Hilchenbach. Für Dokumente vor 1960 gibt es nur ein einziges maschinenschriftliches „Findbuch“. Wenn das weg ist, hat nicht nur die Archivarin ein Problem.
Die Bauakte für den Dampfkessel des Gerbereibesitzers August Klein in Hillnhütten von 1884 bis 1896? Die Personalakte der Schulreinigerin in Grund von 1937 bis 1939? Die Vergütung für die Handarbeitslehrerinnen an der Volksschule in Allenbach von 1933 bis 1951? Die Jahresrechnungen der Stadt Hilchenbach von 1800 bis 1914? Wenn jemand darüber etwas wissen will, sucht er im Stadtarchiv. Fündig wird er aber so ohne weiteres nicht. Denn zu diesen Aktenkartons im Keller der Wilhelmsburg führt kein Katalog. Nichts, was man per Schlagwort von einem Rechner suchen lassen könnte.
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Der Auftrag: Erfassen
Die 3541 Akten aus dem „Altbestand“ vor 1960 sind nur in einem „Findbuch“ erschlossen: maschinenschriftlich mit einer Zeile je Dokument, aus dem Überschrift und Jahreszahl hervorgehen. Auf insgesamt 122 Seiten. Die es genau einmal gibt. Beziehungsweise zwei Mal: ein sorgsam geschontes Exemplar. Und eins, mit dem gearbeitet wird.
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Seit gut einem Monat ist Milan Nikolic dran. Bis Ende September wird der 34-jährige Historiker aus Hilchenbach das Findbuch mit dem Archivprogramm „ActaPro“ digital machen. Mit Stichworten – so dass jemand, der „Friedhof“ sucht, auch zum „Begräbnisplatz“ findet. Und von „Steuer“ zu „Kanon“, dem an den Landesherrn zu entrichtenden Landeszins. Vier Monate wird Milan Nikolic mit seiner 22-Stunden-Stelle brauchen, um alle Dokumente zu erfassen, hat Stadtarchivarin Verena Hof-Freudenberg ausgerechnet: 10 Akten pro Stunde. Und dann wären noch einmal vier Monate Zeit, um im Keller zu recherchieren. „Zumindest einmal reinzuschauen, was überhaupt drin steht.“
Ein Beispiel: Entdecken
Zum Beispiel die „Zeichnung zur Spritzenremise u. Preister-Bach-Überwölbung“ von 1897, das Feuerwehrgerätehaus, das in etwa da stand, wo heute das Rathaus steht. Oder das Statut zur „Verwaltung des Armenwesens der Stadt Hilchenbach“. Alles handschriftlich, für heutige Generationen nicht mehr zu entziffern. Milan Nikolic hat die Kurrentschrift im Studium gelernt, ziemlich schnell, erzählt er. Schließlich ist er mit kyrillischer und lateinischer Schrift zugleich groß geworden. „Das bildet im Kopf, so, wie man mehrere Sprachen kennt.“ Allerdings ist auch jede Handschrift anders. „Die Autoren ändern sich immer wieder. Das macht’s dann doch schwierig.“
Das Ziel: Retten
Vier Teile hat das Findbuch, das Friedrich Klein, der Vor-Vorgänger von Verena Hof-Freudenberg, erarbeitet hat: die Akten des Fleckens, der Munizipalität und der Stadt Hilchenbach von 1726 bis 1919, die Akten des Kirchspiels und Amtes Hilchenbach (später: Amt Keppel) aus dem 19. Jahrhundert, der Bestand von 1. Weltkrieg bis 1943, als die Verwaltungen von Stadt Hilchenbach und Amt Keppel zusammengelegt wurde, und die Akten von Amt und Stadt bis 1960. Mit dem neuen Katalog werden also die Akten vor 1960 erschlossen. Wozu? Nicht nur zum Nachblättern, zum Beispiel für Historiker, Vereinschronisten und Familienforscher. Sondern auch, um die historischen Dokumente überhaupt zu retten. Denn die Voraussetzung dafür, dass die Bestände auf Mikrofiches verfilmt und haltbar gemacht werden („Bundessicherungsverfilmung“), ist das digitale Findbuch. Denn die „Massenentsäuerung“ von 40.000 Akten, die von Säure zerfressen werden, könnte nicht schnell genug sein: „Da sind wir schon seit zehn Jahren dran“, sagt Verena Hof-Freudenberg. 230 Kilo pro Jahr sind drin, mehr nicht.
Schöner suchen
Den „WissensWandel“ hat Birgit Latz, die Leiterin der Stadtbücherei, entdeckt. Sie setzt 14.000 Euro Fördermittel für einen neuen Online-Katalog ein, der das alte „GoLibri“ ablöst: „Der war nicht mehr zeitgemäß.“
Im neuen Katalog können rund 4000 Nutzerinnen und Nutzer den Bestand von 40.000 Medien durchstöbern, sehen, ob das Buch oder die CD im Regal steht oder ausgeliehen ist, ihren Wunsch vormerken und die Leihzeit ihrer ausgeliehenen Medien verlängern.
Für „Schöner suchen“ – so heißt das Projekt – wird die Bücherei für eine Woche, vom 16. bis 21. Mai, geschlossen, damit die Daten wandern können.
Milan Nikolic, sonst freiberuflich als Dozent in Berufsbildungsmaßnahmen und Integrationskursen unterwegs, findet seinen Auftrag spannend: Er lernt eine Menge über seine Stadt, was auch andere nicht wissen – dass es eben zu Beispiel nicht nur den Galgenberg gibt, sondern auch noch eine andere Ecke in der Stadt, die „Gallenberg“ heißt. „Da hat sich der Archivar nicht verschrieben.“ Im Ernst: „Ich könnte mir schon vorstellen, das Archiv ins 21. Jahrhundert zu heben.“ Und darum geht es letztlich: Der Deutsche Bibliotheksverband hat „WissensWandel“ als Digitalprogramm für Bibliotheken und Archive aufgelegt. „Klick durch die Zeit – das Online-Findbuch des Stadtarchivs Hilchenbach“ wird mit rund 20.000 Euro gefördert, aus dem Topf, den der Bund für den „Neustart Kultur“ mit Geld gefüllt hat.
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Eine Niederlage: Verlieren
Zu den Dokumenten, die im digitalen Katalog und auf Mikrofiche zumindest für eine kleine Ewigkeit hätten gesichert werden können, gehört natürlich zuallererst der Freiheitsbrief von 1687, in dem Fürst Wilhelm Moritz Hilchenbach die Fleckenrechte verlieh. Hätte. Ja, notiert Archivar Friedrich Klein 1973, es gibt einen Aktenbestand, der den großen Stadtbrand von 1844 überlebt hat. Und den „Hinweis darauf, dass das Original der Fleckenurkunde in ‚einem hölzernen Kästchen‘ ein Raub der Flammen wurde“. So etwas soll nicht wieder passieren.
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