Siegen/Ahrtal. Siegener Ehrenamtliche um Bernd Mäckeler und Ansgar Cziba bauen Flutopfern im Ahrtal ihr Zuhause wieder auf: Ohne die Hilfe „wären sie am Arsch“
Wenn jemand im Ahrtal Hilfe braucht, dann kommen sie, aus Siegen und dem Siegerland. Die Hilfsbereitschaft für das Flutgebiet ist noch da, hat aber nachgelassen. Die aus Siegen nicht. Die ehrenamtlichen Mitglieder der privaten „Ahr-Sieg-Hilfe“ investieren nach wie vor für die Menschen, die ihr Zuhause verloren haben. Eine Würdigung.
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„Das ist jedes Mal ‘ne Tankfüllung“, sagt Bernd Mäckeler über die Fahrten. Einige hundert Euro sind das inzwischen locker, eigentlich macht er auch kaum noch was anderes als helfen und Hilfe organisieren. Direkt nach der verheerenden Flut, 14./15. Juli 2021, als er die Bilder aus dem Flutgebiet sah, dachte er: „Da müssen wir helfen.“ Mäckeler knüpfte Kontakte im Ahrtal, bot Hilfe an und wie sie die am besten organisieren, wurde von Pontius nach Pilatus geschickt, erzählt der Siegener. Der Anfang war gemacht. „Ich wollte immer ins Ahrtal, mir die Schönheit vor Ort angucken.“ Aber so eigentlich nicht.
Die „Kerntruppe“ aus Siegen: Bernd Mäckeler und Ansgar Cziba
Ansgar Cziba ist Architekt, Tischlermeister, Bauleiter. „Ich bin 2002 auch mal abgesoffen“, sagt er, seine Werkstatt wurde überflutet, der Keller des Wohnhauses. „Das war bestürzend.“ Auch ihm halfen damals Menschen. „In so einer Lage müssen alle zusammenstehen“, findet Cziba. Ein Zeichen der Hoffnung wollen sie geben in Zeiten, in denen es an allen Ecken und Enden fehlt; dass die Menschen erleben: man kümmert sich um sie. „Wie sie das mitgenommen hat“, sagt Cziba und erzählt von einer Familie, deren Kinder alle so traumatisiert waren, dass sie vor ihrem Zuhause nicht aus dem Auto steigen konnten, um ihre Sachen zu holen. Ein junger Mann hörte in der Flutnacht, wie sein Vater in einer Baumkrone festhing und um Hilfe rief. Die ganze Nacht. „Er fängt heute noch an zu weinen, wenn es regnet“, sagt Cziba.
Das Duo, beide sitzen für die Grünen im Siegener Rat, ist die „Kerntruppe“: Rentner Mäckeler organisiert, Cziba leitet die Baustellen; weiß, wann was getan werden muss. Bisher ist er jede einzelne Tour mitgefahren. Manchmal auch unter der Woche, dann nimmt er sich frei. Inzwischen gehören Dutzende Ehrenamtliche zum Helfernetzwerk.
Wenn die Ahr-Sieg-Hilfe in Siegen losfährt, ist alles bis ins Detail geplant
Sie wissen vorher genau, wohin, was sie da machen, was sie dafür brauchen und haben alles schon besorgt, bevor sie Helfer suchen und losfahren. Erst wenn alles fertig ist, rücken sie wieder ab. Ein ehrenamtlicher Rundum-Handwerks-Service für Menschen in Not, sozusagen.
Fachleute fehlen vor Ort, ganz erheblich sogar. Hilfsbereitschaft ist gut, aber sie muss auch zielgerichtet sein. „Viel zu wenige Experten für hunderte Häuser“, sagt Ansgar Cziba. Ein Verputzer konnte zum Beispiel nicht anfangen, weil die Elektroarbeiten fehlten. „Man muss Prioritäten setzen“, sagt er – eine Sauna würden sie erst instand setzen, wenn die Nachbarn wieder in ihren Häusern wohnen können.
Zielgerichtet und fachlich angemessen sei ihre Hilfe, erklär Cziba – Eimer haben sie nur einmal geschleppt, ganz am Anfang, in Sinzig. Sie rüsten sich für ihr Projekt aus und fahren mit vollem Auto vor – bei der aktuellen Preis- und Materiallage auch nicht immer einfach. „Wir lassen die Leute nicht mit halbfertigen Geschichten alleine“, betont der Handwerksmeister. Das gesammelte Wissen und Können des Helferkreises bieten sie an – Tiefbau, sagt Bernd Mäckeler, ist zum Beispiel eine Grenze. Da kennen sie sich nicht aus. „Aber das, was wir machen, tun wir gescheit.“
Von ganzen Existenzen im Ahrtal sind nur noch Trümmer übrig – „eine Sintflut“
„Das Netzwerk funktioniert im Ahrtal“, sagt Bernd Mäckeler. Die Kommunen haben Infopoints zur Koordinierung eingerichtet, viele Anwohner unterstützen mit Kontakten. Hilfe ist auch nach vielen Monaten noch nötig. Die Flutkatastrophe ist aus den Schlagzeilen verschwunden, aber im Ahrtal ist sie immer noch da, jeden Tag. „Da ist noch einiges im Argen“, sagt Bernd Mäckeler. Existenzen wurden vernichtet, nicht nur Gebäude. Job, Zuhause – von ganzen Lebensgeschichten sind nur Trümmer geblieben. „Fürchterlich.“
Mit der Instandsetzung ist es nicht wieder gut. Die Wunden in den Seelen der Menschen sind tief und heilen langsam. Wenn die Ehrenamtlichen ein Haus entkernen, stoßen sie unter den Dielenbrettern auf zentimeterhohen Matsch. „Ich habe selber erlebt, was Wasser kann“, sagt Cziba. „Eine Sintflut.“
Es wird nicht nur gebaut: Ahr-Sieg-Hilfe organisiert Weihnachtsgeschenke für Kinder
Sehr wichtig für die Siegerländer ist Renate Petri, selbst Flutopfer, sie verlor mehrere Häuser. „Sie ist richtig taff“, sagt Bernd Mäckeler. „Die lässt sich nicht unterkriegen.“ Petri ist ihre „Frau vor Ort“, organisiert und koordiniert, zum Beispiel wenn in Siegen wieder etwas Spendengeld zusammengekommen ist. Vier Familien konnten den insgesamt acht Kindern zu Weihnachten keine Geschenke besorgen. Sie sollten eine Wunschliste erstellen und die Ahr-Sieg-Hilfe bezahlte die Geschenke, 100 Euro pro Kind. „Die Kinder durften nicht wissen, dass die Geschenke von uns kamen“, sagt Bernd Mäckeler. „Die Eltern schämten sich, dass sie kein Geld dafür hatten. Sie trauten sich auch nicht, uns zu fragen.“ Ohne Renate Petri wäre das ein traurigeres Weihnachten geworden.
