Allenbach. Zum Jubiläum von Stift Keppel machen Schüler einen Film. Ihre Ideen dazu sind überraschend. Ein preisgekrönter Dokumentarfilmer führt die Kamera.

„Hat da jemand seine erste Liebe gefunden?“ Ege hat interessante Fragen. „Ihr solltet das thematisch ordnen“, mahnt Torsten Truscheit. Ein Wochenende lang hat er mit den 13 Mädchen und Jungen gearbeitet, mit denen er einen Film über ihre Schule produzieren wird. „Wir sind noch in der Recherchephase“, erklärt der Film-Profi, der als Dokumentarfilmer schon eine Reihe Preise errungen hat und einmal sogar kurz vor der Oscar-Nominierung stand. Hier, in Stift Keppel, ist er, weil er, der gebürtige Kreuztaler, mit Schulleiter Dr. Jochen Dietrich zusammen in Siegen studiert hat. Und weil Dietrich sich einen Film zu Keppelschen Jubiläum gewünscht hat: Das 150-Jährige des Gymnasiums wäre 2021 gewesen. Wäre, wenn es Corona nicht gegeben hätte.

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Recherche im Internatsmuseum und im Stiftsarchiv

Die Gruppe macht sich auf den Weg ins Stiftsarchiv. Unterwegs erzählt Jenny vom Besuch im Internatsmuseum, das Dorothea Jehmlich so eingerichtet hat, wie die Stiftsdamen damals lebten, als sie hier – um ihren Lebensunterhalt verdienen zu können – zu Lehrerinnen ausgebildet wurden. „Wir haben gelernt, dass sie nicht heiraten durften.“ Jedenfalls nicht, wenn sie ihren Beruf weiter ausüben wollten. Ob das was für sie wäre? „Das sieht sehr gemütlich aus“, überlegt Jenny, „man würde sich bestimmt wohlfühlen und wäre nicht allein.“

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Wie Dorothea Jehmlich war auch Dr. Erwin Isenberg Lehrer am Stift – als ehrenamtlicher Archivar hat er nach wie vor ein Büro in Keppel. Torsten Truscheit erklärt den Plan: Zuerst einmal überlegen, was sie den Schülerinnen und Schülern überhaupt erzählen wollen. Im Mai mit der Kamera üben und das Interviewen trainieren. Und im Juni drehen.

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Mädcheninternat mit Freibad und Tennisplätzen

Eine Gruppe hat sich mit dem Sport beschäftigt. „Das war so eine Sache, Mädchen und Sport“, beginnt Dr. Isenberg seinen Bericht. Keppel war schließlich bis in die 1970er Jahre hinein Mädcheninternat. Der von Stiftsdamen und Pastor beaufsichtigte Spaziergang war der größte gemeinsame Nenner in den ersten Jahren. Tennisplätze gab es schon 1906. „Boris Becker sitzt im Gefängnis, da ist das nicht mehr so en vogue.“ Aber der Mühlenteich, der Schwimmbad wurde - da, wo jetzt die neue Kita Hannes gebaut wird? „Die Meisten haben das Bad kalt in Erinnerung.“ Denn bis die Sonne das Wasser im Becken auf Temperatur gebracht hatte, waren meist längst Ferien.

Mädcheninternat mit Freibad: Wenn das Wasser endlich warm war, waren schon Sommerferien.
Mädcheninternat mit Freibad: Wenn das Wasser endlich warm war, waren schon Sommerferien. © WR | Stift Keppel

Erwin Isenberg erzählt von der Stiftsoberin, die den Krückstock auf dem Sprungbrett wegwirft, bevor sie ins kühle Nass springt. „Gibts davon Fotos?“, fragt Torsten Truscheit, der den Film anscheinend gerade schon mit dem inneren Auge entstehen lässt, „von dem Moment, als sie springt.“ Lehrerinnen im Badeanzug fotografieren? „Da war man ein bisschen vorsichtig“, antwortet der Archivar. Nein, so ein Foto gibt es nicht.

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Man kommt ein bisschen ins Plaudern. Über die Zeit, als noch nicht in jeder Stadt ein Gymnasium war. Als zwar auch, wie man es so erwartet, Diplomatenkinder ins Internat geschickt wurden, aber auch Kinder aus dem Siegerland, die nicht jeden Tag anreisen konnten. Als die Internate sich noch Konkurrenz machten. Bad Laasphe hatte Pferde, Salem am Bodensee sogar ein Segelboot. „Das konnten wir hier nicht bieten.“ Nur Tennisplätze. Und ein Schwimmbad. „Wir haben das genossen.“ Auch als Lehrer.

