Siegen-Wittgenstein. Siegen-Wittgenstein setzt neue Schwerpunkte für „Leben und Wohnen im Alter“. 240 Heimplätze fehlen.

Der Kreis Siegen-Wittgenstein will die Pflege alter Menschen zu Hause unterstützen. Schwerpunkt der 2005 begonnenen Kampagne „Leben und Wohnen im Alter“ soll die Unterstützung pflegender Angehöriger werden. Dazu gehören im einzelnen:

ein Gesundheitsförderungskonzept;

die Intensivierung der „präventiven Hausbesuche“, deren Bewerbung der Kreis künftig nicht mehr den örtlichen Senioren-Service-Stellen überlassen will. Ute Heyde, Sachgebietsleiterin im Sozialamt, beschreibt die Pflege in Familien als „sehr abgeschotteten Bereich“. Die Mitarbeiterinnen der Senioren- und Pflegeberatung haben sich zu Pflegeberaterinnen qualifiziert, die auch die regelmäßig vorzulegenden Bescheinigungen für die Pflegekasse ausstellen können. „Dadurch versuchen wir, Kontakt zu bekommen“;

die Ausdehnung des „Gemeindeschwestern“-Modells im Wittgensteiner Raum auf das gesamte Kreisgebiet;

die Einführung einer Nachtpflege für Menschen mit Demenz, über die es bereits Kontakte mit einem möglichen Anbieter gibt;- die Einrichtung von Senioren WGs, in denen auch ältere Menschen mit geistiger Behinderung wohnen können. Die bestehenden Wohnstätten seien auf Pflegebedürftigkeit kaum eingerichtet, sagt Ute Heyde. Das führe dazu, dass Bewohner in Altenpflegeeinrichtungen umziehen müssen, „und das schon in jungen Jahren.“

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Im Sozial- und Gesundheitsausschuss des Kreistags begrüßt Jutta Capito (CDU) die neue Zielsetzung, bleibt aber bei den präventiven Hausbesuchen skeptisch – die wären besser bei den örtlichen Senioren-Service-Stellen mit vertrauten Ansprechpartnerinnen angesiedelt. „Es hat einen Grund, warum die Hausbesuche eingeschlafen sind.“ Markus Böhmer (SWM) betont die Wichtigkeit von Orientierungshilfen über die Wege zu Unterstützung für pflegende Angehörige: „Wer die nicht kennt, verzichtet auf ambulante Pflege.“ Katrin Fey (Linke) unterstützt das Gemeindeschwester-Modell: „Ein tolles Comeback.“

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Fakten

Sozialplaner Lars Froböse hat jetzt im Sozial- und Gesundheitsausschuss des Kreises Fakten zur Situation alter Menschen vorgestellt:

Die Zahl der Pflegebedürftigen hat sich von 6490 im Jahr 2003 auf 15.306 im Jahr 2019 mehr als verdoppelt. Während 2005 27,5 Prozent der Pflegebedürftigen in Heimen wohnten, waren es 2019 nur noch 13,6 Prozent. 26,9 Prozent werden von ambulanten Pflegediensten versorgt (2005: 19,7 Prozent). Um die Pflege aller anderen kümmern sich Angehörige, die dafür Geldleistungen in Anspruch nehmen. Die steigende „Selbsthilfequote“ ist auch ein Resultat der erweiterten Anspruchsberechtigung auf Leistungen der Pflegekasse. 2005 standen – rein statistisch -- einer stationär versorgten Person 0,71 ambulant betreute Personen gegenüber. Dieses Verhältnis hat sich bis 2019 umgekehrt: Jeder stationär gepflegten Person stehen 1,98 ambulant Betreute gegenüber.

Allein im Pflegegrad 3 sind 4962 Personen eingestuft, das sind 1100 oder 28,28 Prozent mehr als zwei Jahre zuvor. Rund 11.000 Personen haben die Pflegegrade 2 und 3. Ziel sei es, für diese größte Gruppe eine ambulante Versorgung sicherzustellen, sagt Lars Froböse.

