Siegen. Seit 1989 begleitet Ulrich Schloos den Austausch zwischen Siegen und Brjansk im Westen Russlands. Der Krieg droht, alle Mühe zunichte zu machen.
„Die hatten richtig Dampf drauf“, erinnert sich Ulrich Schloos. Das Folklore-Ensemble „Makoscha“ aus Brjansk in Russland hatte der damalige Lehrer des Abendgymnasiums 1996 auf einer Studienfahrt in die Stadt im Westen Russlands kennen gelernt. Bereits da hatte die Musikertruppe bleibenden Eindruck hinterlassen, auch auf Ulrich Schloos: „Da haben wir gesagt: Wollt ihr nicht mal nach Deutschland kommen?“ Und das taten sie.
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Ein Jahr später, im Sommer 1997, kommt das Ensemble nach Siegen und absolviert eine Reihe Auftritte. Die russischen Kostüme und fremd klingenden Harmonien sind dem Siegener besonders im Kopf geblieben: „Die haben eine richtige Show hingelegt“, erinnert sich Ulrich Schloos sichtlich bewegt.
Breites Bündnis in Siegen treibt Friedensbemühungen voran
Seit den 1980er Jahren setzt sich pensionierte Lehrer für die Abrüstung und Verständigung zwischen West und Ost ein. Grundlage dieser Bemühungen, sagt der Siegener, ist die Ostpolitik des Bundeskanzlers Willy Brandt sowie die Politik der Annäherung der Sowjetunion unter Präsident Michail Gorbatschow gewesen. „Da wurde immer mehr möglich“, sagt Ulrich Schloos. „Wir haben die Früchte dieser Politik geerntet.“
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Die Bemühungen seien nicht von Parteipolitik geprägt gewesen. Die „Arbeitsgemeinschaft Siegerländer Friedensbewegung“, dessen Sprecher und Koordinator Ulrich Schloos war, war ein Zusammenschluss unterschiedlicher gesellschaftlicher, politischer und kirchlicher Gruppen. Ansprechpartner für das Siegerländer Bündnis war das „Sowjetische Friedens-Komitee“. Der gemeinsame Wunsch liegt darin, sich „auf Augenhöhe kennenzulernen“, erläutert der ehemalige Lehrer.
Besuche in Siegen und Brjansk
Der erste Austausch zwischen Siegen und Brjansk findet 1989 statt. Eine dreiköpfige Delegation aus Minsk und Brjansk reist damals ins Siegerland, um an den ersten „Deutsch-Sowjetischen Friedenswochen“ teilzunehmen. Der Gegenbesuch in Brjansk folgt ein Jahr später. Es entsteht ein enger Austausch zwischen Brjansk und Siegen, der aus gegenseitigen Besuchen von Studentengruppen besteht. Das Besondere, betont Ulrich Schloos, sei, dass alle Studierenden privat untergebracht waren. Partys wurden gefeiert: „Es war eine herzliche, freundliche Stimmung“, sagt Schloos. „Es war nicht politisch überfrachtet.“
Auch Betriebspraktika für sieben junge Russinnen und Russen organisiert Ulrich Schloos. Natali Naida, die Landschaftsbau studiert hat und 1992 das Praktikum bei der Firma „Hering Bau“ in Burbach absolviert, „hatte eine schöne Zeit“, erinnert sich der ehemalige Lehrer: „Junge Frau, blond; sie ist ständig zum Eisessen eingeladen worden.“ Der Wert dieses Praktikums für die jungen Menschen aus Russland sei, dass sie „einen Einblick in eine Arbeitswelt gewonnen haben, die vollkommen anders ist“. Heute, sagt Schloos, habe Natali Naida eine leitende Stelle im Arbeitsamt in Brjansk. Ab den 2000er Jahren beschränkt sich der Austausch zwischen Siegen und Brjansk auf Vorträge in der Universität.
Siegen: Bemühungen um Russisch-Deutsche Freundschaft in Gefahr
Enge Freundschaft
Bei allen gegenseitigen Besuchen von Anfang an dabei: Vera Artjomova, damals Professorin in Brjansk; als Dolmetscherin hat sie alle gegenseitigen Besuche begleitet. Nach vielen Jahren der gemeinsamen Arbeit für die Deutsch-Russische Freundschaft verbindet Vera Artjomova und Ulrich Schloos eine tiefe Freundschaft.
2014 besucht der Siegener die Russin privat. Sie nimmt Schloos mit zu ihrer Datscha. Vera Artjomovas ein Jahr zuvor verstorbener Ehemann hat die Datscha nicht mehr fertig bauen können. Ulrich Schloos fasst einen Entschluss: „Ich habe ihr gesagt: ‘Vera, wir machen das fertig’. Jetzt ist die untere Etage fertig.“
Doch das Ergebnis all der Jahre des Engagements für die Verständigung zwischen Deutschen und Russen sieht Ulrich Schloos jetzt gefährdet: „Dieser Krieg hat all meine Arbeit mit einem Mal möglicherweise kaputtgemacht.“ Man könne durchaus, sagt er, die Entwicklung nachverfolgen, die zum Krieg führte. Über die Jahre, sagt Schloos, habe er über die Mentalität der Russen einiges gelernt: „Ein großes Herz, aber sie sind empfindlich, wenn man ihrer Lebensart keinen Respekt entgegen bringt.“ Einen großen Fehler westlicher Politik sieht der Siegener in ihrer ‘Siegerpose’ nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.
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Dennoch ist für Schloos klar: „Dieser Angriff ist ein Akt, der durch nichts zu rechtfertigen ist.“ Nachdem in den vergangenen Jahren bereits viele Veranstaltungen aufgrund der Corona-Pandemie ausgefallen seien, sieht er auch die für Oktober geplante Konferenz in Brjansk in Gefahr. Er sei eingeladen und möchte hin, betont Ulrich Schloos. Dennoch: „Ich fahre dieses Jahr wohl nicht und werde es möglicherweise nie wieder.“ Das hänge davon ab, wie sich die Lage in den kommenden Monaten entwickle. Das Interesse am Austausch zwischen Siegen und Brjansk, betont der Siegener, sei auf jeden Fall noch da: „Wir bleiben dran. Für ‘unser gemeinsames Haus Europa’.“