Grund. Die Reach-Verordnung der EU bringt Tattoostudios in Siegen und Umland in Schwierigkeiten: Viele Farben sind verboten. Eine Tätowiererin erzählt.

Im beschaulichen Hilchenbacher Ortsteil Grund hat vor Kurzem ein Tattoo-Studio eröffnet. Anne Skaradek (36) tätowiert in einem ehemaligen Stall gegenüber der Kapelle. Neue EU-Regelungen, gültig ab Januar, stellen die Tätowiererin aber vor große Herausforderungen: Eine Verordnung verbietet nun den Einsatz zahlreicher Chemikalien, die in Tattoo-Farben enthalten sind. „Tätowieren, wie wir es kennen, wird erst mal nicht mehr möglich sein“, befürchtet Anne Skaradek. „Ohne Farben sind Tätowierer bald arbeitslos.“ Für viele Tätowierer und Kunden sei das Verbot nicht nachvollziehbar.

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Im Prinzip gehe es bei dem Verbot um die beiden Farbpigmente „Blau 15:3“ und „Grün 7“, die in mehr als zwei Dritteln aller Tattoo-Farben verarbeitet sind. „Gerade bei den bunten Tattoo-Farben ist häufig das blaue Pigment enthalten“, erklärt die Tätowiererin aus Grund. Bis zum endgültigen Verbot der Pigmente gebe es zwar eine Übergangsfrist bis 2023, aber im Zuge der Überprüfung der Zusammensetzung der Farben seien auch andere Stoffe wie Binde- und Konservierungsmittel, die für die Konsistenz der Farbe wichtig sind, untersucht worden. „Der Anteil der Stoffe, den die Farben jetzt noch beinhalten dürfen, wurde so stark verringert, dass die Farben – so wie sie bisher zusammengesetzt sind – nicht mehr hergestellt werden können“, sagt Anne Skaradek. Diese Einschränkung betreffe jede Farbe. „Ich darf dann alle meine Restfarben wegwerfen“, sagt die Tätowiererin traurig. „Das ist alles sehr kostspielig.“

Siegen und Umgebung: REACH-Verordnung der EU verbietet zahlreiche Tattoofarben

Die Verordnung trägt den Namen „REACH“ (Abkürzung für „Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals“, zu Deutsch: „Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien“). „Die Verordnung orientiert sich an der Kosmetikbranche“, sagt Anne Skaradek. Verboten werden zahlreiche Stoffe auf chemischer Basis, „die nicht nachgewiesenerweise als unbedenklich eingestuft werden können“. Es gehe nicht um ein spezielles Verbot von Tattoo-Farben, sondern um potenziell gefährliche Substanzen.

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Bei Verstößen kann es zu hohen Geldstrafen kommen. „Die Verordnung wurde beschlossen, obwohl gar nicht nachgewiesen ist, ob die in den Tattoo-Farben enthaltenen Pigmente oder Konservierungsstoffe überhaupt in irgendeiner Weise einen nachhaltigen Schaden verursachen“, ärgert sich die Tätowiererin. Die REACH-Verordnung arbeitet nämlich nach dem Vorsorgeprinzip.

Hilchenbach: Tätowiererin Anne Skaradek aus Grund kritisiert Farbenverbot

Es habe allerdings „keine alarmierenden Vorfälle gegeben“ und die Stoffe würden seit vielen Jahren zum Tätowieren verwendet, sagt Anne Skaradek. „Alles, was man sich in seinen Körper packt, geht auch immer mit einem gewissen Risiko einher.“ Bei einer so großen Zahl von tätowierten Menschen insgesamt komme es natürlich auch mal zu einer allergischen Reaktion; laut Anne Skaradek sei dies aber höchst selten. „Ich will nicht wissen, wie viele Cremes, Lippenstifte, Haarfärbemittel oder andere Kosmetika dagegen schon schwere allergische Reaktionen verursacht haben.“

Anstrengungen erfolglos

Die Petition „Save The Pigments“ („Rettet die Pigmente“) auf dem offiziellen Portal der Europäischen Union hatte online mehr als 120.000 Unterschriften.

Sie hatte trotzdem nur bescheidenen politischen Erfolg. Auch ein Resolutionsantrag scheiterte.

Schwierig am Verbot sei auch, dass es bisher kaum geeignete Alternativen zu den Stoffen für Tattoo-Farben gebe. Im Übergangszeitraum bis 2023 sind die Hersteller nun aufgefordert, Alternativen zu entwickeln. Doch „die nun kommenden Tattoo-Farben sind potenziell unsicherer, da die Langzeitfolgen erst mal schlecht einschätzbar sind“, merkt Anne Skaradek an. Es könne also dazu kommen, dass die jahrelang verwendeten und Tätowierern gut bekannten Farben künftig durch neue ersetzt werden, die gefährlichere Stoffe enthalten. Außerdem bleibe die Frage offen, wie sich die neuen Farben in der Haut verhalten: „Werden sie halten und wenn ja: wie lange?“

Tattoo-Studio in Hilchenbach-Grund: Hälfte des Farbsortiments fällt wegen „Reach“ weg

Mit dem Inkrafttreten der Verordnung dürfen Hersteller nur noch REACH-konforme Tattoo-Farben vertreiben. „Der Farbkatalog ist nur noch halb so dick“, sagt Anne Skaradek. Die Hälfte ihres sonstigsten Farbsortiments sei weg. Farben ohne die verbotenen Stoffe werden bis jetzt nur in verschiedenen Schwarz-, Grau und Weiß-Abstufungen angeboten.

