Siegen-Wittgenstein. Der NABU Siegen-Wittgenstein hat zur Zählung der heimischen Vogelarten aufgerufen. Insgesamt wurden mehr festgestellt, doch es gibt Verlierer
Man muss dafür nicht in den Wald: Verschiedene Vogelarten können wir direkt von unseren Fenstern aus beobachten. Um zu ermitteln, wie sich die Bestände in Gärten und Parks verändert haben, rief kürzlich der Naturschutzbund (NABU) zur jährlichen Zählaktion „Stunde der Gartenvögel“ auf, an der bundesweit 140.000 Menschen teilnahmen. 3,1 Millionen Vögel wurden beobachtet und gemeldet – auch in 307 Gärten in Siegen-Wittgenstein.
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Dabei wurden deutlich mehr Arten verzeichnet als im Vorjahr. Klaus Schreiber, ehemaliger Vorsitzender des NABU Siegen-Wittgenstein und Co-Autor des Buchs „Die Vögel des Siegerlandes“ erklärt, welche Verlierer unter den Vogelarten es trotzdem gibt – und was jeder Einzelne dagegen tun kann.
Blaumeise erholt sich nach Massensterben im Siegerland
Am häufigsten in den Gärten des Kreises: Der Hausperrling, auch bekannt als Spatz. Er wurde 1002 mal gezählt. „Gefolgt von Kohlmeise, Amsel, Blaumeise, Elster und Rotkehlchen“, zählt Klaus Schreiber auf. Das Rotkehlchen liegt in der Region über dem Bundesdurchschnitt – bei dem pro Garten knapp 33 Vögel von 11,4 unterschiedlichen Arten an den NABU gemeldet wurden. Zum Vergleich: Im Jahr davor waren es nur 30 Vögel. Seit den ersten Zählungen im Jahr 2005 sei der Bestand in den Siedlungen aber „überwiegend stabil geblieben“, sagt Schreiber.
Die Ringeltaube beispielsweise habe erfreulicherweise zugenommen, „man sieht sie jetzt auch öfters wieder in Stadtrandnähe brühten“. Sie gehört damit zu den 16 zunehmenden Arten, wie der Stieglitz, der Kernbeißer oder der Gimpel. Auch die kleine Blaumeise konnte sich im Siegerland erfolgreich berappeln. Ein bakterieller Erreger hatte im Frühjahr 2020 zu einem Massensterben ihrer Art geführt. Zwar hat sie ihren normalen Durchschnittswert noch nicht erreicht, es geht aber wieder bergauf. Bei 20 weiteren Arten hingegen zeichnen sich sinkende Bestände ab. „Zu den Verlierern im Siedlungsbereich gehören der Mauersegler oder die Mehlschwalbe.“ Ihre Gemeinsamkeit: die Ernährung. Anders als viele vegetarische Arten leben sie von Fluginsekten – in den Gärten Mangelware.
Steingärten in Siegen-Wittgenstein sorgen für Insektenmangel
Klaus Schreiber sieht eine der Ursachen für den Insektenmangel in einem „zu ausgeprägten Sinn für Ordnung und Sauberkeit in vielen Gärten“. Anstelle von Steinflächen sollte man lieber für Wildblumen und heimische Laubgehölze sorgen, rät er, „und natürlich keine Umweltgifte verwenden“. Andere Möglichkeiten, den Arten am Haus zu helfen, seien künstliche Nistkästen. Diese würden beispielsweise von der Mehlschwalbe gerne angenommen, so Schreiber: „Denn die braucht Lehm für ihre Nester. Und wo haben Sie in Zeiten des Klimawandels noch dauerhaft Lehmpfützen?“
Die Teilnehmerzahl bei der Zählung habe 2020 eine Rekordhöhe erreicht und war auch dieses Jahr vergleichsweise hoch. Klaus Schreiber sieht darin ein wachsendes Bewusstsein für die Relevanz von Naturschutzthemen – das sich auch in den Verkaufszahlen des Buchs „Die Vögel des Siegerlandes“ zeige. Vor vier Wochen erschien bereits die dritte Auflage „und die Nachfrage ist ungebrochen hoch“. Zusammen mit den beiden anderen Hauptautoren Jürgen Sartor und Dr. Hartmut Müller sowie weiteren Beteiligten arbeitete Klaus Schreiber sechs Jahre lang an der Fertigstellung: 250 Jahre Vogelkunde in der Region auf fast 800 Seiten.