Die Gallensteine der Oberin im Biologie-Unterricht

Ege hat so seine eigenen Fragen. Ob denn in Keppel gestohlen wurde? Erwin Isenberg, der pensionierte Biologielehrer, kommt auf die Gallensteine der Oberin in der Biologiesammlung. „In Keppel war alles echt.“ Nur die Banane mit seitlichem Sichtfenster nicht. Aber der Schädel vom Friedhof. Den hat ein Abitur-Jahrgang tatsächlich geklaut, die Jungen waren längst schon da. „Ihr seht, wohin eine solche Frage führen kann“, sagt Torsten Truscheit, der an dieser Stelle den Reiz des ergebnisoffenen Recherchierens thematisiert – das Ganze läuft schließlich unter dem Thema „Kunst und Schule“, das mit Landesmitteln gefördert wird. Schulleiter Jochen Dietrich respektiert den „Zugriff auf eigenartige Aspekte“, wie er es formuliert. Das macht Ege Mut, endlich auch diese Frage loszuwerden: „Gab es Liebesgeschichten? Zwischen irgendjemandem?“

Mädchen und Sport: Zumindest in den ersten Jahren tat sich Stift Keppel damit schwer.
Mädchen und Sport: Zumindest in den ersten Jahren tat sich Stift Keppel damit schwer. © WR | Stift Keppel

Tanzstunden mit Rekruten aus Erndtebrück

Erwin Isenberg macht das nicht sprachlos. Er erinnert sich an die Schülerin, die aus dem Fenster auf den Oberstufenhof hinunterschaute und petzte: „Gucken Sie mal, die knutschen.“ Oder an die Knutschecke, zum Üben: „Die Internatsmädchen hatte ja das Problem: Die hatten keine Jungen.“ Bis auf die, die draußen mit laufendem Mopedmotor warteten, dass ihre Freundin durch das Loch in der Mauer aus dem Internat entwischen konnte. Für die Tanzstunden, nach denen sich Paul erkundigt, wurden Soldaten aus Erndtebrück verpflichtet. Mädchen und Jungs gingen in gegenläufigen Kreisen umeinander herum, die einen außen, die anderen innen. Bis jemand Stopp rief. „Man muss nehmen, was vor einem stand.“ Von wegen Partnerwahl. Und ja, es gibt die Lehrerinnen und Lehrer, die Paare geworden sind. Torsten Truscheit lässt nicht locker. Erwin Isenberg wird für den Film einen Kontakt vermitteln.

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Eingemauerte Nonne lockt Hunderte nach Stift Keppel

Jenny will wissen, wie Erwin Isenberg Archivar geworden ist. Er erinnert daran, wie er gemeinsam mit Dorothea Jehmlich den Stifts-Speicher aufräumte. Und wie er 1996 im Fernsehen Reklame für den Tag des offenen Denkmals machen sollte. „Denen habe ich was von der eingemauerten Nonne erzählt.“ Ein Ansturm von über 600 Besuchern vor der Stiftskirche war die Folge. „Als Nonne hat sich meine Tochter verkleidet, mein Sohn hat dazu Orgel gespielt.“ Und, ja, „den Film habe ich sogar noch zu Hause.“

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Im Herbst soll der Keppel-Film Premiere haben

Auf dem Tisch liegen Ordner mit Fotos, die Dr. Isenberg schon einmal herausgesucht hat. Das Häuschen mit dem Turm fällt auf, das in Müsen bei der Schreinerei Bensberg steht. Das war einmal Keppels „Seuchenhaus“, in dem Mädchen mit ansteckenden Krankheiten sich auskurierte, Diphterie zum Beispiel. Paul fragt noch nach Hippies in Keppel. Zum ersten Mal an diesem Nachmittag muss Erwin Isenberg passen. „Ich kenne mich da nicht so aus.“ Sie werden wiederkommen, die Mädchen und Jungen aus dem Filmteam. Jochen Dietrich hat sich schon mal einen unverfänglichen Titel ausgedacht: „Ausflüge in die Geschichte des Stifts Keppel.“ Wohin auch immer die noch führen werden. Premiere im Herbst.

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