Hilchenbach. Der evangelische Theologe Helmut Thielicke hat Wurzeln in Hilchenbach – aber nicht nur bei seinem Großvater im Kirchweg.

16 Häuser in der Hilchenbacher Altstadt tragen Texttafeln, die auf die historische Bedeutung der Häuser hinweisen. Der Hilchenbacher Geschichtsverein hat sie 2006 anbringen lassen. Nun ist eine 17. Adresse in der historischen „Stadtgeografie“ hinzugekommen: am Kirchweg 6. „Erbaut durch den Gerichtssekretär Friedrich Thielicke (1853-1945) gemäß dem Antrag vom 23. Januar 1901 und der Genehmigung vom 28. März 1901“, heißt es auf der Tafel. „Friedrich Thielicke war Großvater des bekannten protestantischen Theologen Helmut Thielicke (1908-1986)“.

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Das Haus: „Für einen Justizsekretär geradezu üppig“

Dr. Peter Neuhaus ist im Jahr 2000 in das Haus eingezogen, das der Großvater des berühmten Theologen Prof. Dr. Helmut Thielicke 1901 gebaut hat. Friedrich Thielicke baute 1901 das Haus am Kirchweg. Das heutige Arbeitszimmer des Grünen-Kommunalpolitikers war bei den Großeltern Thielicke die Küche.

Reinhard Gämlich, Geschäftsführer des Hilchenbacher Geschichtsvereins, bringt Hausbesitzer Dr. Peter Neuhaus (links) die Tafel für das Haus Kirchweg 6 mit.
Reinhard Gämlich, Geschäftsführer des Hilchenbacher Geschichtsvereins, bringt Hausbesitzer Dr. Peter Neuhaus (links) die Tafel für das Haus Kirchweg 6 mit. © Hilchenbacher Geschichtsverein | Hilchenbacher Geschichtsverein

Das tägliche Wohnzimmer, das Esszimmer und der Salon, nach draußen durch schwere Vorhänge abgeschirmt, blieben für das Nachbarsmädchen verschlossen, wie Waltraud Menn, Nachbarin aus der Bruchstraße, sich im Gespräch mit dem heutigen Hausbesitzer erinnerte. Die Bodenfliesen mit ihren Ornamenten im Flur entdeckte sie mit Freude wieder, die Initialen „F“ und „T“ für Friedrich Thielicke auf den beiden Türflügeln sind vertraut. „Er war immer der Herr Rechnungsrat“, berichtete Waltraud Menn über Ton und Stil des Hauses: „Für einen Justizsekretär geradezu üppig.“

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Die Forschung

Dr. Peter Neuhaus ist katholischer Theologe - das besondere Interesse an einem prominenten Protestanten lag auf der Hand, der eng mit der Bekennenden Kirche im Widerstand gegen die Nazis, mit einem umstrittenen Plädoyer für eine „differenzierte Diagnose“ und gegen eine „Kollektivschuld“ der Deutschen und mit wertkonservativen Positionen zur Studentenbewegung von 1968 verbunden ist: „Wirklich keine Randfigur des deutschen Protestantismus“, meint Dr. Neuhaus. Er gewann mit Waltraud Menn, mit dem damaligen Geschichtsvereinsvorsitzendem Dr. Hans Christhard Mahrenholz, dessen beide Brüder bei Thielicke studierten, und dem inzwischen pensionierten Stadtarchivar Reinhard Gämlich Mitstreiter für seine - nicht nur theologische - Forschungsarbeit. 2008, zum 100. Geburtstag Helmut Thielickes, ist ihr 22. Band in den „Beiträgen zur Geschichte Hilchenbachs“ veröffentlicht worden.

Familienalbum: Helmut Thielicke im Jahre 1919 mit Eltern Reinhard und Laura Thiellcke und Schwester Elisabeth.
Familienalbum: Helmut Thielicke im Jahre 1919 mit Eltern Reinhard und Laura Thiellcke und Schwester Elisabeth. © Hilchenbacher Geschichtsverein | unbekannt

Der Theologe: Eine Verbindung nach Ferndorf

In Ferndorf war Helmut Thielicke 1967 Gastredner der 900-Jahrfeier - Fanny Köhler, Mutter von Laura, der späteren ersten Ehefrau Friedrich Thielickes, wurde dort 1858 geboren. Und Hilchenbach? „So interessant und anders alles in dem ländlichen Hilchenbach war: ein Gefühl der Fremdheit bin ich dort nie losgeworden“, schreibt der Theologe über jene Ferientage bei den Großeltern am Kirchweg, der damaligen Kirchstraße, die in der Hilchenbacher Stadtgeschichtsschreibung zu Thielickes „schönsten Jugenderlebnissen“ mutiert sind.