Ein Insekt, tätowiert von Anne Skaradek.
Ein Insekt, tätowiert von Anne Skaradek. © Privat

Den Grundsatz der EU-Entscheidung hält die Tätowiererin für richtig, um Gefahren zu minimieren. Die regelmäßige Auseinandersetzung mit potenziell schädlichen Farben sei vernünftig. „Es geht um Verbraucherschutz. Chemische Produkte regelmäßig zu überprüfen und nach besseren Alternativen zu suchen, ist generell immer etwas Gutes.“ Anne Skaradek ist dennoch hin- und hergerissen, denn die Kurzfristigkeit der Verordnung habe die gesamte Branche unter Druck gesetzt und das völlige Verbot der beiden wichtigen Pigmente ab 2023 sei unverhältnismäßig. Das alles sei vor dem Hintergrund zu betrachten, dass die Tattoo-Branche unter der Corona-Pandemie bereits sehr gelitten habe. „Es wirkt nicht so, als wäre der Politik bewusst, welche Auswirkungen dieses Verbot haben wird“, beklagt die Tätowiererin.

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Es gebe jetzt viele Motive, bei denen Anne Skaradek ihren Kundinnen und Kunden mitteilen muss, dass sie diese leider nicht mehr in bunt, sondern nur noch in schwarz-weiß stechen kann. „Ich glaube, da wird es viele lange Gesichter geben.“ Wenn allerdings in Zukunft Farben produziert würden, die noch haltbarer, länger in der Haut bleibend und besser verträglich seien, wäre das ein echter Gewinn. „Denn letztlich, wenn der Kunde am Ende einem geringeren Risiko ausgesetzt ist, ist das sehr erstrebenswert.“

Anne Skaradek eröffnete ihr Tattoostudio in Hilchenbach Grund erst im November

Anne Skaradek (36) ist über mehrere Ecken nach Grund gekommen, ihr Mann kommt aus Hilchenbach. Am 1. November eröffnete sie ihr Tattoo-Studio dort. Auch wenn man es zunächst nicht vermutet, sei die Nachfrage nach Tattoos dort ziemlich hoch. „Hier leben ganz viele junge Familien und einige Zugezogene.“ Viele davon seien ungefähr im selben Alter wie die Tätowiererin. „Aber auch eine Menge ältere Einwohner haben Interesse.“ Aktuell tätowiert die Besitzerin alleine in ihrem Studio. Die studierte Pädagogin ist keine ausgebildete Tätowiererin, da der Beruf nach wie vor kein Ausbildungsberuf ist.

Leuchtturm mit Blume: Ein Tattoo von Anne Skaradek
Leuchtturm mit Blume: Ein Tattoo von Anne Skaradek © Privat

Interesse an Tätowierungen habe sie schon lange gehabt. „Die bunten Bilder auf der Haut haben mich schon immer fasziniert.“ Anne Skaradek ist ein kreativer Mensch und habe schon seit ihrer Kindheit Spaß am Zeichnen. Lange hatte sie keinen Stift mehr in der Hand gehabt, aber vor fünf Jahren, während der Elternzeit, fing sie wieder an zu zeichnen. Daraufhin sei sie auf die Idee gekommen, dass Tätowieren etwas für sie wäre. „Ich habe dann ein bisschen rumgesponnen und angefangen, mich intensiver mit der Idee eines eigenen Studios zu beschäftigen.“

Anne Skaradek: „Bei vielen Tätowierern geht es um die nackte Existenz“

Als sie den Beschluss gefasst hatte, habe sie sich Zeit genommen und sich eingelesen in Vorschriften, technische Aspekte und Hygienestandards. „So ist das alles langsam rangereift, bis ich mir meine erste eigene Tattoo-Maschine bestellt habe.“ Zunächst probierte sich Anne Skaradek an Kunsthaut aus. „Das hat mir sehr viel Freude und Spaß gemacht und ich wusste: Tätowieren ist das, was ich zukünftig machen will.“

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Am liebsten tätowiert sie in ihrem Studio in Grund traditionelle Vorlagen wie Pin-Up Girls oder maritime Motive wie Schiffe, Meerjungfrauen oder Leuchttürme mit Blümchen. Anne Skaradek probiert sich aber gerne auch an Motiven wie Mandalas und Lotusblüten aus. Außerdem seien Schriften sehr gefragt.

Sie mag es, wenn es „so richtig knallt“ und tätowiert gerne mit Farbe. Das wird aber mit den Verboten ab Januar schwierig. „Ich bin der Überzeugung, dass es da bei vielen Tätowierern um die nackte Existenz geht, denn viele haben sich auf bestimmte Techniken spezialisiert.“ So gebe es Tätowierer, die auf bunte Farben für ihre Werke angewiesen seien. Sie habe bereits REACH-konforme Farben von einem österreichischen Hersteller gekauft, um wenigstens weiter in schwarz, grau und weiß tätowieren zu können.

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