates soll die letzte sein, die online übertragen wird.

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Meist weniger als hundert Zuschauer

Einschaltquoten: Zur Ratssitzung am Donnerstag, 8. Dezember, legt die Verwaltung die „Einschaltquoten“ der bisher sieben übertragenen Sitzungen vor. Mit 735 Gesamtaufrufen und bis zu 106 gleichzeitig Zuschauenden ist die 93 Minuten lange Premierensitzung am 16. September 2021 unübertroffen. Platz 2 mit 275 Aufrufen hat die Haushaltsdebatte vom 3. Februar – da allerdings dürften auch viele Ratsmitglieder zugeschaut haben, schätzt die Verwaltung: Der Rat hatte wegen der Pandemie seine Anwesenheit freiwillig auf ein Minimum reduziert. Tiefpunkt war der 7. April mit 48 Zuschauenden einer 19 Minuten kurzen Sitzung. Bei den anderen Sitzungen lagen die Zuschauerzahlen – von einer Ausnahme abgesehen – unter 100.

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Mängel: Die Stadt habe für die Übertragung bisher für den Einsatz eines Dienstleisters einen „mittleren fünfstelligen Betrag“ ausgegeben, hinzu kommen je Sitzung um die sieben Arbeitsstunden Personaleinsatz in der Verwaltung. „Deutliches Optimierungserfordernis“ habe die Tonqualität. „Dass eine minderwertige Ausstattung immer zu Lasten der Qualität geht, haben die bisherigen Streams deutlich auch durch entsprechende Reaktionen der Zuschauenden gezeigt“, berichtet die Verwaltung. „Dem Feedback war daneben eine große Unzufriedenheit mit Blick auf die aus Datenschutzgründen erforderlichen Bild-/Tonausblendungen zu entnehmen.“

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Kosten: Wünschenswert sei die Übertragung vom Sitzplatz aus. Das sei aber nur möglich, wenn alle Ratsmitglieder zustimmten. Eine reine Audioübertragung, die als weitere Alternative möglich wäre, würde dem Ansinnen eines Livestreams „sicher nicht gerecht“. Eine drahtlose Konferenzanlage für die Tonübertragung und fest installierte Kameras würden eine Investition von bis zu 92.000 Euro erforderlich machen. Gegen die Neuanschaffung einer Mikrofonanlage habe der Rat allerdings sich schon im Februar 2021 ausgesprochen.

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Bürger fühlen sich durch Medien ausreichend informiert

Eine Liveübertragung sei zwar „grundsätzlich zu begrüßen“, heißt es schließlich im Fazit der Vorlage – wenn, dann allerdings nur in Verbindung mit den Ausschusssitzungen, in denen die Themen des Rates vorberaten werden und in denen die Willensbildung der Fraktionen nachvollziehbar wird. Die Verwaltung rechnet hoch: Um die 30 Sitzungen im Jahr würden außer dem Dienstleister rund 210 Arbeitsstunden der Verwaltung kosten, das wären zwölf Prozent einer Vollzeitstelle. Wenn kein Dienstleister eingesetzt würde, müssten sich zwei Verwaltungskräfte um das Streaming kümmern. Das würde dann jährlich bis zu 12.000 Euro kosten. „Perspektivisch wäre dann auch die Beschaffung einer mobilen Kameratechnik sinnvoll mit der Konsequenz, dass weiteres Personal für die Kameraführung vonnöten wäre und damit dauerhaft drei städtische Bedienstete für den Streaming-Dienst eingesetzt werden müssten.“ Im Schnitt würden Kommunen für das Streaming 3000 Euro pro Sitzung ausgeben.

Das machen die anderen

Der Kreis Siegen-Wittgenstein wird über das Streaming von Kreistagssitzungen entscheiden, wenn der Kreistag wieder regulär im Geisweider Ratsaal tagt. Zur Dezember-Sitzung werden die Fraktionsvorsitzenden wie im Vorjahr Videos mit Kurzfassungen ihrer Haushaltsreden aufzeichnen lassen.

In Siegen wurde erstmals am 6. April eine Ratssitzung übertragen. Die Testphase endet zum Jahresende. Der Rat wird am 21. Dezember entscheiden, ob das Livestreaming fortgesetzt werden soll. Nach einem positiven Ratsbeschluss würde der Auftrag für einen Dienstleister ausgeschrieben.

Konsequenz: „Alles in allem bleibt festzustellen, dass die Zeit für ein Streaming der parlamentarischen Arbeit in Netphen noch nicht reif ist“, stellt die Verwaltung am Ende fest. Offensichtlich fühle sich die Bevölkerung durch die lokalen Medien ausreichend informiert. Auch von der Möglichkeit, Vorlagen und Protokolle im Ratsinformationssystem der Stadt nachzulesen, werde kaum Gebrauch gemacht. Nur 37 Personen nutzten die Bürger-App.

Kommentar: Netphen: Der Streaming-Fehlstart wirft Fragen auf

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