Ein aus Syrien stammendes Ehepaar, beide inzwischen deutsche Staatsbürger. Zwei Kinder, der Junge hat Down-Syndrom, pflegebedürftig. Kurz nach der Flut starb der Mann an Krebs. Die junge Witwe wünschte sich als erstes Unterwäsche für ihren Sohn. „Wir haben ihn komplett ausstaffiert“, erzählt Mäckeler nicht ohne Stolz. Seine Schwester auch. Und die Mutter auch. „Alle haben was bekommen.“
Die Siegener Ahr-Sieg-Hilfe kann helfende Hände und Spenden gut brauchen
Anpacken ist das eine. „Die Leute haben die unterschiedlichsten Nöte“, erzählt Bernd Mäckeler – deswegen sammeln sie auch Spenden, Kleidung, Spielzeug, alles Mögliche, aber ebenfalls gezielt. Schön wäre mehr Geld, sagt Mäckeler, um Baumaterial zu kaufen. Jede helfende Hand ist willkommen. Man muss kein Handwerker sein – immer sind Fachleute wie Ansgar Cziba dabei. Bernd Mäckeler betont: „Familie, Arbeit, Ausbildung geht vor! Kein Student soll seine Vorlesung sausen lassen, um uns zu helfen!“
Der Hackspace zum Beispiel arbeitet Laptops und Drucker für die Flutopfer auf, da herrscht großer Bedarf. Eine Frau konnte gar nicht fassen, dass sie die Geräte einfach so behalten durfte. Mäckeler: „Man glaubt manchmal nicht, was man erreichen kann, wo man überall helfen kann.“
Ohne die Ehrenamtlichen aus dem Siegerland wären viele Flutopfer aufgeschmissen
Immer noch hoffen viele Betroffene auf Geld für den Wiederaufbau, berichten Bernd Mäckeler und Ansgar Cziba – manche, die das bis August 2021 bei der ISB-Bank beantragten, die insgesamt 1,5 Milliarden Euro bereitzustellen versprach, hätten bis heute keinen Cent gesehen. „Der Papierkram, der da mit den Leuten gemacht wird, ist eine Frechheit“, sagt Mäckeler. Betroffene müssten sich online registrieren und online seitenweise Anträge ausfüllen. Die Menschen hatten ihre Häuser verloren und meistens gar kein Internet. „Wenn diese Leute Ehrenamtliche wie uns nicht hätten, wären sie am Arsch“, wird Bernd Mäckeler deutlich. „Wir sind für sie eine Art letzter Strohhalm.“ Wer in einer besonders hochwassergefährdeten Zone lebe, bekomme gar nichts, weder für Abriss, noch für Neubau. Auch dass irgendjemand am Schreibtisch über Krankheit oder Traumatisierung der Flutopfer entscheidet, kein Arzt, geht ihnen gewaltig gegen den Strich.
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Immer noch leben Menschen im Ahrtal in Behelfsunterkünften, nicht in richtigen Häusern, immer noch sind die meisten Erdgeschosse unbewohnbar, immer noch wirkt die Gegend menschenleer und hoffnungslos. „Wir sind auch als Seelsorger da“, sagt Bernd Mäckeler. Sie werden weitermachen.
>>>HINTERGRUND: Die größte, schwerste und teuerste Spende aus Siegen fürs Ahrtal
Das Helfershuttle-Konzept, mit dem viele Freiwillige ins Ahrtal transportiert werden, hat sich inzwischen weitgehend überlebt, Ende Mai läuft es aus. Die Arbeit im Ahrtal geht weiter. Es kommen Fachleute – und die brauchen Infrastruktur. Einen Duschcontainer aus Siegen zum Beispiel.
Den hatte der Rat zur Verfügung gestellt, weil er für Geflüchtete nicht mehr benötigt wurde. Die Stadt wandte sich an die Ahr-Sieg-Hilfe, zusammen mit dem Technischen Hilfswerk (THW) Siegen, das bereits zehntausende Arbeitsstunden in der Region leistete, wurde der Container jetzt ins Ahrtal gebracht. Dort arbeitet eine Gruppe von Elektrikern, für sie ist der Container bestimmt. Ein Luxemburger, der genau wie die Siegerländer jedes Wochenende zum Helfen im Ahrtal ist, half in Ahrweiler mit seinem Kran beim Umsetzen. „Die größte, schwerste und teuerste Spende, die wir bisher ins Ahrtal gebracht haben“, sagt Bernd Mäckeler.