Von den 65-jährigen Pflegebedürftigen bekommen 75 Prozent ausschließlich Pflegegeld, 15 Prozent ambulante Leistungen und vier Prozent. Bei den 65- bis 79-Jährigen steigt der Heimanteil auf 15 Prozent, bei den über 80-Jährigen auf 18 Prozent. Bei den unter 65-jährigen Pflegebedürftigen haben 84 Prozent den Pflegegrad 2, bei dem ausschließlich Geld ausgezahlt wird. 15 Prozent der Pflegebedürftigen mit dem Pflegegrad 5 werden in Heimen versorgt. Auch bei den über 80-Jährigen ist nur jeder zweite Pflegebedürftige mit dem Pflegegrad 5 Heimbewohner. „Das zeigt, wie wichtig Angebote für pflegende Angehörige sind“, sagt Lars Froböse, „auch bei höherem Pflegebedarf.“

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Angebote

Ambulant: Unterstützung bieten die Senioren-Service-Stellen bei jeder Stadtverwaltung, die Senioren- und Pflegeberatung des Kreises. 34 Anbieter leisten Unterstützung im Alltag, davon gehören elf zum Verbund Atempause. Von diesen Anbietern leisten 30 Einzelbetreuung, 17 Hilfe im Haushalt von 17 Anbietern, acht haben Betreuungsgruppen, weitere Begleit- und Fahrdienste. Drei Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz sind derzeit registriert.

Neue Berufsfachschule ab nächstem Schuljahr

Um junge Menschen für einen Beruf in der Pflege zu gewinnen, wird zum Schuljahr 2022/23 am Berufskolleg AHS in Siegen eine zweijährige Höhere Berufsfachschule für Gesundheitswissenschaften eingerichtet, die auf die Pflegeausbildung vorbereitet, für die das Mindestalter von 18 Jahren gilt.

Auf diese Weise könnten Schulabgänger gebunden werden, sagt Landrat Andreas Müller: „Uns gehen viele 16- und 17-Jährige verloren.“

Stationär: Aktuell gibt es gegenüber der Pflegebedarfsplanung ein Defizit von 240 Pflegeplätzen. 2018 hat der Kreis den Antrag für ein Pflegeheim in Siegen bewilligt, von der der Bewerber keinen Gebrauch gemacht hat. 2019 wurden Pflegeheime in Siegen und Kreuztal ausgeschrieben, um die sich kein möglicher Betreiber beworben hat. Landrat Andreas Müller empfiehlt nun, die verbindliche Planung mit „Interessenbekundungsverfahren“ aufzugeben. Das gibt möglichen Investoren freie Hand, an Standorten ihrer Wahl zu bauen. Der Kreis sei mit ihnen im Gespräch, berichtet Landrat Müller: „Ich bin zuversichtlich, dass wir ausreichend großes Interesse bei regionalen Trägern generieren können. Wir müssen uns sputen.“

Margit Haars (Grüne) rät, bei der Planung von Pflegeeinrichtungen kleinräumiger und „kommunaler“ zu denken. „Die Situation wäre nicht so bedrückend, wenn es Alternativen gäbe.“ Wohngemeinschaften seien wohl nicht die Alternative, wendet Landrat Andreas Müller ein: „Da werden eher Angebote eingestellt, weil das Interesse fehlt.“ Ebensowenig Heime mit kleineren Platzzahlen. „Das muss sich am Ende rechnen.“ Die Freudenbergerin Anke Flender (SPD) zeigt sich skeptisch, wenn der Kreis auf eine verbindliche Planung verzichtet: „Ich habe Sorge, dass Pflegeheime entstehen, zu denen eine weite Fahrzeit entsteht. Denn die Bedarfsstrukturen bleiben ja.“

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