Kreuztal/Köln. Katharina Afflerbach hat Marketing für Kreuzfahrten gemacht - ein Job für Bilderbuchwelten. Der 13. Januar 2012 hat auch ihr Leben verändert.

Am 13. Januar 2012 kollidiert das Kreuzfahrtschiff Costa Concordia im Mittelmeer vor einem Felsen der Insel Giglio. 32 Menschen sterben, unter ihnen zwölf deutsche Staatsangehörige. Das Unglück vor zehn Jahren hat auch für Katharina Afflerbach die Sicht auf das Leben verändert – die gebürtige Kreuztalerin hat damals als Mitarbeiterin der Reederei die überlebenden Passagiere und die Angehörigen der Opfer betreut.

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„Bergsommer“ heißt das Buch, das 2019 erscheint und in dem Katharina Afflerbach erzählt, „wie mir das Leben auf der Alp Kraft und Klarheit schenkte“ -- so steht es im Untertitel des Erfolgsbandes, der von drei Sommern bei einer Bergbauern-Familie in der Schweiz erzählt und von einem beruflichen Neuanfang als selbstständige Marketingberaterin. Der Sommer 2014 wurde ihr erster Bergsommer. Denn den Dienst bei der Reederei hat sie noch am Ende des Unglücksjahrs 2012 quittiert. Nicht wegen der Katastrophe, betont sie. „Aber das Unglück hat etwas beschleunigt.“

Wie Katharina Afflerbach ihren Job über Nacht verändert

Bis zum 13. Januar 2012 war die heile Welt Katharina Afflerbachs berufliches Thema: erst bei den Viking-Flusskreuzfahrten in Köln, dann ab 2011 eine Nummer größer in der Hamburger Niederlassung des internationalen Kreuzfahrt-Riesen Costa: Marketing – das hieß: schöne Bilder von der Welt verbreiten und den Menschen, die diese Welt auf Traumschiffen durchkreuzen. So wie die knapp 4300 Menschen auf der Mittelmeer-Kreuzfahrt, die an jenem Freitagabend mit der Concordia in Civitavecchia abgelegt hatten und nie an ihrem nächsten Hafen, in Savona ankommen sollten.

Der Samstag, erinnert sich Katharina Afflerbach, war An- und Abreisetag: „Die neuen Passagiere saßen alle schon auf gepackten Koffern.“ Ihnen abzusagen, war die erste Aufgabe. Und dann: die Werbung stoppen. Die Kreuzfahrt-Spots sollten auf keinen Fall vor der Tagesschau laufen, „das wäre schauerlich gewesen.“ Drucksachen, die das Haus schon verlassen hatten, wurden in den Verteilzentren der Post gestoppt und vernichtet.

Die gebürtige Kreuztalerin Katharina Afflerbach hat vor zehn Jahren Angehörige der Opfer des Concordia-Unglücks betreut.
Die gebürtige Kreuztalerin Katharina Afflerbach hat vor zehn Jahren Angehörige der Opfer des Concordia-Unglücks betreut. © Privat | Privat

Wie die Marketing-Managerin Angehörigen der Concordia-Opfer begegnet

Die meisten deutschen Passagiere kamen in den nächsten Tagen wieder zu Hause an. Aufgabe der Marketing-Frau wurde es nun, Kontakt aufzunehmen, auf Unterstützungsangebote hinzuweisen, Hilfe zu vermitteln. „Manche haben erzählt, wie sie das Unglück erlebt haben“, berichtet Katharina Afflerbach. Andere haben das Gespräch verweigert – da war großer Schmerz, da war Wut. Einige Tage später stand fest, dass zwölf deutsche Passagiere nicht mehr zurückkommen würden. Fragen der Überführung und der Beisetzung waren zu besprechen. Und Fahrten zum Unglücksort zu begleiten, mit den Kindern der Verstorbenen, mit überlebenden Partnern oder Partnerinnen.

