Siegen. „Wie bei einem Elfmeter. Das Bein war gestreckt“, sagt ein Zeuge vor dem Siegener Landgericht. Der Beamte blutete aus allen Öffnungen am Kopf.

Ein Jahr und sieben Monate wegen gefährlicher Körperverletzung, falscher Beschuldigung und einem Verstoß gegen das Waffengesetz – das war das Urteil gegen einen jungen Mann aus Dortmund am 23. September 2021 vor dem Siegener Amtsgericht. Mit Bewährung. Der inzwischen 27-Jährige Täter hatte im Juli 2019 einem Polizeibeamten aus vollem Lauf ins Gesicht getreten und diesem dabei den Kiefer gebrochen. „Wie bei einem Elfmeter. Das Bein war gestreckt“, beschreibt ein Zeuge am Freitag, 25. Februar, die Szene vor einer Diskothek in Geisweid im Saal 183 des Landgerichts.

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Dort wird die Sache noch einmal verhandelt, weil die Staatsanwaltschaft noch am Tag des Urteils Rechtsmittel eingelegt hatte. Die Strafe sei nicht ausreichend für das Ausmaß der Rechtsverletzung, hat die Anklagebehörde gerügt. Das Amtsgericht hatte keine ausreichenden Beweise dafür gesehen, dass der Täter Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet und mit seiner Tat zudem noch eine Gefangenenbefreiung vorgenommen hatte. Das sieht die Staatsanwaltschaft anders, deren Berufung sich ausdrücklich auch gegen die Bewährung richtet.

Angeklagter vor Siegener Landgericht: Polizist nur als dunkle Figur wahrgenommen

Die Hauptverhandlung vor der 3. kleinen Strafkammer ist auf zwei Tage angesetzt, und schon am ersten wird deutlich, dass es mit der Beweislage weiterhin schwierig aussieht. Der Angeklagte R. bleibt bei seiner Aussage von 2021, dass er den Geschädigten als dunkle Figur wahrnahm, die auf dem Rücken seines Freundes hockte, dessen Hilferufe er kurz davor gehört hatte. Er selbst sei von mehreren Fremden über den Parkplatz gehetzt worden, sei verängstigt und in Sorge um seinen Freund gewesen. „Ich wollte den von ihm runter treten“, gibt er den Vorfall im Kern zu. Allerdings sei das eine spontane Entscheidung gewesen, ohne die Absicht den ihm Unbekannten ernsthaft zu verletzen: „Ich habe auf seine Schulter gezielt.“

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Der junge Mann, nicht vorbestraft, hat die Operationskosten seines Opfers sowie dessen Verdienstausfall in Höhe von 12.000 Euro übernommen. Vor zwei Wochen habe er zudem 8000 Euro Schmerzensgeld überwiesen. R. will vor allem weder das Eintreffen der Polizei wahrgenommen noch sein Opfer als Polizisten erkannt haben. Das sei ihm erst nach der Festnahme im Polizeiwagen bewusst geworden. Da habe er Angst bekommen und die Tat zunächst bestritten, auf einen anderen geschoben.

Polizist erleidet bei Tritt-Attacke in Siegen doppelten Kieferbruch

Der Geschädigte, ein 36-jähriger Polizist, der seinen Dienst inzwischen in Köln verrichtet, hat keine Erinnerung an den Vorfall. Der Mann erlitt einen doppelten Kieferbruch, musste insgesamt dreimal operiert worden und hat bis heute „eine taube Stelle am Kinn“. Allerdings verlief alles im Vergleich immer noch „günstig“ ab: Er war nur einige Wochen krankgeschrieben und konnte dann schon wieder Innendienst machen. Auf seine Arbeit habe die Erfahrung sich nicht ausgewirkt. „Glücklicherweise“, betont er, und setzt sich dann neben seine Anwältin, die ihn als Nebenkläger unterstützt.

Im März geht es weiter

Weitere Zeugen und dann wohl auch die Schlussvorträge stehen am 10. März auf dem Verhandlungsplan im Landgericht Siegen.

Der Angeklagte war mit zwei Kumpels von Dortmund nach Siegen gekommen, dort mit anderen in Streit geraten und aus der Diskothek verwiesen worden. Es gab einen Streit um eine Frau zwischen deren Ex- und dem aktuellen Freund. Auf dem Parkplatz sei es weitergegangen, will R. gejagt worden sein. Sein Freund K. der vom Geschädigten niedergeworfen und fixiert wurde, beteuert seinerseits, von diesen Geschehnissen nichts mitbekommen zu haben. Ein Fremder hätte ihn plötzlich von hinten gepackt und auf den Boden gedrückt, sich auf ihn gesetzt. Dann sei die Last plötzlich weggewesen, er schnell aufgesprungen und weggelaufen. Auch er will die Identität des vermeintlichen Angreifers als Beamter nicht erkannt haben. Ebenso wenig war ihm bewusst, dass sein Freund R. für die „Erleichterung“ verantwortlich war.

Türsteher der Siegener Disko verfolgt und schnappt Täter nach Attacke auf Polizisten

Ein Türsteher hat den gesamten Vorfall beobachtet. Die Polizisten seien in Zivilwagen und nicht in Uniform gekommen, nachdem sein Chef sie gerufen hatte. Mehr als 30 Leute seien auf dem Außengelände in Streitigkeiten und Ähnliches verwickelt gewesen. Der Geschädigte habe allerdings eine Polizeiweste getragen und auch laut „Polizei“ gerufen. Er selbst habe sofort gewusst, dass es sich um einen Beamten handele. Der Zeuge kann aber nicht mit Sicherheit sagen, ob dies dem Angeklagten auch möglich gewesen sei. Er hat diesen beobachtet, wie er mit Anlauf ankam und gegen den Kopf des Polizisten trat.

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Er selbst habe den Täter dann verfolgt und geschnappt. Der habe sich nicht gewehrt, aber immer „Ich war es nicht“ gerufen. „Traurig. Das war alles einfach traurig“, klagt der 42-jährige Zeuge, der sich erinnert, wie der Verletzte stark aus allen Öffnungen des Kopfes blutete, benommen war und immer nach seinen Kollegen verlangte, denen er doch helfen müsse. „Das war Feierabend. Der steht nicht so schnell wieder auf“, sei ihm klar gewesen. Allerdings beklagt er sich auch darüber, am nächsten Tag verhört und selbst fast wie ein Beschuldigter unter Druck gesetzt worden zu sein. Nicht erinnern will er sich an einen Hilferuf des Angeklagten, der sich seinerseits an die Türsteher gewandt haben will, als er von der Gegenpartei gejagt wurde.