Siegen. Größtes Infrastrukturprojekt der deutschen Gaswirtschaft seit 2. Weltkrieg in Siegen erfolgreich angelaufen. Was das mit der Ukraine zu tun hat:

Das größte Infrastrukturprojekt der deutschen Gaswirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg ist bislang erfolgreich angelaufen, auch in Siegen. In Zeiten, in denen viel über die Abhängigkeit von russischem Gas diskutiert wird, keine Kleinigkeit – und auch kein unwesentlicher Baustein der künftigen Energieversorgung. Es geht um die Umstellung von L- auf H-Gas, das nach einem ersten Schalttermin, den die Siegener Versorgungsbetriebe SVB erfolgreich über die Bühne brachten, nun sukzessive das Netz füllt.

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Vor einigen Jahren beschlossen die Niederlande, aus der Gasproduktion auszusteigen, erläutert SVB-Geschäftsführer Thomas Mehrer: In der Provinz Groningen liegt eines der größten Gasfelder Europas, mit Deutschland als größtem Abnehmer. Weil die Förderung den Boden zunehmend instabil werden ließ – vergleichbar den im Ruhrgebiet und auch im Siegerland bekannten Bergschäden – und es auch zu kleineren Erdbeben kam, die Bevölkerung sich beschwerte, wurde das Risiko mit der Zeit zu groß. Deutschland musste sich Alternativen suchen, im Norden und Westen wird überwiegend L-Gas benutzt. Eigene Vorkommen gibt es, die reichen aber nicht aus, um den Ausfall zu kompensieren. Das Erdgas muss von anderen Produzenten, daneben auch Skandinavien und natürlich Russland, kommen – unter anderem aus dem arabischen Raum oder Fracking-Gas aus den USA.

Das Großprojekt ist für die Siegener Versorgungsbetriebe SVB noch nicht abgeschlossen

Dabei handelt es sich um sogenanntes „H-Gas“. Auswirkungen auf den Verbrauch hat es nicht, wie Thomas Mehrer betont, aber auf die Infrastruktur: Die Geräte müssen auf die andere Qualität ausgerichtet werden, die Düsen, aus denen das Gas strömt, vor allem. Mit dieser Anpassung sind die SVB seit Januar beschäftigt, es geht um zehntausende Geräte.

Unterschiede

L -Gas steht schlicht für „low calorific gas“ – also mit niedrigerem Brennwert.

H -Gas heißt entsprechend „high calorific gas“ – mit höherem Brennwert. Es hat einen höheren Methan-Anteil, bei der Verbrennung wird mehr Energie freigesetzt.

Und das Projekt ist nicht abgeschlossen. Eine bestimmte Gerätezahl ist nun umgestellt, ein zweiter Schalttermin für Ende April geplant, auch danach werde es noch Anpassungen geben, kündigt der Geschäftsführer an. Das Gasnetz mit seinen verschiedenen Druckstufen kann man sich vorstellen wie das Straßennetz: Die europäischen Pipelines sind die Fernstraßen – und die SVB betreuen gewissermaßen die Siegener Straßen. „Wir betreiben eine hochgradig komplexe Infrastruktur, die sehr stark reguliert ist und in der viele Rädchen ineinander greifen“, sagt Mehrer.

Das Gas legt bis Siegen eine lange Strecke zurück

Die Produzenten – bislang eben vorwiegend Russland, Skandinavien, die Niederlande – speisen das Gas, etwa aus den sibirischen Feldern, in die Pipelines, Nord Stream zum Beispiel. Bis zur Landesgrenze. Dort „übernimmt“ das deutsche Ferngasnetz, der Druck wird weiter heruntergeregelt, bis das Gas bei den SVB in der niedrigsten Druckstufe landet und an die Haushalte geliefert wird. Jede Übergabestation muss die Unterschiede ausgleichen und regulieren – in Siegen geschieht das zum Beispiel in einer großen Anlage auf dem Lindenberg.

Künftig wird es mehr um Gas gehen, das für den Transport durch Herabkühlen verflüssigt wurde – weil es keine Pipelines von den Produktionsstätten in Übersee nach Europa gibt. Mit Schiffstankern wird das Gas angelandet, erwärmt und damit wieder gasförmig und ins deutsche Netz eingespeist, „im Grunde nichts anderes“, sagt Mehrer. Zur Versorgung braucht es eben spezifische Drücke, je nach dem, ob Haushalte oder Chemieriesen an der Düse hängen. Ist weniger oder kein Gas im Netz, sinkt der Druck.

Komplizierte Infrastruktur für Gasversorgung in Siegen betreiben

Darüber macht sich die deutsche Energiewirtschaft im Ukraine-Krieg intensiv Gedanken – die SVB aber importieren kein Gas, sondern betreiben die Infrastruktur vor Ort. „Wir kaufen bei Vorlieferanten, die kaufen bei Anbietern an den Handelsplätzen“, erklärt Thomas Mehrer – und auch die Lieferanten selber hätten keine Erzeugungshoheit. Der Informationsfluss mit der verantwortlichen Bundesnetzagentur funktioniere.

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Aufgabe der deutschen Gaswirtschaft ist es nun, Gas aus anderen Quellen als aus Russland ins System zu holen und einzuspeichern – der russische Staatskonzern Gazprom, dem die Speicher gehören, dürfte die Situation von langer Hand vorbereitet und die Speicher gezielt nicht gefüllt haben, vermutet SVB-Chef Mehrer. Vor allem mit Blick auf den nächsten Winter muss also wieder eingespeichert und dazu nach alternativen Quellen gesucht werden – auch ein gewaltiges Infrastrukturprojekt für die deutsche Gaswirtschaft.