Siegen. Kann das, was in Essen passiert ist, auch in Siegen geschehen? Wir haben Fachleute gefragt – hier sind Antworten.

In Essen brennt in einer Sturmnacht ein ziemlich neues Mehrfamilienhaus völlig aus. Kann das auch in Siegen passieren?

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Das sagt der Brandschutzingenieur

Reiner Hebbinghaus zitiert am Ende des Gesprächs aus einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts: Dass ein Gebäude in der Vergangenheit nie gebrannt hat, ist keine Garantie für die Zukunft – und eigentlich sei es ein Glücksfall, n i c h t von einem Feuer heimgesucht zu werden. Der beim Bauamt des Kreises Siegen-Wittgenstein tätige Brandschutzingenieur darf sich mit solchen philosophischen Betrachtungen nicht zufrieden geben. Er ist ganz am Anfang der Kette zuständig – an der Stelle, wo ein Bau genehmigt wird, kommt von ihm die brandschutztechnische Stellungnahme. Die fußt auf der Bauordnung, die wiederum zum Beispiel die zugelassenen Baustoffe nennt: „Das wird auch kontrolliert.“ Andererseits: „Es gibt immer Möglichkeiten, wo ein Brand entstehen kann.“ Dann zahlen sich bauliche Vorkehrungen aus, das Feuer zu begrenzen, zum Beispiel auf einzelne Wohnungen, und so eine Zerstörung des gesamten Gebäudes zu verhindern.

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Das sagt die Feuerwehr

Kreisbrandmeister Bernd Schneider, selbst Vize-Vorsitzender des Verbandes der Feuerwehren in NRW, hält sich zurück, „solange ich nicht weiß, was passiert ist. Da kursieren eine Menge Spekulationen.“ Lag es am Dämmmaterial, hätten die Balkone mit Glas statt mit Plexiglas verkleidet werden müssen, haben Bewohner Fehler gemacht? Die Feuerwehr sieht so manches, wenn sie zu den regelmäßigen Brandschauen bei größeren Gebäuden mitgeht: zugestellte Flure, offen zugängliche brennbare Stoffe – das wird natürlich beanstandet. „Aber wenn das zwei Wochen später wieder da steht, sagt niemand etwas.“ Irgendwann im Jahr wird wieder Unkraut abgeflämmt, auf dem Balkon der Holzkohlegrill angezündet: Es gibt viele Möglichkeiten, Risiken zu vergrößern. Dass jemand abends einfach immer wieder die Haustür abschließt, „kontrolliert natürlich niemand“, sagt Bernd Schneider. Dann fällt das erst auf, wenn es brennt und die Feuerwehr die verschlossene Tür aufbrechen muss. Aber solche Brandschauen, sagt Sven Kosch, Sprecher der Siegener Feuerwehr, sind erst bei Gebäuden ab 21 Metern Höhe, also ab sieben bis acht Etagen, verpflichtend: „Sonst ist das Sache des Eigentümers.“

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Das sagt die Stadt

Am besten wäre es, wenn ein Brandstifter oder der Sturm für das Feuer in Essen verantwortlich zu machen wäre. Denn dann, so Stadtbaurat Henrik Schumann, erschiene das Geschehen erklärbar. „So ist die Verunsicherung groß.. Das Gebäude war neu und nach allen Regeln gebaut.“Schumann erinnert an das Feuer 2017 im Grenfell Tower, einem 24-geschossigen Wohnhaus in London. Damals sei schnell klar gewesen, dass ein verwendeter Baustoff die Ausbreitung des Feuers begünstigt hat. „Innerhalb kurzer Zeit wurden daraufhin sämtliche Hochhäuser untersucht.“ So eindeutig sind die Nachrichten aus Essen bisher nicht. „Wenn es an einem Baustoff liegt, wird das überall Folgen haben.“ Henrik Schumann weist darauf hin, dass auf den Balkonen in Essen viel Plastik verbrannt ist: nachhaltiger, an Stelle von Holz verwendeter Bodenbelag. „Die Materialien sind alle erlaubt, sie werden natürlich von allen verwendet. Vielleicht muss man darüber noch mal nachdenken?“

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Das sagt der Vermieter

„Ein Fall wie in Essen könnte bei uns nicht vorkommen“, sagt Daniel Aktas, Geschäftsführer der Kreiswohnungsbau und Siedlungsgesellschaft mbH (KSG). Das kommunale Wohnungsunternehmen habe rund 1600 Wohnungen im eigenen Bestand und etwa doppelt so viele in Fremdverwaltung. In Essen seien nach derzeitigem Kenntnisstand mehrere Faktoren zusammengekommen. Einer war die Außenverkleidung, und „wir haben in der Vergangenheit wenig bis gar nicht auf solche Dämmstoffe gesetzt“, erklärt Daniel Aktas. Die KSG habe stattdessen Materialien wie Steinwolle genutzt, vor allem aber bei Neubauten hochdämmende Steine verwendet. Ein Grund dafür sei der Lebenszyklus des Materials: Dämmstoffe wie die in Essen müssten nach circa 40 Jahren entfernt und speziell entsorgt werden, und „wir bringen an Außenfassaden keinen Sondermüll an. Wir verzichten für gewöhnlich auf Styropor.“

Abriss droht

Der Wohnkomplex in Essen geriet aus noch ungeklärten Gründen in der Nacht zu Montag in Brand.

Drei Menschen erlitten Rauchgasvergiftungen. Rund 100 Personen sind in dem Objekt mit 50 Wohneinheiten gemeldet.

Nach derzeitigem Stand muss das Gebäude abgerissen werden.

Noch sei nicht genau klar, wie es zu der Katastrophe in Essen kommen konnte, sagt der KSG-Geschäftsführer. Er gehe davon aus, dass die Bauherren dort sich an die geltenden Vorgaben gehalten hätten. Für Gebäude seien Brandschutzkonzepte vorzulegen, die ein Übergreifen von Bränden von einer Wohnung auf eine andere verhindern sollen, außerdem von einer Etage auf die andere. Für letztere werden sogenannte Brandschwellen eingebaut. „In Essen kam aber der starke Wind hin“, sagt der KSG-Geschäftsführer – und damit möglicherweise verstärkter Funkenflug.

Die Ergebnisse der Brandermittlungen blieben abzuwarten. Daniel Aktas hält aber nicht für ausgeschlossen, dass die Verkleidung der Balkone suboptimal gewählt gewesen sein könnte – denn die seien den Bildern nach zu urteilen teilweise regelrecht weggeschmolzen. Generell sei es Mietern untersagt, mit offenem Feuer auf den Balkonen zu agieren. Grillen beispielsweise ist damit verboten.

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