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Dort gab eine Gedenkfeier, es gab Momente des individuellen Abschieds in Sichtweite des Schiffswracks. Und es gab die Abende in den Hotelhallen auf dem Festland, an denen sich die Mitarbeiterin der Reederei gemeinsam mit dem Psychologen von Noah, der Nachsorge-, Opfer- und Angehörigenhilfe der Bundesregierung, für die Angehörigen bereit hielt. „Viele Familien haben sehr reserviert reagiert und den Kontakt auf das Nötigste beschränkt“, erinnert sich die damals 34-Jährige, die später, in und nach ihren Bergsommern, als kein Weg daran vorbeiführte, das Trauern als ihr eigenes Thema angenommen hat: „Heute kann ich die Reaktionen der Hinterbliebenen ganz anders nachvollziehen.“

Wie der Alltag weiter geht – und warum mit ihr nicht

Katharina Afflerbach war immer noch Marketing-Frau. Ihr Job war es, dabei mitzuhelfen, die vielen tausend Mails zu beantworten, in denen Menschen Beileid bekundeten und Fragen stellten, und die Diskussionen auf der Facebookseite der Reederei zu moderieren, die auch vor zehn Jahren schon aus dem Ruder zu laufen drohten. Und natürlich standen in dem börsennotierten Unternehmen sehr schnell Entscheidungen an, wie das Kreuzfahrt-Geschäft weiterzuführen sei. „Da wurde man zwischen den Welten hin- und hergerissen.“ Der Kontrast, der ihr vorher schon Unbehagen bereitet hatte, wurde in jenen Wochen noch fassbarer: hier die Oberfläche, der schöne Schein, der von Budgets und Strategien gesteuert wurde. Dort die Berührung mit dem wirklichen Leben. „Ich habe gemerkt, dass man auch anders arbeiten kann.“ Viel näher am Menschen. „Diese Erfahrung habe ich als extrem wertvoll empfunden.“ Und daraus Konsequenzen gezogen.

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Ein anderes Berufsleben: Nachhaltig und nahe an den Menschen

Zwischen und nach ihren Bergsommern baut Katharina Afflerbach von Köln aus ihr Büro („Ideen: Afflerbach“) als selbstständige Texterin und Konzeptionerin auf. „Ich mache immer noch Marketing.“ Kleine Hotels, kleine Reiseveranstalter sind ihre Auftraggeber. „Werte bilden das Fundament für alles, da lasse ich auch keinen mehr raus.“ Der Unfalltod ihres Bruders Florian im Jahr 2016 hat sie bewegt, Gespräche über Verluste und Trauer zu führen, die sie im vorigen Jahr in dem Band „Manchmal sucht sich das Leben harte Wege“ veröffentlicht hat. Bei manchem, so erfährt die Autorin von Leserinnen und Lesern, hat das gegen die Scheu geholfen, auf Trauernde zuzugehen. „Toll, dass das möglich geworden ist.“ Und dann gibt es noch ihre (Benefiz-) „Fondues für Life“, natürlich mit Käse aus der Schweiz, zu dem sie kleine Runden zu sich nach Hause einlädt und spannende Begegnungen ermöglicht – pandemiebedingt lässt sie im Moment aber lieber wandern statt essen.

Mittwoch im Fernsehen

Katharina Afflerbach ist am Mittwoch, 12. Januar, 18.45 Uhr, zu Gast in dem NDR-Magazin „DAS!“ Das Unglück der Costa Concordia hatte strafrechtliche Konsequenzen. Neben Mitarbeitern der Reederei und weiteren Besatzungsmitgliedern wurde der Kapitän des Schiffs unter anderem wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von 16 Jahren verurteilt. Das Wrack des Schiffs wurde 2014 geborgen.

Und die Kreuzfahrerei? „Eine tolle Art, die Welt auf besondere Weise zu entdecken“, sagt sie. Ihr Unbehagen daran wurzelt nicht in dem Unglück der Concordia vor zehn Jahren. Klimaschutz ist ein Thema, das zu nachhaltigem Reisen führt. „Ich denke aber auch an all die Menschen, die im Mittelmeer sterben“ – auf ihrer Flucht nach Europa. Die begeisterte Globetrotterin selbst bewegt sich lieber auf dem Land fort. Seit ein paar Wochen ist sie in Österreich zertifizierte Wanderführerin. Weil der Lawinenlehrgang wegen Corona ins Frühjahr verlegt wurde, darf sie vorerst nur im Sommer Gruppen in die Berge führen. Sicher ist sicher.

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