Adler wurden im Siegerland regelrecht ausgerottet
„Wir haben knapp eine Million Datensätze verarbeitet. Alles handschriftliche Notizen unserer alten Ornithologenfreunde“, erzählt er. Die erste Publikation gehe auf 1846 zurück. Sie bezeugt eine Zeit, in der der Vogelfang und die „Fallenstellerei“ noch weit verbreitet waren. „Im Mittelalter hatten wir hier im Siegerland Adler“, erzählt Klaus Schreiber. Diese seien „regelrecht ausgerottet worden, wie alles, was einen krummen Schnabel und Klauen hatte“. Noch bis in die 1960er Jahre sei das Vogelarten wie dem Mäusebussard und dem Hühnerhabicht so ergangen. Die Jagdstatistiken zeigten es eindrücklich – nachzulesen in ihrem Buch. „Da können Sie sehen, wann der Habicht dann unter Schutz gestellt wurde: Erst in den frühen 70ern.“
Online erhältlich
Das Buch „Die Vögel des Siegerlandes“ kann online unter www.nabu-siwi.de sowie im Buchhandel erworben werden und kostet 34,95 Euro.
Herausgeber ist der Kreisverband Siegen-Wittgenstein des NABU Deutschland. Um den Preis auf diesem Niveau zu halten, wurde die Produktion durch Eigenmittel sowie durch Spenden bezuschusst.
Eine anschauliche Gegenüberstellung von Bildern findet sich ebenfalls in dem von Spendengeldern des NABU getragenen Buches: Das Siegerland früher und heute. „In den 50er Jahren sah hier alles komplett anders aus.“ Damals gab es noch viele kleine „mosaikartig angelegte“ Felder – für Hafer, Roggen, Weizen oder Kartoffeln. Heute gebe es vielmehr großflächige Maisfelder. Auch der Gewässerausbau habe sich verändert: „Das ganze Siegtal war früher frei – von Siegen bis nach Niederschelden. Heute ist da eine Firma neben der anderen.“ Dass sich die Industrie in den Talauen der Sieg angesiedelt habe, habe sich auch auf die Wiesenvögel ausgewirkt: „Zum Beispiel auf die Bekassine, denen ihre Feuchtwiesen genommen wurden.“
Rebhuhn und Kiebitz in Siegen-Wittgenstein ausgestorben
Zudem trage die konventionelle Landwirtschaft mit ihren Bewirtschaftungsformen zu einem Bestandsrückgang bei. Betroffen: Die Feldlerche, das Braunkehlchen oder der Wiesenpieper. Bereits ausgestorben seien unter anderem das Rebhuhn oder der Kiebitz. „Die Verwendung von Pestiziden und Gülle, die Überdüngung der Felder, all das führt zu einer Verarmung der Vegetation“, sagt Klaus Schreiber, „ein paar Löwenzahne und Gräser, ansonsten wächst auf dem Grünland dann nicht mehr viel.“ Er nennt die Folgen: „Eine Verarmung der Insektenwelt. Die Vögel haben keine Nahrung mehr.“ Weitere Probleme entstünden durch mehrmaliges und zu frühes Mähen, das das Brutgeschäft störe – auf das übrigens auch Hundebesitzer und Spaziergänger Rücksicht nehmen sollten.
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Das Buch zeigt, auf wie vielen Ebenen etwas zum Erhalt der biologischen Vielfalt getan werden muss: „Unsere Publikation sollte nicht zuletzt auch als Appell an alle Verantwortlichen in Politik und Verwaltung verstanden werden“, heißt es im Vorwort. Von ihnen hänge die Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlagen maßgeblich ab.