Neuer Anlauf

Etwa ein Viertel der angefragten Hausbesitzer habe die Plaketten 2006 abgelehnt, erinnert Reinhard Gämlich, Geschäftsführer des Geschichtsvereins – nicht wegen der Inhalte, sondern aus Sorge um die Hausfassade. Danach gelang nur noch eine Installation am ehemaligen jüdischen Betsaal in der Gerbergasse. Nun will der Verein einen neuen Anlauf unternehmen.

„Die sehr liebevolle Großmutter war überaus abergläubisch und fürchtete immer, dass mich der böse Blick einer Hexe treffen könnte, die einige Häuser entfernt wohnte“, schreibt Helmut Thielicke. „Ehe sie mich zum Ausgehen an die Hand nahm, überzeugte sie sich erst, ob keine ausgeblasenen Eier an ihrem Schornstein zu sehen waren, denn die bildeten für sie ein Zeichen, dass ‘Käselenchen’ gegen irgendwen Unheil brütete.“

Friedrich Thielicke in seinem Garten am Kirchweg 6. Der Rechnungsrat am Amtsgericht Hilchenbach ist der Großvater des evangelischen Theologen Helmut Thielicke.
Friedrich Thielicke in seinem Garten am Kirchweg 6. Der Rechnungsrat am Amtsgericht Hilchenbach ist der Großvater des evangelischen Theologen Helmut Thielicke. © Privat | Privat

Der Rechnungsrat und Tante Hedwig

Der Justizbeamte Friedrich Thielicke wohnte in Hilchenbach zunächst in einem Haus an der Ferndorfstraße und dann am Markt. Vater Gottlieb, von Wörlitz nach Bad Laasphe gezogen, war von Beruf Kammerlakai, fürstlicher Hofgärtner und Fronschreiber. Als Witwer heiratete Friedrich Thielicke seine zweite Ehefrau Hedwig, die Friedhelm W. Busch in seinem Buch über Hilchenbach als „sehr originelles Ehepaar“ beschreibt: „Vom Scheitel bis zur Sohle, alles in stilechter Mode anno 1900. Mit weißen Schnürstiefelchen, geschnürter Taille und Florentiner-Hut, gekrönt mit einem weißbunten Sonnenschirm.“ Ihr Stiefenkel Berthold Thielicke folgert in einem Brief an Dr. Peter Neuhaus: „Tante Hedwig muss ein Original gewesen sein, das die Grenzen der damals sehr engen Gesellschaft gesprengt hat.“

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Nach Hilchenbach: 1966 wird das Haus verkauft

Sohn Reinhard, der sieben, bis auf eine Schwester früh verstorbene Geschwister hatte, besuchte in Hilchenbach das Lehrerseminar – das übrigens, wie Dr. Peter Neuhaus auch noch erfährt, von 1900 bis 1908 von einem Großonkel Marie-Luise Thielickes, der Ehefrau des berühmten Theologen, geleitet wurde. Reinhard wohnte schon in Barmen, als Helmut 1908 zur Welt kam.

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Ihm bescheinigte der Sohn später, durchaus distanziert, eine „Neigung zum Übertreiben“ und einen „gewissen Überschuss an Phantasie“. Wozu auch das Urteil des Schulrats passt, der Reinhard Thielicke bei seinem Gastspiel an der Volksschule in Grund einer Revision unterzog: „Geographie von Preußen ungenügend, sie ist über der derzeitigen Betrachtung fremder Erdteile ganz vernachlässigt.“ Aus dem Archiv konnte Reinhard Gämlich belegen, dass der Junglehrer von 1902 bis 1905 nicht mehr in den Kirchweg eingezogen ist, sondern im Jung-Stilling-Dorf Grund wohnte: Lehrer hatten „Residenzpflicht“. Das Haus am Kirchweg wurde nach dem Tode Reinhard Thielickes im Jahr 1966 verkauft.

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