Katharina Afflerbach ist in Kreuztal groß geworden. Anlass für ihr Buch ist ein Schicksalsschlag – und Enttäuschung über Menschen.

„Vielleicht ist es mit dem Tod wie mit anderen großen Lebensfragen, für die einfach nie der richtige Zeitpunkt ist.

Kreuztal. Ihr erstes Buch heißt „Bergsommer“. Ihr zweites, das am 5. September erscheint, heißt „Manchmal sucht sich das Leben harte Wege“. Der Titel ist länger, der Inhalt schwerer. Und doch haben beide Bücher miteinander zu tun. Drei Bergsommer lang verbrachte die gebürtige Kreuztalerin Katharina Afflerbach auf einer Alp in der Schweiz – für sie war es der Übergang von ihrem Beruf als Marketing-Fachfrau in eine berufliche Selbstständigkeit als Texterin und Coach. Im letzten Bergsommer, 2016, kommt ihr Bruder Florian in Siegen bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Die Trauer veranlasst Katharina Afflerbach, sich umzuhören: Wie überstehen andere Menschen ihre Verluste?

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Erfahrungen

Katharina Afflerbach kommt gerade aus der Eifel zurück, ein paar Tage lang hat sie dort geholfen, Schutt und Schlamm aus dem Weg zu räumen. „Ich war ja ein bisschen im Training, Stall ausmisten ist so ähnlich.“ Denn in die Schweiz fährt sie immer noch zu „ihrer“ Familie auf die Alp, erlebt mit ihnen Corona und Unwetter. „Die lassen mich nicht wieder gehen.“ Die inzwischen 44-Jährige hat dort auch die wohl bisher schlimmsten Wochen ihres Lebens verbracht; sie war dort, als sie vom Unfalltod ihres Bruders erfuhr. Geschrieben hat sie im „Bergsommer“ auch darüber. Trauer zum Thema eines neuen Buchs zu machen, wurde erst Jahre später möglich: „Als ich genug Abstand hatte.“

„Unglück war, wenn meine größeren Brüder mich ärgerten oder wenn ich samstagabends Wetten, dass..? nicht bis zum Schluss schauen durfte.“

Tod? Für das kleine Mädchen Katharina war das nicht mehr als ein Wort. „Ich wusste als Kind nichts davon, wie es für meine Mutter gewesen war, mit dreißig Jahren und schwanger mit mir, ihre Mama und mit achtunddreißig ihren Papa zu verlieren“, schreibt sie. „Den kindlichen Blick auf den Tod verlor ich mit vierzehn Jahren im Herbst 1991.“ Da starb Katze Minki. Als die Oma alt wurde, habe sie das „Abschiednehmen in Raten" kennengelernt. Später, als das Kreuzfahrtschiff Costa Concordia kenterte und 32 Menschen ums Leben kam, wurde es ihr Job als Marketingfrau der Reederei, den Angehörigen beizustehen. Und dann, noch einmal vier Jahre später, Florian.

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Wenn Katharina Afflerbach von jener Zeit der Trauer erzählt, spricht sie auch von Enttäuschung. Über Menschen, von denen sie mehr erwartet hätte. Die die Straßenseite wechseln oder den Müll nun erst einmal nicht hinausbringen, um die Begegnung zu vermeiden. „Ein extremer und zusätzlicher Schmerz, der eigentlich nicht sein muss.“ Sie spricht über die „Unfähigkeit von Menschen, mit dem Thema umzugehen“. Davon, „dass wir entkoppelt sind vom Tod“. Dabei zeige spätestens Corona, „dass es jeden treffen kann, aus heiterem Himmel.“ Vielleicht, so überlegt sie, kommen die Menschen gerade mehr ins Nachdenken.

Begegnungen

Katharina Afflerbach erzählt nicht nur ihre eigene Geschichte, sondern vor allem die von 13 anderen Menschen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis. Von Ines, die sie in der Selbsthilfegruppe für verwaiste Geschwister kennen lernt – ihr jüngerer Bruder Dany hat sich das Leben genommen. Von Vera, die einen der von Katharina Afflerbach bei ihr in Köln veranstalteten Benefiz-Fondue-Abende besucht und vorher den Bergsommer gelesen hat – sie hat ihre Eltern beim Sterben begleitet. Von Stephan, der beide Brüder durch Suizid verlor. Von Katja, der Freundin einer Schulfreundin, die sie auf Florians Beerdigung wiedersieht: Sie trauert um ihren Zwillingsbruder, ihre Mutter, ihren Bruder und ihren Vater. Oder von Martin, dessen Vater mit Heinrich Afflerbach, dem Vater von Katharina, die Freude an den Ro-80-Oldtimern teilte – Mutter und Bruder sterben bei einem Verkehrsunfall mit einem Geisterfahrer.

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„Ich habe mehr erfahren, als ich vermutet habe“, berichtet Katharina Afflerbach, „da sind natürlich auch Tränen geflossen.“ Niemand macht von dem Angebot Gebrauch, für das Buch einen anderen Namen zu verwenden. Niemand zieht seinen Beitrag zurück. „Sie empfanden das als Geschenk, die eigene Geschichte aus einer anderen Perspektive betrachtet zu sehen.“

Wozu dieses Buch, und für wen? „Ich möchte dazu einladen, rechtzeitig Empathie zu entwickeln.“ Denn das Mitfühlen lernt man nicht, auch nicht in der Schule, wie die Autorin selbst erfahren hat: Der Lehrer, der in ihrer Schulzeit starb, war einfach weg, ohne dass jemand ein Wort darüber verlor. Mitfühlen muss nicht ängstlich machen: „Es bringt einen wieder zurück zu dem, was Menschsein eigentlich ausmacht.“ Für den Menschen, der Trauernden nicht mehr ausweicht, ist Mitfühlen ein Gewinn: „In dem Moment, wo du etwas gibst, kommt etwas zu dir zurück.“ Etwas Schöneres als das schlechte Gefühl, das man selbst hat, wenn man ausgewichen ist, weil man meint, es fehlten die Worte. „Man kann ja nichts falsch machen.“

Sicher, sagt Katharina Afflerbach, das Buch hat sie auch für sich selbst geschrieben. „Ich bin nicht der Typ für Selbsthilfegruppen.“ Eher jemand, der immer was tun muss. Bücher schreiben, zum Beispiel, zumal da sehr nette Mails vom Publikum kommen und der „Bergsommer“, der auch in der Spiegel-Beststellerliste war, schon in der sechsten Auflage ist. Aber auch anderes. „Meine Füße scharren.“ Im Wortsinn: Gerade macht sie in Österreich die Ausbildung zur Wanderführerin. Nicht, um den einheimischen Jungs, mit denen sie die Lehrgänge besucht, das Wasser abzugraben. „Die haben mich sehr nett aufgenommen.“ Sondern für die Workshops, die sie mit den Berghotels macht, die bei ihr Kunde sind: „Die könnte ich dann mal mit einer Wandereinheit verbinden.“

„Irgendwann überqueren wir eine unsichtbare Linie und erahnen in der Ferne ein neues Ufer, mit neuen Leuchttürmen. Irgendwann spüren wir wieder den Wind auf der Haut und das Salz auf den Lippen und lächeln verträumt, wenn die Sonne das Wasser küsst. Irgendwann hören wir unsere Freunde, die uns am sich nahenden Ufer zujubeln und uns anspornen. Und wenn wir die Ohren spitzen, hören wir in dem Chor auch unsere eigene Stimme, die uns ermuntert, weiterzusegeln. Und die Narbe, die segelt mit.“

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